Glosse Pandemie-Myopie
Was ich selbst schon lange beobachte, ist nun also von Expertenseite bestätigt. Vor allem Politiker scheinen in besonderem Maße von der pandemiebedingten Myopie betroffen zu sein. Beruhigend, dass endlich eine Erklärung gefunden ist für das Hin und Her in der Coronapolitik: für den Endlos-Loop zwischen Lockerungen und Lockdowns, die Notwendigkeit abrupter Notbremsen trotz vorausschauender Warnungen vonseiten der Wissenschaft und vielleicht sogar für die in manchen Bundesländern bestehende Sehschwäche auf dem rechten Auge.
Doch was macht Politiker zur besonders gefährdeten Gruppe? Ist es das lange Starren auf Handys und Tablets bei digitalen Konferenzen? Schließlich gilt zu viel Screen Time als einer der Hauptrisikofaktoren für Kurzsichtigkeit. Oder doch der Mangel an Tageslicht durch lange Sitzungen bis spät in die Nacht hinein?
Den schädlichen Effekten von Naharbeit und künstlicher Beleuchtung entgegenwirken lässt sich laut BVA durch Tageslicht. Kinder sind umso weniger gefährdet, kurzsichtig zu werden, je länger sie sich am Tag im Freien aufhalten. Und was für die Kleinen gut ist, kann auch den ganz Großen nicht schaden.
Vielleicht sollte die neue Regierung ihre Entscheidungen also künftig lieber an der frischen Luft und bei Tag treffen als nachts im stillen (und künstlich beleuchteten) Kämmerlein? Eine Überlegung wäre es wert. Eventuell versteht dann auch der eine oder andere endlich, dass man, um sich nicht zu verlaufen, wissen muss, wohin man gehen möchte.
Dafür kann es lohnen, den Blick über die eigenen Fußspitzen hinaus zu heben – und konsequent denen zu folgen, die sich auskennen in dem Gebiet, in dem man sich bewegt. Doch das wäre wahrscheinlich zu einfach. Schließlich hält sich die Pandemie-Myopie seit zwei Jahren hartnäckig. Für die ganz schweren Fälle hilft da vermutlich nur noch eins: ein Satz neuer Brillen, die die Weitsicht schärfen.
Kathrin Strobel
Redakteurin Medizin