Meine ganz persönliche Statin-Gruselgeschichte
Mit schmerzendem Hinterteil und angemessen verwirrt fand ich mich letztes Jahr auf meinem Flurfußboden wieder. Was war passiert? Meine schmerzenden Waden halfen meinem Gedächtnis auf die Spur: Unerträgliche Krämpfe hatten mich erst aus dem Bett und dann Richtung Flur getrieben, in der Hoffnung, mit etwas Magnesium Besserung zu erreichen. Natürlich weiß ich, dass das im Anfall nicht hilft, hoffte aber auf eine Placebowirkung.
Als die Krämpfe sich aber auf Muskeln ausdehnten, deren Namen mir allenfalls noch aus dem Anatomieunterricht vor 40 Jahren geläufig waren, verabschiedete sich mein Körper in eine gnädige Ohnmacht. Bevor es wieder dunkel um mich wurde – die Krämpfe hatten sich nach dem Wachwerden gleich wieder eingestellt –, schaffte ich es wenigstens bis zum Badezimmer.
Einige schmerzhafte Zeit später saß ich googelnd im Bett. Hatte ich doch selbst meine Kinder ohne medikamentöse Schmerzlinderung bekommen und hielt mich nicht unbedingt für ein Weichei. Konnte es sein, dass das Simvastatin, das ich wegen scheußlicher LDL-Werte seit einem Jahr nahm, an diesem nächtlichen Drama Schuld war? Obgleich meine Waden sonst schmerzfrei waren?
Rückblickend hatte ich immer mal nächtliche Krämpfe gehabt, High Heels, alkoholfreies Weizenbier oder langes Sitzen führten unweigerlich dazu. Doch es war immer schlimmer geworden. Ich beschloss, Atorvastatin zu versuchen und auf geringere Nebenwirkungen bei niedrigerer Dosierung zu hoffen.
Pustekuchen. Eines Nachts krampfte nicht nur die Wade, sondern auch die Stimmritze (eine gewisse hysterische Komponente mag hinzugekommen sein), und ich schlug dem Mann meines Herzens nach einem gehauchten „Ich kriege keine Luft mehr!“ längelang vor die Füße. Der schmiedeeiserne Kerzenleuchter, den ich im Fallen mitriss, landete zum Glück neben meinem Kopf. „Soll ich den Notarzt holen?“ war das erste, was ich wieder hörte, aber ich konnte meinen Mann beruhigen. Die gnädige Ohnmacht hatte alles wieder in Ordnung gebracht.
Nun hat keiner gerne ein hohes LDL, auch ohne andere Risikofaktoren und mit einem gesunden Lebensstil. Also machte ich tapfer einen Versuch mit Pravastatin, der zwar nicht ganz so dramatisch, aber wiederum mit schwersten Krämpfen endete. Übrigens immer erst nach einigen beschwerdefreien Monaten, weshalb ich meinem universitär renommierten Kollegen widersprechen muss, der auf einer Fortbildung unlängst konstatierte: „Wenn jemand einige Monate ein Statin verträgt, tut er das auch weiterhin.“
Statine retten Leben, Statine werden teils gießkannenartig auf unsere Patient/innen verteilt, Statine sollen den LDL bei Gefäßpatienten unter 70 mg/dl senken. Alles verständlich, aber vielleicht haben auch Ihre Schützlinge schlimme Krämpfe, die sie nicht erwähnen, weil sie sie nicht auf das Statin zurückführen. Ich habe allerlei Gruselgeschichten erfahren, nachdem ich mir angewöhnt hatte, danach zu fragen, und ich hoffe, dass es außer Ezetrol und den irrwitzig teuren PCSK9-Inhibitoren bald noch Weiterentwicklungen geben wird. Bis dahin freue ich mich, dass der fallende Kerzenleuchter mein Leben nicht ausgelöscht hat, und über fehlende Begleit-Risikofaktoren. Für mich gibt es keine Statine und seitdem auch keine Krämpfe mehr.
Wo aber setze ich die Grenze bei meinen Patient/innen, die (noch) nicht im Hochrisiko leben? Gehe ich nach dem CK-Wert? Rate ich dazu, eine gewisse Leidensfähigkeit für Krämpfe zu entwickeln, wenn die nicht gar so dramatisch sind? Hoffe ich auf Ezetimib, das mich eigentlich nur als „Add-on“ überzeugt, oder darauf, mit noch mehr diätetischer Restriktion noch ein paar Pünktchen Senkung zu gewinnen? Am besten alles gleichzeitig. Pharmaindustrie, übernehmen Sie! Die Entwicklung der AT1-Antagonisten für Husten- Geplagte nach ACE-Hemmern haben Sie doch auch geschafft!