MDK, Gerichtsprozesse, Ablasshandel – Kliniken und Kassen ringen um jeden Cent
Die gerade laufende Klagewelle gesetzlicher Krankenkassen gegen Krankenhäuser ist für die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) nur die Spitze des Eisbergs aus „mangelnder Wertschätzung und stetig wachsender Misstrauenskultur“. Seinen Niederschlag finde das in „kleinlichsten Rechnungsprüfungen“, die in Wahrheit nur „Erlösrückführungen“ seien, so der Präsident der DKG, Dr. Gerald Gaß.
Beliebtes Einfallstor für Eingriffe in die Arbeitsweise der Krankenhäuser sei der Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS). Das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information gibt jährlich den amtlichen OPS-Katalog mit 34 550 Kodes heraus. Das Verfahren zur jährlichen Anpassung des OPS findet die DKG undurchsichtig. Von allen Seiten würde direkt oder indirekt darauf Einfluss genommen, ohne dass die Entscheidungskriterien zur Einführung und Anpassung der Kodes transparent seien.
Vor allem bei den nicht-operativen Komplexleistungen, wie der Schlaganfallversorgung oder der geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung, ist es laut DKG durch diese Einflussnahme zu „erheblichen Fehlentwicklungen“ gekommen. Diese seien mit „detailverliebten und klassifikationsfremden Anforderungen“ überfrachtet. Für das Klinikpersonal habe das eine „stetig wachsende Absicherungsbürokratie“ zur Folge.
Gerichtsentscheidungen zu Kürzeln und Toilettengängen
Diese Kodes würden auch zwecks „Erlösrückführung“ missbraucht. Unpräzise und medizinisch nicht sachgerechte Formulierungen seien das Einfallstor für Auslegungsstreitigkeiten, die auch die Sozialgerichte durch alle Instanzen beschäftigten.
Ein Beispiel: Der geriatrische Komplex sieht eine wöchentliche Teambesprechung vor. Das Bundessozialgericht musste sich detailliert mit der Frage beschäftigen, welche Berufsgruppen sich wie an diesen Besprechungen zu beteiligen haben und wie das zu dokumentieren ist. Neben weiteren Detailfestlegungen kam das Gericht zu dem Schluss, dass ein Kürzel zum Abzeichnen nicht ausreicht (Az.: B 1 KR 19/17 R). Anlass war der Fall einer 1915 geborenen, multimorbiden Patientin, die wegen der Folgen eines Hirninfarkts stationär geriatrisch behandelt werden musste. Streitwert laut DKG: 2716,41 Euro.
In einem anderen Fall vor dem Landessozialgericht Bayern obsiegte das Krankenhaus: Streitig war, ob das Krankenhaus die neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls eines Patienten abrechnen durfte, obwohl dieser zur Toilette gegangen war. Nach Auffassung der Krankenkasse war das keine zulässige Unterbrechung des vorgeschriebenen 24-Stunden-Monitorings; der Komplex sei damit nicht abrechnungsfähig. Das LSG folgte der Kasse nicht. Der Patient müsse nicht katheterisiert werden, sondern der selbstständige Toilettengang sei nach Möglichkeit zu gewährleisten (Az.: L 4 KR 614/16). Eine Entscheidung „zum Schutz der Menschenwürde sowie des allgemeinen Freiheitsgedankens“, meint die DKG.
Die Komplexleistungen weisen nach Angaben der DKG Prüfquoten von 10 bis 25 % der Abrechnungsfälle auf, während es sonst 3 bis 5 % seien. Das laufe dann in der Öffentlichkeit unter dem Schlagwort „Falschabrechnungen“.
Klinikträger: MDK ist der Erfüllungsgehilfe der Kassen
Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) sei nicht unabhängig, sondern Erfüllungsgehilfe der Krankenkassen. Diese würden den MDK insbesondere Fälle und Sachverhalte prüfen lassen, von denen sie maximale Gewinne oder Einsparungen erwarten. Beliebt sei das Streichen einzelner Tage wegen Fehlbelegung, um entweder die Erstattung der vollen Fallpauschale oder die zusätzliche Vergütung für besonders aufwendig zu behandelnde Fälle zu vermeiden. Der Anlass für eine längere Verweildauer sei aber häufig das Fehlen eines geeigneten Pflegeplatzes und damit gar nicht in der Verantwortung des Krankenhauses, so die DKG.
Prüfschonung bei pauschal gekürztem Erlös
Um sich diese lästige und personalintensive Prüferei vom Leibe zu halten, schließen Kliniken Sondervereinbarungen mit Krankenkassen ab. Darin verzichten sie auf einen Teil ihres Erlöses, von bis zu 30 % ist die Rede, und im Gegenzug verzichten die Krankenkassen auf die Rechnungsprüfung. Der Bundesrechnungshof hält diese Ablassverträge für rechtswidrig und bittet das Bundesgesundheitsministerium, diese Vertragspraxis zu unterbinden.
Und was sagen die Krankenkassen? „Den Konflikt mit den Fallpauschalen haben wir, seit es sie gibt“, meint Thomas Ballast, Vizevorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK). Es bestehe eine Unsicherheit, wie sie zu interpretieren seien. „Aber 50 % der beanstandeten Rechnungen, die dem MDK vorgelegt werden, sind tatsächlich fehlerhaft.“
Die Gerichte würden noch über dem MDK stehen. „Wir können dann gar nicht anders, als die Rechnung für rechtswidrig zu erklären“, so der TK-Vize. Im Übrigen müssten die Krankenkassen für ungerechtfertigt beanstandete Rechnungen Strafzahlungen an die Krankhäuser leisten. Würde dies auch für die Kliniken gelten, wäre das Problem wohl kleiner.