Nationale Diabetesstrategie Stärkeres Selbstmanagement, leichterer Zugang zu Diabetestechnik
Seit Jahren nimmt die Zahl der Diabeteserkrankungen nicht nur in Deutschland, sondern weltweit dramatisch zu. Es ist zu erwarten, dass sich hier die Zahl der Menschen mit Diabetes von aktuell 7,3 Millionen bis 2040 auf bis zu 12 Millionen erhöhen wird. Das stellt auch eine hohe Kostenbelastung nicht nur für das Gesundheitssystem dar, betroffen ist davon die gesamte Volkswirtschaft, dabei u.a. der Arbeitsmarkt, die Renten- oder Pflegeversicherung.
Der Gesetzgeber hatte im Juli 2020 die Nationale Diabetesstrategie beschlossen, die Ansätze zur Prävention von Diabetes mit Schwerpunkten auf Ernährung und Bewegung enthält. Auch der Ausbau von Diabetesforschung und Telemedizin in der Diabetesversorgung bildet Eckpunkte der Strategie, die es auszugestalten und schließlich zeitnah und konsequent umzusetzen gilt. Der BVMed setzt sich dafür ein, dass der politische Diskurs zu diesem Thema weiter gestärkt wird – und damit die Basis für eine funktionierende Nationale Diabetesstrategie bildet.
Der BVMed möchte sich in diese Prozesse aktiv einbringen und hat zu diesem Zweck einen 12-Punkte-Plan entwickelt. Mit den zentralen Säulen „Qualifikation“, „Innovation und Zugang zu modernen Diabetestechnologien“, „Vernetzung und interdisziplinäre Kooperation“, fordert er u. a. zeitnahen Zugang zu Innovationen, die Stärkung des Diabetes-(Selbst-)Managements, die Anerkennung von telemedizinischen Behandlungen im EBM-Katalog sowie in den DMP-Programmen und einheitliche, klare Datenschutzregelungen als Voraussetzung des sicheren Datentransfers aus Diabetes-Messtechnologien in die elektronische Patientenakte. Grundlage für die notwendige ganzheitliche Betrachtung und Behandlung ist die Stärkung der interdisziplinären Zusammenarbeit, der ärztlichen und nicht-ärztlichen Leistungserbringer, sowie der Ausbau der intersektoralen Netzwerkstrukturen.
Digitalisierung verbindet Patienten mit ihren Praxen
Eine wesentliche Komponente bei der Weiterentwicklung der Versorgungskonzepte ist die Stärkung der Digitalisierung, die sich – bereits im Alltag omnipräsent – auch in nahezu jeder der Forderungen wiederfindet: Schließlich leistet sie einen unmittelbaren Beitrag zur Vernetzung zwischen Patienten und ihren Diabetespraxen. Sie trägt dafür Sorge, dass Informationen sowie die zentralen diabetesrelevanten Daten übertragen, ausgewertet, überwacht und in die eigene App oder Patientenakte integriert werden können. Dies stärkt nicht allein die Therapiemöglichkeiten, sondern außerdem eigenverantwortliche Mitarbeit und Selbstmanagement der Patientinnen und Patienten – was nicht zuletzt ein weiterer zentraler Baustein einer erfolgreichen Therapie sein dürfte.
So kann nachgewiesenermaßen bei der individuell passenden Komposition aus Diabetestechnologie, Therapie und Begleitung durch multiprofessionelle Diabetesteams der Blutzuckerspiegel leichter im Zielbereich gehalten werden. Im Zusammenspiel mit einer ausgewogenen Ernährung und ausreichend Bewegung sinken gleichsam das Risiko für Folgeerkrankungen wie auch die Kosten der Versorgung von Patientinnen und Patienten – was aus volkswirtschaftlicher und gesamtgesellschaftlicher Sicht relevant ist.
Diese digitalen und vernetzenden Versorgungsmöglichkeiten wären noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen! Sie sind auch der sukzessiven Öffnung der Strukturen und Akteure für diese durch Digitalisierung veränderten Prozesse zu verdanken. Maßgeblich hierfür ist jedoch ebenso die Weiterentwicklung in der Diabetestechnologie, die v.a. die Erhebung, Analyse, Bewertung diabetesrelevanter Informationen unterstützt.
