Betreuung von Diabetespatienten „Wir müssen auch an die Versorgungsstrukturen ran“
Ausgangspunkt für das Interview war die Teilnahme von Dr. Beier an einer Pro-Kontra-Diskussion zur Zukunft der Diabetologie während der Fortbildungskonferenz diatec 2024 in Berlin. Zusammen mit Toralf Schwarz, Vorsitzender des Bundesverbandes Niedergelassener Diabetologen, und dem Publikum ging es um den Einsatz von Diabetestechnologie in den Hausarztpraxen und um eine bessere Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und Diabetologen. Die Fragen wurden im Nachgang gestellt.
Welche Rolle haben Hausarztpraxen in der Versorgung von Menschen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes?
Dr. Beier: 80 bis 90 % der Patientinnen und Patienten mit Diabetes werden dauerhaft von Hausärztinnen und Hausärzten versorgt. Die allermeisten bieten natürlich auch das DMP Diabetes an. In unseren Praxen ist das also eines der präsentesten Krankheitsbilder. Und leider müssen wir davon ausgehen, dass die Zahl der Betroffenen weiter zunehmen wird.
Welchen Ansatz sehen Sie, Hausarztpraxen hinsichtlich der Diabetestechnologie besser zu befähigen?
Dr. Beier: Zum einen bieten wir über das Institut für hausärztliche Fortbildung im Hausärztinnen- und Hausärzteverband eine Vielzahl von Fortbildungen im diabetologischen Bereich an. Wir müssen aber auch an die Versorgungsstrukturen ran. Das A und O ist eine bessere und strukturiertere Zusammenarbeit der verschiedenen Versorgungsebenen von der Hausarztpraxis über die Schwerpunktpraxen bis hin zur stationären Versorgung – Stichwort Hausarztverträge und die fachärztliche Anbindung an diese. Ein weiterer Punkt ist die Weiterentwicklung des DMP – gerade im Bereich Digitalisierung. Darüber hinaus braucht es auch außerhalb des DMP eine stärkere Förderung digitaler Diagnose- und Therapieelemente.
Ist gerade für moderne Aufgaben mehr strukturierte Zusammenarbeit nötig mit den Diabetologen?
Dr. Beier: Sowohl die klassischen Hausärztinnen und Hausärzte als auch die diabetologischen Kolleginnen und Kollegen sind tagtäglich mit einem sehr hohen Arbeitsdruck konfrontiert. Wir müssen daher die begrenzten Ressourcen deutlich effizienter nutzen. Ansonsten leidet die Qualität der Versorgung. Eine der größten Gefahren für die Patientinnen und Patienten ist, dass die eine Hand nicht weiß, was die andere macht. Das gilt für die Diabetesversorgung genauso wie für viele andere Krankheitsbilder.
Wie eine strukturierte Zusammenarbeit aussehen kann, zeigen die Verträge zur Hausarztzentrierten Versorgung (HzV). Durch die hausärztliche Steuerung und die zielgenaue Einbindung der jeweiligen Spezialisten gibt es deutlich weniger Brüche in der Versorgung, eine bessere Kommunikation und weniger unnötige Doppeluntersuchungen. Die wissenschaftlichen Evaluationen zeigen, dass dies gerade die Versorgung von Diabetikerinnen und Diabetikern qualitativ deutlich verbessert. An den HzV-Verträgen nehmen bundesweit bereits knapp neun Millionen Menschen teil. Gleichzeitig braucht es natürlich die von uns seit vielen Jahren geforderte EBM-Reform. Der EBM muss sich an den Notwendigkeiten der Versorgung orientieren. Stattdessen hat er ein Eigenleben entwickelt. In vielen Bereichen ist er inzwischen geradezu versorgungsgefährdend.
Welche Rolle in der Betreuung können qualifizierte Fachkräfte spielen wie Versorgungsassistentinnen in der Hausarztpraxis (Verah), Praxismanagerinnen oder Physician Assistants (PA)?
Dr. Beier: Als Verband setzen wir uns für das Modell der hausärztlichen Teampraxis ein. Wir sind davon überzeugt, dass in Zukunft die Versorgung der Patientinnen und Patienten noch stärker durch ein Versorgerteam, geleitet von der Hausärztin oder dem Hausarzt, stattfinden wird. Jede Fachkraft wird dabei je nach Kompetenzen eingesetzt.
