Praxis oder Klinik – wer kriegt die Notfälle?
© Thomas Trappe
Für eine "kontroverse Mittagspause" war es fast zu harmonisch. Jährlich organisiert die Kassenärztliche Bundesvereinigung das Streitgespräch, dieses Mal ging es um die Zukunft der Notfallversorgung. Und die beiden Diskutanten, der KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister und der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Thomas Reumann, waren sich in der Problemanalyse einig: Ja, es gebe eine Fehlsteuerung ambulanter Notfallpatienten.
Von den rund 30 Millionen Patienten, die jährlich in die Notaufnahmen deutscher Kliniken kämen, könnten rund elf Millionen auch ohne Weiteres von den Niedergelassenen oder deren Bereitschaftsdiensten versorgt werden. Nur wie? Sowohl Niedergelassene als auch Kliniken sehen ihren eigenen Sektor am besten gewappnet, die Notfallversorgung in den Griff zu kriegen.
Schwung in die Debatte brachte vor knapp zwei Wochen bereits ein Positionspapier des Marburger Bundes (MB). Die Ärzte-Gewerkschaft forderte darin, die Kliniken zum primären Anlaufpunkt für Notfälle zu machen, die Niedergelassenen sollten demnach vor allem für Notfall-Hausbesuche und die Weiterbehandlung nicht dringender Fälle zuständig sein. Kern des MB-Konzepts ist eine Vereinheitlichung der drei Säulen der Notfallversorgung, also der Notfallrettungen, die die Länder organisieren, der Notaufnahmen und der ärztlichen Bereitschaftsdienste, denen MB und DKG schwere Defizite vorwerfen.
Von den rund 30 Millionen Patienten, die jährlich in die Notaufnahmen deutscher Kliniken kämen, könnten rund elf Millionen auch ohne Weiteres von den Niedergelassenen oder deren Bereitschaftsdiensten versorgt werden. Nur wie? Sowohl Niedergelassene als auch Kliniken sehen ihren eigenen Sektor am besten gewappnet, die Notfallversorgung in den Griff zu kriegen.
Gegenseitige Schuldzuweisungen
Reumann und Dr. Hofmeister wiesen sich die Verantwortung für die gegenwärtige Situation gegenseitig zu. Der DKG-Präsident verwies auf vermeintliche Unzulänglichkeiten in den KVen. Die Patienten suchten in Notfällen "ein verlässliches Angebot, das von niedergelassenen Ärzten nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung gestellt wird", sagte er. Dies zeige, "dass die KVen den Sicherstellungsauftrag nicht erfüllen können".Heutige Patienten wollen sofortige Dienstleistung
Dr. Hofmeister wies das von sich. Die Sicherstellung würde durch die KVen nicht nur gewährleistet, sondern das auch zu einem im internationalen Vergleich "moderaten Preis". Dass Patienten die Notaufnahmen aufsuchten, habe auch mit einer durch das Internet geänderten Anspruchshaltung zu tun, Dienstleistungen ohne Umstände rund um die Uhr abrufen zu können. Würde dies von den Kliniken zentral angeboten, werde dies natürlich auch genutzt. Bei knapp 600 Millionen Behandlungsfällen pro Jahr in den Praxen seien elf Millionen fehlgeleitete ambulante Notfallpatienten zudem eher eine "Marginalie", meinte Dr. Hofmeister.Schwung in die Debatte brachte vor knapp zwei Wochen bereits ein Positionspapier des Marburger Bundes (MB). Die Ärzte-Gewerkschaft forderte darin, die Kliniken zum primären Anlaufpunkt für Notfälle zu machen, die Niedergelassenen sollten demnach vor allem für Notfall-Hausbesuche und die Weiterbehandlung nicht dringender Fälle zuständig sein. Kern des MB-Konzepts ist eine Vereinheitlichung der drei Säulen der Notfallversorgung, also der Notfallrettungen, die die Länder organisieren, der Notaufnahmen und der ärztlichen Bereitschaftsdienste, denen MB und DKG schwere Defizite vorwerfen.
MB schlägt ein einheitliches Triage-System vor
Der MB schlägt ein einheitliches Triage-System für alle Anlaufstellen vor, mit dem binnen kurzer Zeit entschieden würde, ob ein Patient ein Notfall ist oder ambulant in einer Praxis weiterbehandelt werden kann. Auch die Portalpraxen nehmen im MB-Konzept eine zentrale Rolle ein. Das gesamte Notfallsystem sollte in ein einheitliches IT-System überführt werden, außerdem die Notfallnummer 116117 mit der 112 zusammengelegt werden.30 Millionen Notfallpatienten pro Jahr
Nach Angaben des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) kümmert sich der Ärztliche Bereitschaftsdienst jährlich um rund zehn Millionen Patienten. Weitere 20 Millionen Patienten kommen in die Notaufnahmen der Krankenhäuser. Von diesen wiederum wird die Hälfte stationär aufgenommen (was die Hälfte aller stationären Fälle ausmacht). Die andere Hälfte der Notaufnahme-Patienten wird ambulant behandelt. Davon benötigen laut Zi 10% keine dringliche Diagnostik und Therapie, sie könnten auch zu regulären Praxissprechzeiten behandelt werden. 87 % werden wie in der vertragsärztlichen Versorgung behandelt. Etwa 3 % der ambulant in den Notaufnahmen versorgten Patienten haben schwerwiegende Erkrankungen.
Autor: Maja Hüss
Sämtliche Vorschläge laufen darauf hinaus, das dann einheitliche Notfallsystem an die bestehenden Strukturen von Kliniken anzubinden. MB-Chef Rudolf Henke sprach dabei von einem dritten Sektor, der mit mindestens 500 Millionen Euro jährlich, wahrscheinlich mehr, ausgestattet werden müsste. Der KBV-Vorsitzende Dr. Andreas Gassen lehnt das rundweg ab: "Das Thema Notfallversorgung ist ein zu wichtiges Thema, als dass es auf die Forderung nach mehr Geld für eine bestimmte Interessensgruppe reduziert werden sollte."
Auch DKG-Präsident Reumann sprach sich für zentralisierte Strukturen aus, etwa nach dem Vorbild der Gesundheitszentren in Kanada. Dort würden Ärzte mit anderen Gesundheitsberufen zusammenarbeiten und auch Tätigkeiten delegieren. "Die Krankenhäuser werden in diesen Strukturen eine wichtige Rolle spielen", betonte er, z.B. durch die telematische Vernetzung solcher Zentren mit Kliniken der Region.
KBV setzt auf Filialpraxen und Patientenshuttles
Bei der "kontroverse Mittagspause" in den Räumen der KBV hatte Gastgeber Dr. Hofmeister für die Schaffung eines dritten Sektors kaum mehr als Spott übrig. "Wenn ich so etwas höre, muss ich lachen", sagte er. Zentral sei für ihn eine Stärkung des Niedergelassenen bei der ambulanten Notfallversorgung. In ländlichen Regionen werde es zukünftig "Modelle geben, die anders sind als heute". Seien es Filialpraxen, Einzelsprechstunden oder Patientenshuttles zu Niedergelassenen.Auch DKG-Präsident Reumann sprach sich für zentralisierte Strukturen aus, etwa nach dem Vorbild der Gesundheitszentren in Kanada. Dort würden Ärzte mit anderen Gesundheitsberufen zusammenarbeiten und auch Tätigkeiten delegieren. "Die Krankenhäuser werden in diesen Strukturen eine wichtige Rolle spielen", betonte er, z.B. durch die telematische Vernetzung solcher Zentren mit Kliniken der Region.
Quelle: KBV-Streitgespräch