Zwölf Monate Super-Spahn in Action
Lieber Jens Spahn,
jetzt sind Sie schon über ein Jahr Gesundheitsminister. Und es ist fast genauso lange her, dass ich meinen ersten Brief an Sie geschickt habe, in dem ich Ihnen von den Baustellen des deutschen Gesundheitssystems erzählt habe. Wollen wir noch mal einen Blick drauf werfen, was damals brannte?
Beginnen wir mit dem Arzt-Informations-System. Es ist zumindest entschärft, hat doch das Bundessozialgericht das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg aufgehoben. Mischpreise seien bei Patientengruppen mit unterschiedlichem Zusatznutzen „unerlässlich“, urteilten die Richter.
Die Baustelle Ärztemangel dagegen besteht unverändert weiter. In einem Seminar der Vorklinik mit 15 zufällig ausgewählten Medizinstudierenden sitzen zwei mit einem Teilstudienplatz, d.h., sie werden nach dem Physikum zwangsexmatrikuliert, und drei, die sieben Jahre auf einen Studienplatz gewartet haben.
Sie haben sich auch nicht wirklich der Sorgen und Nöte der „Jungen Ärzte“ angenommen, die mehr Zeit für Patienten fordern und sich gegen die Ökonomisierung in der Medizin aussprechen. Was sagen Sie – können wir Ende 2019 mit Ergebnissen der Kommission rechnen, die sich um die Angleichung der Honorare und die (Teil-)Abschaffung der Budgetierung kümmern soll?
Die großmütig angekündigte sektorenübergreifende Versorgung scheint – außer vielleicht bei der Notfallversorgung – kein Thema mehr zu sein. Vor allem der ärztliche Nachwuchs hatte sich davon viel versprochen. Dafür werfen Sie Nebelkerzen, indem Sie die Apotheken für Grippe-Impfungen öffnen wollen. Und wenn ein Gesundheitsökonom Prof. Dr. Uwe May feststellt, dass es keine Rolle spielt, ob Menschen sich in einer Praxis oder einer Apotheke impfen lassen, dann spielt es auch keine Rolle, ob die Patienten ihre Medikamente in der Arztpraxis oder in der Apotheke bekommen. Oder will die Politik Sand ins Getriebe streuen? Passt ihr das gute Miteinander von Apothekern und Ärzten nicht – getreu dem Motto „divide et impera“?
Die Pflegereform liegt Ihnen aber schon am Herzen, bereits am Tag nach Ihrer Vereidigung haben Sie sich ihrer angenommen. Mit neun Milliarden Euro wird das Pflegepersonalstärkungsgesetz ausgestattet. Aber erlauben Sie mir die Frage: Wie wollen Sie die fehlenden Pflegekräfte eigentlich aus dem Hut zaubern?
Das Terminservice- und Versorgungsgesetz TSVG ist aber schon mal in Kraft. Geklärt werden muss allerdings noch, von welchen Fachgruppen die offene Sprechstunde angeboten werden muss. Immerhin sollen mit dem TSVG 1,2 Milliarden Euro pro Jahr in unseren Honorartopf fließen, u.a. für Patienten, die direkt über die Terminservicestellen kommen. Und schon ist unser Protest, der mit Recht laut wurde wegen unwürdiger Eingriffe in unsere Praxisorganisation, wieder verstummt...
Die Themen Masern-Impfpflicht und mehr Organspender mit der Widerspruchslösung haben Sie mutig angefasst. Ich hoffe, die Mehrheit der Abgeordneten wird Ihnen dabei folgen.
Sehr ernst nehmen Sie das Thema Telematik im Gesundheitswesen. Sie sind jetzt der Mehrheitsbeteiligte der zuständigen Gesellschaft gematik.
Und wie ernst nehmen Sie, lieber Herr Spahn, die aufgetretenen Sicherheitslücken? Wollen Sie warten, bis die ersten Praxen gehackt sind? Der Digitalisierungsbefürworter Dr. Markus Müschenich bringt es auf den Punkt: „Wenn ich als Hersteller eine Software, die die Sicherheit der Datenübertragung garantieren soll, zur Installation bereitstelle, mache ich mir doch Gedanken darüber, ob ich dazu eine Firewall deaktivieren muss! Allein die Tatsache, dass dies jetzt als Problem hochkocht, zeigt, dass man zu wenig darüber nachgedacht hat, wie sich die TI-Anschlüsse sicher implementieren lassen. Und das beweist, dass wir momentan ein Systemproblem mit der gematik, dem technischen Konzept und dessen Umsetzung haben.“
Abschließend noch ein großes Lob, lieber Herr Spahn: Im Verwaltungsrat des MDK sollen künftig Vertreter der Patienten, der Pflegebedürftigen, der Verbraucher sowie der Ärzteschaft sitzen. Vielleicht hören dann ja die prinzipiell ablehnenden Bescheide des MDK auf, die immer erst nach mehreren Widersprüchen seitens des Patienten und Stellungnahmen des Hausarztes zurückgenommen werden.
Na dann, Herr Spahn, das war‘s erst mal. Bis zum nächsten Jahr!