Gesundes-Herz-Gesetz Insuffizienter Plan für gesunde Herzen

Autor: Michael Reischmann

Es gibt Zweifel, dass das „Gesundes-
Herz-Gesetz“ seinen hohen Anspruch erfüllen kann. Es gibt Zweifel, dass das „Gesundes- Herz-Gesetz“ seinen hohen Anspruch erfüllen kann. © CurvaBezier/Misha Shutkevych – stock.adobe.com

Mit seinem Entwurf für ein Gesetz zur Stärkung der Herzgesundheit erntet der Bundesgesundheitsminister in der Fachwelt vor allem eines: Widerspruch. Dieser bezieht sich insbesondere auf geplante Präventionsmaßnahmen und die Rolle des BMG. ­Allerdings sind auch Verbesserungen bei den DMP vorgesehen. 

Mitte Juli fand eine Fachanhörung im Bundesgesundheitsministerium (BMG) zum geplanten Gesundes-Herz-Gesetz (GHG) statt. In einer gemeinsamen Stellungnahme äußerten sich DDG, BVND, Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) und Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) überwiegend kritisch. Die Ziele, die DMP zu stärken sowie die Früherkennung und Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verbessern, seien begrüßenswert, schreiben die vier Organisationen. Doch es gebe „äußerst problematische Punkte“, die vor einer Gesetzesverabschiedung unbedingt noch geändert werden müssten.

Weiterhin die Expertise der Selbstverwaltung nutzen

Als ersten Kritikpunkt führen DDG, BVND, DAG und DGE den beabsichtigten Eingriff in der Selbstverwaltung an. Denn das BMG möchte unter Beteiligung von Sachverständigen per Rechtsverordnung selbst Versorgungsinhalte und Vergütungsvorgaben festlegen. Das betrifft etwa Gesundheitsuntersuchungen zur Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen im 25., 35. und 50. Lebensjahr sowie die Früherkennung einer Fettstoffwechselstörung bei Kinder und Jugendlichen ab dem 12. Lebensjahr.

DDG, BVND, DAG und DGE wenden sich – im Gleichklang mit G-BA, Krankenkassen, Bundesärztekammer und KBV – gegen diese „Ermächtigung in Richtung Staatsmedizin“: „Die fachliche Expertise zur Weiterentwicklung und Umsetzung guter evidenzbasierter Versorgung muss aus unserer Sicht in den Händen der Selbstverwaltung unter enger Beratung mit den Fachgesellschaften für die Festlegung des medizinischen Standards und der Etablierung von Leitlinien bleiben.“

Die vier Vereinigungen monieren, dass der Referentenentwurf die diversen Risikofaktoren und Begleiterkrankungen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen nicht ausreichend berücksichtige (den Kabinettsentwurf kündigte das BMG für den 21.8. an). Folglich würden die vorgesehenen Maßnahmen nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen. Unterstützt wird die Forderung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie, ein Screening auf eine chronische Nierenerkrankung bei Risikofaktoren wie Bluthochdruck, anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes schon ab dem Check-up 25 einzuführen.

Bei den durch Lebensstil beeinflussbaren Risikofaktoren seien die avisierten Maßnahmen zu Rauchstopp, gesunder Ernährung und gesundem Bewegungsverhalten unzureichend. Die Prinzipien einer „Health in All Policies“ würden nicht ausreichend umgesetzt, monieren DDG & Co. Es gehe darum, Selbstmanagement-Kompetenzen zu stärken und gesundheitsfördernde Lebenswelten im Alltag zu schaffen.

Kein Verständnis für eine „Gießkannen-Versorgung“

Die vorgesehene pauschale Bevorzugung einer breiten Verordnung von Statinen sehen DDG, BVND, DAG und DGE kritisch. Diese Fokussierung greife zu kurz. Es erscheine auch nicht sinnvoll, sich gesetzlich auf eine Substanzklasse festzulegen.

„Das Vorhaben des BMG, Gelder für Präventionsangebote zugunsten einer Gießkannen-Versorgung mit Statinen umzuschichten, basiert auf keinerlei Evidenz. Eine vorsorgliche Versorgung mit Medikamenten ist geradezu fahrlässig“, kommentiert Dr. Jens Kröger, Vorstandsvorsitzender diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe, in einer Pressemitteilung mit der DDG den GHG-Entwurf. Die Geschäftsführerin von diabetesDE, Nicole Mattig-Fabian, ergänzt: „Es fehlt schon jetzt an ausreichender Ernährungs- und Bewegungsberatung, von der besonders Menschen mit Diabetes profitieren. Diese Angebote zu reduzieren, läuft am Ziel vorbei, da es die Notwendigkeit von Verhaltensprävention konterkariert.“ 

Dr. Kröger mahnt: „Menschen sterben meist nicht, weil das Herz einfach versagt, sondern weil es eine Eskalationskaskade hin zu Herz-Kreislauf-Komplikationen gibt. Die muss vorzeitig unterbunden werden.“ Bei Herz-Check-ups sei das Kind dann oft schon in den Brunnen gefallen. DDG und diabetesDE fordern deshalb ein Diabetesregister.

Im Fall des Screenings auf die häufige genetische Erkrankung familiäre Hypercholesterinämie plädieren die DDG, BVND, DAG und DGE sowie die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung von Fettstoffwechselstörungen und ihren Folgeerkrankungen (Lipid-Liga) für die U9 statt der J1 als Screening-Zeitpunkt. Das BMG möchte die pharmazeutischen Dienstleistungen in Apotheken um Maßnahmen zur Prävention und Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes erweitern. Die dafür geplanten Gutscheine halten DDG, BVND, DAG und DGE für „teure, nicht evaluierte Parallelangebote“ zu den ärztlichen Einrichtungen.

