Adipöse brauchen eine individuelle Medikamentendosis

Dr. Alexandra Bischoff

Die Dosierung von Medikamenten für Übergewichtige kann zur Herausforderung werden. Die Dosierung von Medikamenten für Übergewichtige kann zur Herausforderung werden. © fotolia/Vadym

Die medikamentöse Therapie Adipöser kann nicht einfach nach Schema F erfolgen. Denn die Gefahr einer Unter- bzw. Überdosierung ist bei dieser Personengruppe besonders groß. Auch die gewöhnliche Injektionsnadel ist mitunter zu kurz.

Unsere Patienten werden zunehmend schwerer, schreiben die klinischen Pharmakologen Dr. Marcus­ May und Professor Dr. Stefan­ Engeli­ von der Medizinischen Hochschule Hannover. Oftmals gestaltet sich die Versorgung von adipösen bis schwer adipösen Patienten mit Pharmaka im Praxis­alltag nicht ganz einfach, da folgende Zusammenhänge zwischen Körpergewicht und medikamentöser Therapie eine wichtige Rolle spielen:

  • Gewichtsabnahme oder -zunahme durch das Medikament
  • veränderte Kinetik
  • veränderte Wirksamkeit

Manche Arzneimittel reduzieren das Gewicht, ohne dass dies therapeutisch erwünscht ist. Dazu zählen beispielsweise Topiramat (antiepileptische Therapie, Migräne-Prophylaxe), Roflumilast (COPD-Therapie), Bupropion und Fluoxetin (Depression). Zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, klingt zwar verlockend, aber da diese Arzneimittel nicht zur Gewichtsreduktion entwickelt wurden, sollten sie auch nicht als Abnehmhilfe missbraucht werden, so die Autoren.

Als Sonderfall gelten Medikamente wie beispielsweise GLP-1-Analoga und SGLT2-Inhibitoren bei der Therapie des Typ-2-Diabetes. Bei ihnen ist eine gewichtsreduzierende Wirkung erwünscht, die vermutlich auch teilweise die Wirksamkeit erklärt. Zur gezielten Gewichtsabnahme steht derzeit eine Auswahl an chemischen, pflanzlichen und homöopathischen Präparaten zur Verfügung. Die einzigen Medikamente, deren Wirkung und Sicherheit bis heute in großen Studien nachgewiesen wurden, sind Orlistat (Lipasehemmer) und Liraglutid (GLP-1-Analogon). Ein neues Kombinationspräparat aus Bupropion und Naltrexon ist im Januar 2018 auf den Markt gekommen. Die Autoren betrachten es aber wegen der zahlreichen unerwünschten Wirkungen eher skeptisch.

Zu den gewichtssteigernden Medikamenten zählen:

  • atypische Neuroleptika (Clozapin, Olanzapin, Risperidon)
  • Antidiabetika (Insulin, Sulfonylharnstoffe und Pioglitazon)
  • Immunsuppressiva (Glukokortikoide, Ciclosporin, TNF-Blocker)
  • Lithium
  • Antidepressiva (Nortriptylin, Doxepin, Amitriptylin, Mirtazapin)
  • Antiepileptika (Pregabalin, Valproat, Gabapentin)
  • β-Blocker (Propanolol, Atenolol, Metoprolol)

Insbesondere im stark adipösen Körper (BMI > 35 kg/m2) spielt bei der Absorption die Applikationsform eine große Rolle. Transdermal, subkutan oder intramuskulär verabreichte Arzneimittel werden vom Körper deutlich langsamer aufgenommen als dies bei normalgewichtigen Patienten der Fall ist. Manche landen versehentlich subkutan, weil die Injektionsnadeln zu kurz sind.

Die richtige Menge Stoff für XXL-Formate
Unfraktioniertes Heparin
  • Gesamtkörpergewicht zur Berechnung der Infusionsrate in der Akuttherapie führt wahrscheinlich zur Überdosierung
  • Überwachung anhand der aPTT obligat!
Niedermolekulare Heparine
  • individuelle risikoadaptierte Dosiserhöhung scheint sicherer als Berechnung anhand des Körpergewichts
  • Dosisbegrenzungen sind aufgrund reduzierter Wirksamkeit wahrscheinlich nicht sinnvoll
  • Anti-Faktor-Xa-Aktivität gibt keine ausreichende Sicherheit bei der Dosisanpassung
β-Lactam-Antibiotika
  • Standarddosierungen führen zu niedrigerer Serumkonzentration als bei Normalgewichtigen
  • bei schweren Infektionen obere Grenze der empfohlenen Standarddosis oder höchste effektive Dosis wählen
Fondaparinux
  • empfohlene Prophylaxe-Dosis wahrscheinlich zu niedrig
  • Akuttherapie mit größtmöglicher Dosis
  • Therapiekontrollen nur anhand der Plasmakonzentration möglich
Ethambutol
  • körpergewichtsbezogene Tageshöchstdosis empfohlen
  • Cave: Optikusneuropathie infolge Überdosierung!

Die Dosiswahl bei Adipositas erfordert gewisse Kenntnisse über die pharmakokinetischen Eigenschaften des Präparats, insbesondere von Lipophilie und Verteilungsvolumen. Bei Medikamenten mit fixen Dosisvorgaben ist die Gefahr einer Unterdosierung hoch. Hingegen droht bei Arzneimitteln, die nach Körpergewicht bzw. -oberfläche dosiert werden, eine Überdosierung. Um beides zu vermeiden, sollte die Dosis individuell angepasst werden. Die Problematik ist bekannt – umso erstaunlicher ist es, wie wenig adipositasspezifische Dosisempfehlungen tatsächlich existieren.

Auf stark adipöse Patienten sind die üblichen Formeln zur Bestimmung der glomerulären Filtrationsrate ggf. nicht anwendbar, weil sie für BMI > 36 kg/m2 nie validiert worden sind (z.B. Cockroft-Gault-Formel) oder von einer zu geringen Körperoberfläche ausgehen (MDRD-Formel). Selbst neuere Formeln wie beispielsweise die EPI-CKD-Formel oder Dosisberechnungen bei Zytostatika anhand der Körperoberfläche (Cave: Überdosierung!) sind nicht verlässlich. 

Quelle: May M, Engeli S. internistische praxis 2018; 58: 674-686

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