Kaputte Ampel und die Folgen Was wird aus Lauterbachs Lieblingsprojekt?
Es war eine „Wahnsinns-Woche“ – so nannte sie ein Berliner Radiosender –, die dem Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung vorausging: Trumps Triumph bei der US-Wahl, der die Welt in Atem hielt, und ein Haushaltsstreit in Deutschland, mit dem sich die Ampel das Licht selbst ausknipste.
Gesundheitspolitik kam mit der Ampel gut in Fahrt
Als ein Minister einer Regierung, die seit wenigen Tagen nur noch zu zwei Dritteln existiert, kam Prof. Dr. Karl Lauterbach zum Wirtschaftsgipfel. Doch statt gegen die kaputte Ampel-Regierung zu wettern, schlug er versöhnliche Töne an – es gab sogar Lob. „Im Bereich der Gesundheitspolitik hat die Ampel, einschließlich der FDP, sehr gut gearbeitet“, erklärte der Mediziner und Gesundheitsökonom, der seit Ende 2021 Bundesgesundheitsminister ist.
Im Gegensatz zu Kanzler Olaf Scholz, der den Bundesfinanzminister am Mittwoch vor dem Wirtschaftsgipfel enttäuscht entließ („Zu oft hat Lindner mein Vertrauen gebrochen“), blieb Prof. Lauterbach diplomatisch. Mit Christian Lindner sei er immer „über die Runden gekommen“, beim Krankenhausreformgesetz etwa hätten sie sich „nicht im Weg gestanden“ und mit der „marktliberalen FDP“ wären auch weitere Gesetze „machbar gewesen“. Unterm Strich: „Gute Arbeit“, so der Bundesgesundheitsminister. Diese „nachträglich in Abrede zu stellen, wäre nicht redlich“. Kritik gab es trotzdem, denn „durch das Handeln von Christian Lindner, ich will nicht mal sagen der FDP“, sei es erst zum Ampel-Aus gekommen.
Den anliegenden „Reformstau“ habe man zumindest „gemeinsam überwinden“ und wichtige Gesetze verabschieden können. Die Krux der jetzigen Krise: Einige Gesetzesvorhaben stehen knapp vor ihrem Abschluss, während die Ampelkoalition schon am Ende ist.
Vor allem Prof. Lauterbachs Lieblingsprojekt, die Krankenhausreform, steckt noch in der Pipeline. Zwar wurde das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz, das ambulante und stationäre Sektoren enger verzahnen soll, vom Bundestag verabschiedet. Am 22. November (Erscheinungstermin dieser Ausgabe) entscheidet jedoch der Bundesrat, ob er dazu den Vermittlungsausschuss anruft oder das Gesetz billigt.
Sollte der Gesetzentwurf in den Vermittlungsausschuss kommen, würden „die Länder versuchen, die Qualitätsziele zu verwässern“. Was bedeute: Eine Reform, die über einen Zeitraum von zehn Jahren knapp 80 Mrd. Euro kosten soll, würde zur „Scheinreform“ verkommen. Der Minister nennt das „deutsche Lösungen“ in der Gesundheitspolitik: Man nimmt sehr viel Geld in die Hand, im Prinzip bleibt aber alles wie vorher. „Das können wir uns nicht weiter leisten.“
Denn die deutsche Krankenhausversorgung sei zwar „sehr teuer“ im internationalen Vergleich, weise allerdings „große Qualitätsdefizite auf, vor allem bei der Krebsbehandlung“. Die Rechtsverordnung für die Umsetzung der Reform will der Minister deshalb noch in dieser Legislaturperiode unbedingt noch auf den Weg bringen. Die Termine für Vertrauensfrage (Dezember 2024) und Neuwahl des Bundetags (23. Februar 2025) stehen jedenfalls.
Wie Volkskrankheiten verhindern?
„Die nationale Diabetesstrategie dümpelt schon viel zu lange vor sich hin“, sagte Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. In Berlin verwies er auf die knapp 11 Mio. Menschen mit Diabetes in Deutschland. „Der Diabetes-Tsunami rollt weiter auf uns zu“, warnte er. In der nächsten Legislatur müsse man bei der Prävention von Volkskrankheiten wie Diabetes und Adipositas deshalb „viel schneller vorankommen“ und die Gesellschaft auch für onkologische Erkrankungen stärker sensibilisieren. Die Digitalisierung könne hierbei unterstützen.
Auf das Ampel-Aus hat Prof. Lauterbach bereits zügig mit einer Ministerverordnung reagiert, die er im Umlaufverfahren ins Kabinett gebracht hat. Es ging darum, den Beitragssatz in der Pflege zum 1. Januar 2025 um 0,2 Prozentpunkte auf 3,6 % des Bruttolohns anzuheben, und so die erwarteten Zahlungsschwierigkeiten der Pflegekassen abzuwenden.
Man müsse nun schnell wieder zur einer „funktionsfähigen Regierung“ kommen und ein „gutes Umfeld für Innovationen“ schaffen, betonte Fridtjof Traulsen, Vorsitzender der Geschäftsführung Boehringer Ingelheim Deutschland. Dafür sei es allerhöchste Zeit, denn Krebsmedikamente seien derzeit in den USA, dem wichtigsten Markt der Pharmaindustrie, im Schnitt zwei bis drei Jahre früher erhältlich als hierzulande. Und kein Geldgeber werde z. B. ein Start-up unterstützen, das nicht auf den amerikanischen Markt fokussiere, so Traulsen. Zwei Hürden müssten die Hersteller neuer Medikamente in Europa nehmen: die Zulassung und die Erstattung.
Korsett für Verhandlungen über Arzneimittelpreise
Die Pharmaindustrie stößt sich vor allem am GKV-Finanzstabilisierungsgesetz vom November 2022, mit dem die Preisfindungsregeln für neue Arzneimittel in ein starres Vorgabenkorsett gepresst worden seien, was die Verhandlungen über den Erstattungsbetrag angehe, kritisiert u.a. der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa). Damit würden G-BA-Beschlüsse zum Zusatznutzen entwertet, die nutzenbasierte Preisfindung ausgehebelt. Ein im Vergleich zur Standardtherapie besseres Arzneimittel erhalte somit nicht mehr unbedingt einen höheren Preis, so der vfa. Zudem gab es pauschale Preisabschläge für Kombinationstherapien.
Mit Blick auf das AMNOG-Verfahren sagte Traulsen: „Wir müssen eine Lösung finden, dass Arzneimittel, die einen Zusatznutzen haben, auch teurer verkauft werden können.“ Andernfalls sei der deutsche Markt hier nicht mehr interessant.
Der Minister verwies noch auf das Medizinforschungsgesetz, das die Rahmenbedingungen für die Entwicklung, Zulassung und Herstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten vereinfachen soll. Dieses ist bereits im September in Kraft getreten.
Quelle: SZ Wirtschaftsgipfel