Transkulturelle Kompetenz ist gut für die Compliance
Herr Dr. Schmidt, gibt es eine Unterversorgung bei Patienten mit Migrationshintergrund?
Dr. Schmidt: Ja. Bei den Erwachsenen ist die Teilnahme an Vorsorge- und zahnmedizinischen Untersuchungen sowie Grippeimpfungen um 10 % geringer. Auch Angebote der Rehabilitation werden weniger genutzt. Bei zugewanderten Kindern ist die Impfquote niedriger. Eine deutliche Unterversorgung lässt sich bei Flüchtlingen bei der Traumabehandlung und Psychotherapie feststellen. Menschen ohne Krankenversicherung und Obdachlose sind unversorgt.
Deshalb ist es meiner Meinung nach wichtig, das Thema „Armut und Gesundheit“ bereits im Studium anzusprechen.
Geht es bei „interkultureller Medizin“ vor allem um gelingende Kommunikation?
Dr. Schmidt: Kommunikation gelingt besser, wenn wir Kenntnisse über die soziokulturell-religiöse Vielfalt der Patienten haben, da Gesundheit und Krankheit in kulturell vermittelten Vorstellungen, Bildern und Begriffen erlebt und beschrieben werden.
Wie lässt sich das in einer Praxis, wo der Arzt üblicherweise die Patienten nur wenige Minuten sieht, bewerkstelligen?
Dr. Schmidt: Transkulturelle Kompetenz kann die Arzt-Patienten-Beziehung und die Compliance verbessern, was den Umfang an Komplikationen und Kosten verringert. Gelingt es, Missverständnisse auszuräumen und Abwehrmechanismen zu beheben, verbessert das die Versorgung erheblich. 30 bis 80 % der Behandlungsfehler entstehen durch Kommunikationsdefizite und -fehler.
Was ist für eine erfolgreiche Therapie noch zu beachten?
Dr. Schmidt: Die Stichworte lauten: bessere Vernetzung und Zusammenarbeit, Ausbildung von Mentoren, Einsatz von Leitfäden und professionellen Dolmetschern sowie leichte Sprache. Mit sprechender Medizin und Prävention kann die Selbstwirksamkeit und Resilienz der Patienten besser erkannt und genutzt werden. Eine kultursensible Versorgung, Gesundheitskurse und das Einbinden der Patienten fördern die Akzeptanz der Angebote. Interkulturelle Medizin, Kommunikation und transkulturelle Kompetenz müssten fester Bestandteil in der Ausbildung der Therapeuten sein.
Menschen fühlen sich sicherlich bei einem hiesigen Arzt aus ihrer Heimat besser aufgehoben. Würden ein Ende des Fernbehandlungsverbots und Videosprechstunden eine Verbesserung bringen?
Dr. Schmidt: Für Patienten mit Sprachbarrieren kann ein Therapeut aus der Heimat eine Erleichterung sein. Das gilt allerdings nicht generell. Sinnvoll eingesetzte Telemedizin halte ich für eine Option. Wichtig wäre es aber auch, mehr Psychotherapeuten mit Migrationshintergrund zuzulassen.
Sie waren von 2011 bis 2016 Landtagsabgeordneter in Rheinland-Pfalz, jetzt arbeiten Sie wieder als Arzt. Wo lässt sich mehr bewegen?
Dr. Schmidt: Die Kenntnisse und Erfahrungen aus beiden Feldern können dazu beitragen, die Qualität der Patientenversorgung zu verbessern sowie unsere Berufsgruppe zu entlasten und zu stärken.