Passen die Corona-Kapazitäten auf den Intensivstationen?

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Die Arbeitsgruppe „SPoCK“ soll tagesaktuelle Voraussagen zu Patientenzahlen veröffentlichen. Die Arbeitsgruppe „SPoCK“ soll tagesaktuelle Voraussagen zu Patientenzahlen veröffentlichen. © iStock/imaginima

Dreh- und Angelpunkt in der Coronapandemie sind die Kapazitäten an Intensivbetten. Wie viele freie Betten es gibt, war lange unklar. Wie sehr sie künftig gebraucht werden, ist es noch immer. Experten sollen hier Klarheit schaffen.

„Steuerungs-Prognose von intensivmedizinischen COVID-19-Kapazitäten (SPoCK)“, nennt sich die Arbeitsgruppe, die in den kommenden zwei Jahren täglich den weiteren Verlauf von intensivmedizinisch zu behandelnden COVID-19-Patienten prognostizieren soll. Mit der Bereitstellung erster Modelle, bezogen auf Deutschland sowie einzelne Bundesländer, dürfe bis Mitte Mai gerechnet werden, heißt es.

Tagesaktuelle Vorhersagen zu Patientenzahlen noch im Mai

Die Leitung der Arbeitsgruppe übernehmen gemeinsam die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und das Robert Koch-Institut (RKI). Die Daten werden auf lokaler, überregionaler und europäischer Ebene öffentlich bereitgestellt. Entscheidungsträger könnten diese dann im öffentlichen Gesundheitsbereich zur Steuerung der Pandemiemaßnahmen heranziehen.

Das Coronavirus SARS-CoV-2 macht nicht nur Patienten und Ärzten das Leben schwer, sondern auch Virologen und Statistikern. Seit Beginn der Coronapandemie gibt es unterschiedliche Zahlen zu verschiedenen Kennziffern. So nennt das RKI für Deutschland seit Wochen andere Fallzahlen bezüglich Infektionen als das Coronavirus Resource Center der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore. Zudem bilden selbst die veröffentlichten Zahlen nur einen Teil der Infektionen ab, denn Testverfahren sind unpräzise in der Aussage und nur ein Bruchteil der Bevölkerung wird überhaupt getestet.

Präventions-Paradox

Professor Dr. Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie der Berliner Charité und Regierungsberater in der Coronakrise, führte im Interview mit der britischen Tageszeitung The Guardian die Diskrepanz zwischen verfügbaren und belegten Intensivbetten auf das einsetzende „Präventions-Paradox“ zurück, welches ihn in der Nacht wachhalte. Das Paradox liege darin, dass es halb leere Intensivstationen in Deutschland gebe, weil früh und breit getestet wurde und die Reproduktionszahl gesenkt werden konnte. Die Menschen verstünden allerdings nicht, warum dennoch Geschäfte geschlossen seien. Jetzt gebe es politischen und ökonomischen Druck, zur Normalität zurückzukehren. Zu schnelles Handeln aber hält Prof. Drosten für falsch, denn dies könne zu einer zweiten Welle führen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte Mitte März die Krankenhäuser aufgefordert, planbare Operationen und Behandlungen zu verschieben und mehr Intensivbetten bereitzustellen. Damit löste er eine Welle an Umstrukturierungen in den Kliniken aus. Noch Anfang April war jedoch nicht klar, wie viele Betten in Intensivstationen tatsächlich verfügbar sind.

Intensivregister bildet aktuelle ITS-Bettenzahlen ab

Erst die verpflichtende tägliche Meldung ans DIVI-Intensivregister ermöglichte eine Aussage zur Lage. Laut DIVI-Tagesreport gab es am 4. Mai 19.157 belegte und 13.087 freie Betten auf Intensivstationen in den meldenden 1262 Krankenhäusern. Bisher entsprächen die Angaben jedoch den individuellen Einschätzungen der intensivmedizinisch tätigen Ärzte, so das DIVI. Bis zur vollständigen Abdeckung des Bundesgebiets könnten die Daten deshalb nur bedingt zur Steuerung bevölkerungsweiter Maßnahmen und zu Ressourcenentscheidungen genutzt werden. Behandelt wurden zum Stichtag deutschlandweit 1950 COVID-19-Fälle, 1368 davon beatmet. Spahn hatte ursprünglich angedacht, dass „25 bis 30 %“ der Intensivbeatmungsbetten für Coronapatienten freigehalten werden sollen. 50 % sind es laut BMG etwa geworden. Ende April legte Spahn ein Konzept für einen neuen Alltag im Klinikbetrieb vor. Dieses sieht unter Berücksichtigung der Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften die Reduzierung auf 25 % der insgesamt vorhandenen Intensivbetten vor.

Operationssäle wieder stärker für elektive Eingriffe öffnen

Zugleich soll die OP-Kapazität in einem ersten Schritt zu 70 % für Elektiveingriffe geöffnet werden. Krankenhäuser sollen jedoch weiterhin in der Lage sein, „je nach Pandemieverlauf innerhalb von 72 Stunden weitere Intensiv- und Beatmungskapazitäten zu organisieren“. Die untere Grenze der Intensivbetten-Reserve sei abhängig von den Ergebnissen der epidemiologischen Entwicklung zu definieren. Die Länder sollen ein entsprechendes Stufenkonzept erarbeiten. Denkbar ist aus Sicht des BMG auch, dass die Versorgung von COVID-19-Patienten auf andere Krankenhäuser übertragen wird. So könnten Spezialkliniken entlastet werden, um dort vermehrt (spezialisierte) elektive Eingriffe vornehmen zu können.

Medical-Tribune-Bericht

ursprünglich erschienen am 05.05.2020; aktualisiert am 06.05.2020