Nebenwirkung verbogener Magenmeridian

Kolumnen Autor: Dr. Frauke Gehring

Manchmal glauben wir ja, dass Nebenwirkungen gerade dann auftauchen, wenn man zuvor darauf hinweist oder im Beipackzettel entsprechende Bemerkungen stehen. Manchmal glauben wir ja, dass Nebenwirkungen gerade dann auftauchen, wenn man zuvor darauf hinweist oder im Beipackzettel entsprechende Bemerkungen stehen. © iStock.com/AntonioGuillem

Das Thema in unserer Praxiskolumne: Nebenwirkungen von Medikamenten sind unüberschaubar – Ärzte und Apotheker müssen diese erkennen und darüber aufklären. Doch was kommt heraus, wenn der Apotheker des Vertrauens eine Heilpraktikerlizenz besitzt?

„Ich hatte Herzrasen!“, stöhnte meine Patientin, „das können Sie sich nicht vorstellen!“ Innere Unruhe und ein dröhnender Kopf hatten sie dazu gebracht, sich von ihren Ranitidin-Tabletten trennen zu wollen. Diese alten Schätzchen hatte ich ihr verordnet, weil sie unter ihren PPI unter ständiger Übelkeit litt. Diesmal also gab es eine andere Baustelle und während ich urlaubsselig im fernen Österreich die Golfschläger schwang, hatte ein vertretender Kollege sie beraten. „Er sagte, die Kapseln könnten auf keinen Fall schuld sein“, berichtete sie nun weiter, aber sie hätte sie dennoch abgesetzt. Nun ginge es ihr prima.

So weit, so gut. Die Rote Liste vermeldete, dass es durchaus zu Herzrhythmusstörungen unter Ranitidin kommen könnte, und damit hätten wir das Thema abhaken können. Die Patientin aber hatte sich nach dem frustranen Arztbesuch an die Apothekerin ihres Vertrauens gewandt. „Da habe ich meine Meridiane vermessen lassen, um zu wissen, was mit mir los ist. Stellen Sie sich vor, mein Magenmeridian ist ganz verbogen!“, ließ sie mich nun stolz an ihren Erkenntnissen teilhaben. „Kein Wunder, dass es mir so schlecht ging!“ Glücklicherweise sei die Apothekerin auch im Besitz einer Heilpraktikerlizenz und eines Lasergerätes, mit dem man den Meridian korrigieren könne. Das koste 80 € pro Sitzung und schon nach drei bis vier Behandlungen wäre alles wieder im Lot. Für die Diagnostik ihrer Meridiane hatte sie schon 40 € auf den Apothekentresen geblättert.

Nun möchte ich heute nicht schon wieder über die Niederungen der Paramedizin lamentieren; höchs­tens darüber, dass ich bis dato davon ausgegangen bin, dass man unbesorgt seine Apothekerin um pharmazeutischen Rat fragen darf. Schließlich schätze ich die meinigen dafür, dass sie mich bezüglich Neben- und Wechselwirkungen oder auch galenischer Raffinessen gelegentlich in die Tasche stecken. Dass man als unschuldige Patientin aber, wissenschaftlichen Beistand suchend, ins Reich des verbogenen Chi gelockt wird, halte ich für unschön. Vielleicht bin ich aber auch neidisch, dass mir solche Honorare unerreichbar bleiben? Mein Magenmeridian fühlte sich an diesem Tag jedenfalls ganz verbogen an und ich bestärkte die Patientin in ihrer Vermutung, dass bei Wohlbefinden eine solche Lasertherapie nicht mehr vonnöten sei.

Diese Geschichte ist aber darum auch bemerkenswert, weil sie einen alten Lehrspruch bestätigt: „Der Patient hat bis zum Beweis des Gegenteils immer recht.“ Immerhin war das Unwohlsein doch auf die Medikation zurückzuführen.

Manchmal glauben wir ja, dass Nebenwirkungen gerade dann auftauchen, wenn man zuvor darauf hinweist oder im Beipackzettel entsprechende Bemerkungen stehen. Also schweigen wir. Aber oft genug schleppt sich ein Patient mit ACE-Hemmer-Husten über Monate durchs Leben, ohne zu ahnen, dass die kleinen Blutdrucktabletten dafür verantwortlich sind. Oder es geht ihnen wie jener älteren Dame, die fast ausgetrocknet zu mir kam: „Ich trinke keinen Liter am Tag“, berichtete sie mir, „weil ich jetzt schon in keine Schuhe mehr passe! Schauen Sie mal auf meine Unterschenkel. Können Krampfadern dahinterstecken, die man nicht sieht?“ Nein, hier war es ein neu angesetzter Kalziumantagonist, der die Beine in wurstige kleine Walzen verwandelt hatte.

Solche Nebenwirkungen sind mir ja fast recht, weil ich sie erkennen und entsprechend reagieren kann. Viel mehr Sorgen machen mir jene, die unter „ferner liefen“ oder eben gar nicht im Beipackzettel stehen. Grauenhaft finde ich die Vielzahl an Interaktionen, die mir immer dann auffallen, wenn ich mich intensiver wissenschaftlich mit einem Präparat beschäftige. Wer kombiniert nicht PPI versehentlich mit Roxithromycin oder Clopidogrel? Wissen wir nun wirklich, ob Johanniskraut Antikonzeptiva abschwächt? Um welches Cytochrom kämpfen Antibiotika, Anticholinergika oder Antimykotika? Es schwindelte mir; ich musste wieder mal meinen Apotheker um Nachhilfe bitten und dann sehen, ob mein Magenmeridian noch geradeaus verläuft. Falls nicht, wollte ich ihm mit einem leckeren Mittagessen dazu verhelfen.