Appell zum BIPAM-Aufbau: Die Analyse von Gesundheitsdaten auch hurtig in wirksame Strategien und Maßnahmen umsetzen!

Mitte Juli hat das Bundeskabinett den Entwurf des  „Gesetzes zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit“ beschlossen. Dieses setzt den Rahmen für das neue Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM). Als selbstständige Bundesoberbehörde mit Sitz in Köln und einer Außenstelle in Berlin soll das BIPAM die Aufgaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und in Teilen des Robert Koch-Instituts (RKI) übernehmen. Starttermin ist der 1. Januar 2025. Laut Bundesgesundheitsministerium (BMG) wechseln 334 Beschäftigte der BZgA und 180 des RKI zum BIPAM.

Zu den Aufgaben des Instituts gehört es, Daten zum Gesundheitszustand der Bevölkerung, zu den gesundheitlichen Auswirkungen durch Klima und Umwelt sowie zu gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen zu erheben und auszuwerten. Die Erkenntnisse können für politische und strategische Entscheidungen sowie zielgruppenspezifische Präventionsangebote genutzt werden. Die Behörde hat einen „einfachen und schnellen Zugang zu gut verständlichen Gesundheitsinformationen“ anzubieten. Sie entwickelt „Maßnahmen zur Verhaltens- und Verhältnisprävention, einschließlich der Vorsorge und Früherkennung von Krankheiten und unterstützt deren Umsetzung“, so das BMG.

Dieses verstärkte Engagement für die Themen Prävention und Public Health wird von der DDG, der Deutschen Adipositas-Gesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention, diabetesDE und der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) in einer gemeinsamen Stellungnahme begrüßt. Allerdings seien reine Aufklärungsinitiativen nicht ausreichend, um bildungsferne und sozial benachteiligte Schichten, die am stärksten von nichtübertragbaren Krankheiten und deren Risikofaktoren betroffen sind, zu erreichen. Die Organisationen empfehlen deshalb dem Gesetzgeber, den Auftrag des BIPAM explizit um Maßnahmen der Verhältnisprävention zu erweitern, die direkt auf ein verbessertes Lebensumfeld abzielen und einen gesunden Lebensstil für alle leichter machen.

Es sei auch entscheidend, dass bereits vorhandene Daten jetzt zur Implementierung konkreter Aktivitäten führten. Die KiGGS-Studie müsse fortgeführt werden, da sie Daten über den Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen liefere, die für das Entwickeln wirksamer Präventionsmaßnahmen unverzichtbar seien.

Kritisch bewerten die Autor*innen der Stellungnahme, dass das BIPAM dem BMG unterstellt ist. „Das BMG hat keine Weisungsbefugnis gegenüber anderen Ministerien, was die Umsetzung eines ganzheitlichen ,Health in All Policies‘-Ansatzes limitiert“, heißt es in dem Papier. Eine ministerienübergreifende Zusammenarbeit sei aber für effektive Präventionsmaßnahmen unerlässlich. Deshalb wird vorgeschlagen, eine übergeordnete, unabhängige Institution zu schaffen, die zwischen Ministerien wie Bildung, Umwelt, Finanzen und Ernährung koordiniert, – oder diesen Bereich beim RKI zu belassen und auszubauen. Zumal mit der Übertragung von Aufgaben und Personal vom RKI aufs BIPAM die Zerschlagung etablierter Strukturen sowie Ressourcenverluste drohen.

Die Absicht des BMG, DMP weiterzuentwickeln und die Kassen zu verpflichten, DMP als Regelversorgung anzubieten, wird begrüßt. Vergütungsbestandteile für das Erreichen mindestens dreier Qualitätsziele in den DMP-Verträgen für Diabetes Typ 1 und 2 sowie KHK festzulegen, könne sinnvoll sein. Es sollte jedoch ebenfalls geregelt werden, dass ärztliche Leistungen auch dann bezahlt werden, wenn die/der Versicherte aus einem ärztlicherseits nicht zu vertretenden Grund rückwirkend ausgeschrieben wird oder keine wirksame Einschreibung vorliegt.

Zum Bürokratieabbau würde beitragen, wenn es statt ungezählter regionaler Verträge bundesweite DMP-Abkommen gäbe, schlagen DDG, BVND, DAG und DGE vor. Auch die Evaluation der DMP sollte bundesweit erfolgen. „Wenn Menschen ohne manifeste Erkrankung, aber mit  erhöhtem Risiko mit in die DMP aufgenommen werden sollen, dann betrifft das deutlich mehr als 50 % der erwachsenen Bevölkerung.“ Jedoch seien geeignete Medikamente vielfach nicht für eine Primärprävention ohne Diagnose einer manifesten Erkrankung zugelassen, sie unterlägen nicht der Leistungspflicht der GKV. Synergien, z. B. in Therapieprogrammen zwischen den Diabetes-DMP und dem DMP Adipositas, seien zu nutzen.

DDG, BVND, DAG und DGE vermissen Maßnahmen der frühen Verhaltens- und Verhältnisprävention, z. B. in Kindergärten und Schulen, sowie zur Angleichung der Lebensverhältnisse und Reduktion sozialer Ungleichheit. „Wir appelieren daher gemeinsam, den vorliegenden Gesetzentwurf entsprechend der oben genannten Punkte zu ändern und gründlich zu überarbeiten.“ Die eigene Expertise bringe man hierbei gerne mit ein.