Alt, zierlich, nierenkrank: Fragile Patienten sicher antikoagulieren

Dr. Daniela Erhard

Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion, einem Lebensalter über 75 Jahre sowie einem niedrigen Körpergewicht gelten als „fragil“. (Agenturfoto) Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion, einem Lebensalter über 75 Jahre sowie einem niedrigen Körpergewicht gelten als „fragil“. (Agenturfoto) © iStock/kupicoo

Fragile Patienten sicher zu antikoagulieren, gilt auch im Zeitalter der NOAK als große Herausforderung. Eine Dosisreduktion auf gut Glück ist aber keine gute Idee.

Patienten mit einer eingeschränkten Nierenfunktion (GFR < 50 ml/min.), einem Lebensalter über 75 Jahre sowie einem niedrigen Körpergewicht (< 50 kg) gelten als „fragil“. Sie weisen ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle und Blutungen auf. Das macht es nicht einfach, die richtige Antikoagulation für sie zu finden.

Die Sorge vor Stürzen ist meist unbegründet

Aus Sorge um ihre Sicherheit, vor allem aus Furcht vor Stürzen, erhalten Senioren häufig nur ein Anti­koagulans in reduzierter Dosis, einen Plättchenhemmer oder gar keine Behandlung. Diese Sorge ist jedoch vielfach unbegründet, betonten die Angiologen Privatdozent Dr. Joerg Herold und Professor Dr. Rupert Bauersachs vom Klinikum Darmstadt. So scheinen antikoagulierte Patienten weder deutlich häufiger hinzufallen noch führten Stürze vermehrt zu starken Blutungen.

Das Vorgehen stamme zudem aus Zeiten, in denen es außer den Vitamin-K-Antagonisten (VKA) keine alternativen oralen Präparate gab. Mittlerweile stehen mit den NOAK jedoch Substanzen zur Verfügung, die nach bisherigen Erkenntnissen nicht schlechter wirken, aber seltener zu schweren Blutungen führen.

Durchaus ein Problem stellen Nierenfunktionsstörungen dar. Kommt ein Vorhofflimmern hinzu, was bei eingeschränkter Nierenfunktion öfter der Fall ist, kann das Schlaganfallrisiko bis auf das Vierfache, bei terminaler Niereninsuffizienz sogar bis auf das Zwanzigfache der Allgemeinbevölkerung steigen. Gleichzeitig treten bei fragilen, nierenkranken Personen unter Antikoagulation etwa doppelt so viele schwere Blutungen auf wie bei Nierengesunden. Zwar schneiden auch hier NOAK hinsichtlich der Sicherheit und der Filtrationsleistung der Nieren besser ab als VKA, bedenkenlos antikoagulieren lässt sich damit trotzdem nicht.

Zum einen, weil ältere Menschen häufig weitere Erkrankungen haben, und man wie bei den VKA auf mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten achten muss. Zum anderen, weil die Wirkstoffe abhängig von Nierenfunktion, Komedikation, Körpergewicht und/oder dem Alter nur dosisreduziert eingesetzt werden dürfen. Praktikabel ist das nicht unbedingt: So muss man beispielsweise die Dosis von Apixaban schon verringern, wenn der Patient über 80 Jahre alt ist und lediglich 60 kg wiegt. Das steigere jedoch nur das Schlaganfallrisiko – ändere am Blutungsrisiko aber nichts, fassen die Autoren entsprechende Ergebnisse von Studien zusammen.

Bei eingeschränkter Nierenfunktion sieht das anders aus. Hier muss man alle NOAK früher oder später niedriger dosieren – und manchmal sollten sie schon abgesetzt werden, wenn die Zulassung sie noch erlaubt. So darf man Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban in adäquater Dosis bis zu einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) von 15 ml/min verordnen, sollte aber nach Empfehlung der Europäischen Kardio­logischen Gesellschaft schon bei Werten unter 30 ml/min davon absehen. Für Dabigatran mit einer renalen Elimination von 80 % besteht ab diesem Wert sogar eine Kontraindikation. Zur Behandlung des Vorhoflimmerns bei fragilen Patienten kann man alternativ unter Umständen den Vorhofohrverschluss erwägen.

Mit Apixaban oder Rivaroxaban starten

Ein Manko aktueller Studien sehen die Autoren darin, dass NOAK in niedrigerer Dosis oft bei bei nierengeschädig­ten Patienten mit Vorhofflimmern­, aber kaum bei solchen mit venösen Thromboembolien­ (VTE) getestet würden. Gefürchtet sind hier unter einer VTE-Therapie besonders Rezidive und relevante Blutungen – vor allem in den beiden Wochen nach Beginn. Allerdings liegt die Rate tödlicher Lungenembolien je nach Kreatinin-Clearance zwischen 1 und fast 7 % – und damit deutlich höher­ als die Raten an tödlichen Blutungen von 0,2–1,2 %. Insofern müsse man bei diesen Patienten auf eine ausreichende und möglichst stabile Anti­koagulation achten, betonen die Angiologen.

Wer schon initial mit NOAK behandeln will, kann das mit Rivaroxaban oder Apixaban tun. Selbst bei fragilen Patienten kann man zunächst die volle zugelassene Dosis einsetzen. Erst nach 21, unter Apixaban nach 7 Tagen, erfolgt dann die Reduktion. Möchte man initial nicht mit den hohen Dosen der VTE-Therapie arbeiten, könnte nach Ansicht der Experten Edoxaban in reduzierter Dosis nach einwöchiger Gabe von niedermolekularen Heparinen (NMH) eine Alternative bieten. Auch Dabigatran kommt dann infrage.

Zudem mahnen die Autoren, die Dauer der oralen Antiko­agulation bei fragilen Patienten kritisch zu prüfen. Mindestens drei Monate sollten es schon sein. Aber gerade, wenn es sich um eine passagere Ursache der Thrombose handelt, empfiehlt es sich, die Therapiezeit eher kurz zu halten.

Quelle: Herold J, Bauersachs R. Dtsch Med Wochenschr 2020; 145: 1562-1568; DOI: 10.1055/a-1200-7895

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Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion, einem Lebensalter über 75 Jahre sowie einem niedrigen Körpergewicht gelten als „fragil“. (Agenturfoto) Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion, einem Lebensalter über 75 Jahre sowie einem niedrigen Körpergewicht gelten als „fragil“. (Agenturfoto) © iStock/kupicoo