Diese Vorschläge haben wir in dem Versorgungskonzept „Hausärztliches Primärversorgungszentrum – Patientenversorgung Interprofessionell“, kurz HÄPPI, aufgeschrieben. Verah oder PA nehmen dabei eine ganz zentrale Rolle ein, gerade bei der Versorgung chronischer Patientinnen und Patienten. Im Rahmen der Verah-Fortbildung ist beispielsweise das Thema „Diabetischer Fuß“ ein festes Element. Das können und wollen wir noch weiter ausbauen. Dadurch, dass wir nicht-ärztliche Fachkräfte stärker in die Versorgung einbinden, haben wir Ärztinnen und Ärzte mehr Zeit, uns um die wirklich schweren Fälle zu kümmern. Gleichzeitig entstehen so keine neuen Schnittstellen – anders als bei Modellen, bei denen neue Parallelstrukturen geschaffen werden.
Sind primärärztliche Versorgungszentren eine gute Idee, um die vielen Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes erfolgreich und modern zu betreuen?
Dr. Beier: Wir glauben, wie gesagt, dass Versorgungsstrukturen, wie wir sie im HÄPPI-Konzept erarbeitet haben, ein sehr zentraler Ansatz sind, um Versorgung in einer alternden Gesellschaft sicherzustellen. Ob der Ansatz der primärärztlichen Versorgungszentren dafür der richtige Rahmen ist, hängt davon ab, was der Gesetzgeber am Ende konkret ins Gesetz schreibt. Was dabei aber noch einmal wichtig ist zu betonen: Größere Versorgungseinheiten werden in Zukunft sicherlich zunehmen, es braucht aber zwingend auch die Einzelpraxen. Nicht jede Praxis muss zu einer HÄPPI-Praxis oder einem primärärztlichen Versorgungszentrum werden.
Welche Erleichterungen erwarten Sie und Ihr Verband vom angekündigten Versorgungsstärkungsgesetz I bei der Betreuung chronisch Kranker?
Dr. Beier: Zunächst einmal ist es eine gute Nachricht, dass der Bundesgesundheitsminister konkrete Pläne vorgestellt hat, wie er die hausärztliche Versorgung stärken will. Dafür haben wir lange gekämpft. Jetzt muss allerdings auch geliefert werden. Von Absichtserklärungen allein kann sich niemand etwas kaufen.
Insgesamt bewerten wir die angekündigten Maßnahmen positiv. Dass wir von diesem starren Quartalsbezug wegkommen müssen, ist, glaube ich, offensichtlich. Nicht jeder Chroniker muss zwingend zweimal im Quartal in die Praxis kommen. Das Abrechnungssystem gibt genau das aber derzeit vor. Die Umsetzung wird in dem abstrus komplexen EBM-System mit Sicherheit nicht trivial. Übrigens: In den HzV-Verträgen haben wir dieses starre Quartalsdenken schon länger überwunden.
Gibt es eine berufspolitische Zusammenarbeit mit der Diabetologie, zum Beispiel zur Verbesserung von Diabetes-DMP-Verträgen?
Dr. Beier: Wir hoffen und sind auch dazu bereit, die Kooperation intensiver auszugestalten. Wir halten das definitiv für den richtigen Weg. Natürlich gibt es einige Baustellen, die wir anpacken müssen. Wichtig ist aus unserer Sicht beispielsweise, dass die Versorgungsaufträge stringenter geklärt werden. Ein Bereich, den man sich dann in der Folge auch anschauen muss, sind die Abrechnungsmodalitäten.
Dadurch, dass die meisten Kolleginnen und Kollegen, die schwerpunktmäßig diabetologisch tätig sind, Hausärztinnen und Hausärzte sind, werden Versorgung und Vergütung aus dem hausärztlichen EBM heraus gestaltet. Das kann und sollte man im Einzelfall gerechter ausgestalten.
Wie sicher würden Sie sich fühlen, wenn Sie ein System zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM-System) verordnen und dem Patienten erklären müssten?
Dr. Beier: Ich persönlich bin aufgrund meiner berufspolitischen Arbeit inzwischen leider eher selten in der Praxis und der kontinuierlichen Chronikerbetreuung tätig. Viele hausärztliche Kolleginnen und Kollegen sind hier allerdings sehr gut aufgestellt!
Quelle: Medical-Tribune-Interview