Die aktuellen Prozesse und Verfahren sind hingegen leider nur bedingt geeignet, den zeitnahen Zugang zu innovativen Medizintechnologien zu gewähren – dies, obgleich Versicherte Anspruch auf eine Gesundheitsversorgung nach dem aktuellen medizinisch-technischen Stand haben. Aus diesem Grund ist es auch nicht hinnehmbar, dass sich Menschen mit Diabetes mit digitalem Know-how eigene AID-Systeme konstruieren (müssen), deren Einzelkomponenten zwar zugelassen sind, der Algorithmus jedoch keine Prüfung im Zuge einer Zulassung erfahren hat. Dies erfolgt, weil den Patienten der Zugang zu bereits international zugelassenen Systemen durch innovationshemmende Zulassungs- und Verwaltungsverfahren erschwert wird. Hier muss nicht erwähnt werden, dass AID-Systeme, deren Einzelkomponenten zwar geprüft sind, der Algorithmus jedoch keiner Prüfung im Rahmen einer Zulassung unterzogen wurde, potenzielle Fehler verursachen können, die zu dramatischen Folgen führen können. Der BVMed setzt sich daher für eine effektive Gestaltung der Prozesse bei der Einführung von Diabetestechnologien in die ambulante Versorgung ein. Dies erfordert verlässliche, verbindliche und transparente Verfahren bei der Aufnahme von Produkten in den Erstattungskatalog (Hilfsmittelverzeichnis). Klare Fristen und Anforderungen sind hierfür eine essenzielle Grundlage. Darüber hinaus gilt es, die Expertise der Entscheidungsgremien, namentlich also des GKV-Spitzenverbands, bei der Weiterentwicklung (Fortschreibung) des Erstattungskatalogs oder bei der Antragsbearbeitung zu stärken. Hierfür liegt die verpflichtende Einbeziehung von Sachverständigen bzw. in Form eines Expertengremiums nahe.
Auch für die Stärkung telemedizinischer Versorgungselemente ist der adäquate Rahmen zu schaffen: Um die bestehenden Potenziale zu nutzen, ist die telemedizinische Behandlung als elementarer Bestandteil der Diabetestherapie – auch im Rahmen von DMP − anzuerkennen. Dies erfordert die Einführung einer entsprechenden EBM-Ziffer, die den telemedizinischen Kontakt als vollwertigen Arzt-Patienten-Kontakt anerkennt und die entstehenden ärztlichen Aufwände vollumfänglich vergütet. Zudem gilt es, die derzeit vielfältigen Datenschutzanforderungen zu harmonisieren und somit den Zugang zu dieser modernen Versorgungsform zu stärken.
Eine weitere Schlüsselrolle bei der Weiterentwicklung der Therapie kommt der Qualifikation der Diabetesteams zu. In der Praxis besteht hier oft, auch zwischen den Sektoren, große Heterogenität. Die Einführung gesonderter Lehrstühle für Diabetes sowie von Aus- und Fortbildungen für ärztliches und nicht-ärztliches Personal zu diesem Schwerpunktthema muss der Bedeutung von Diabetes Rechnung tragen. Angesichts der zunehmenden Technologisierung gehört hierzu auch ein stärkerer Fokus auf technologiebasierte Diabetestherapien. Eine Stärkung der Diabeteskompetenz und die Harmonisierung der Regelungen zur Begutachtung sind auch bei den Medizinischen Diensten erforderlich.
Es braucht flächendeckende Vernetzung und Kooperation
All diese Maßnahmen sind jedoch undenkbar ohne die Diabetesteams, die Patientinnen und Patienten in ihrem Alltag unterstützen. Die Zusammenarbeit aus ärztlichen und nicht-ärztlichen therapeutischen Leistungserbringern stellt bereits heute regional die interprofessionelle Therapie sicher.
Diese in der Regel selektivvertraglichen Netzwerke der interprofessionellen Kooperation und Kommunikation müssen jedoch flächendeckend etabliert werden. Hierfür sind die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Im Gleichklang mit den gegenwärtigen Anstrengungen zur Stärkung der Pflege muss dabei auch reflektiert werden, wie sich die Rolle der nicht-ärztlichen Berufe in der Diabetestherapie der Zukunft gestalten wird.
Doch auch über die genannten Maßnahmen hinaus braucht es nach unserer Auffassung vor allem eines, um die Diabetesversorgung weiterzuentwickeln: einen gesamtgesellschaftlichen, interdisziplinären Diskurs über Diabetes – um Bewusstsein für die Ursachen und Folgen von Diabetes zu schaffen! Der BVMed wird sich hierfür einsetzen.
Quelle:
1. Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2020. Die Bestandsaufnahme
Medical-Tribune-Bericht