Antidepressiva gegen chronische Schmerzen normalisieren gestörte Reizweiterleitung

Friederike Klein

Antidepressiva können gegen chronische Schmerzen helfen. (Agenturfoto) Antidepressiva können gegen chronische Schmerzen helfen. (Agenturfoto) © iStock/Goodboy Picture Company

Im Rahmen einer multimodalen Therapie erhalten­ Patienten mit chronischen Schmerzen oft Koanalgetika wie Antidepressiva. Zu Recht, denn Trizyklika und SSNRI scheinen direkt in die Pathophysiologie einzugreifen.

Antidepressiva helfen Patienten mit chronischen Schmerzen nicht (nur) durch ihre stimmungsstabilisierende Wirkung. Vielmehr spielen Effekte auf die veränderte Reizweiterleitung eine Rolle, wie Dr. Stefanie Hoffmann von der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Universitätsklinik Aachen erläutert. Denn in diesen Fällen ist das deszendierende-hemmende Kontrollsystem in seiner Funktion eingeschränkt. Das betrifft insbesondere noradrenerge absteigende Bahnen.

Antidepressiva können deren Aktivität durch Hemmung der Wiederaufnahme von Noradrenalin beeinflussen. Parallel scheinen Dopamin und Serotonin unterstützend zu fungieren. Darüber hinaus gibt es Belege für weitere zentrale und periphere Effekte der Antidepressiva. Beispielsweise wird angenommen, dass sie die Produktion proinflammatorischer Zytokine reduzieren und die der antiinflamma­torischen Botenstoffe ankurbeln.

Die Empfehlungen zu den verschiedenen Formen chronischer Schmerzen hat Dr. Hoffmann aus den jeweiligen Leitlinien zusammengetragen (s. Tabelle). Am bes­ten belegt sei der analgetische Effekt für trizyklische Antidepressiva (TZA) und dual wirksame selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI, v.a. Duloxetin).

Empfehlungen der Leitlinien zur Therapie mit Antidepressiva
Chronischer SchmerzEmpfohlene Substanzen
Schmerz bei diabetischer Polyneuropathietrizyklische Antidepressiva (Kontraindikationen beachten!), Duloxetin (bis 60 mg/d)
Chronischer Kopfschmerzvorwiegend Amitriptlyn, sonst Doxepin, Imipramin, Clomipramin (Nebenwirkungen beachten) / 2. Wahl: Mirtazapin, Venlafaxin, alternativ: Moclobemid, Fluoxetin, Sulpirid
Kopfschmerz bei MedikamentenübergebrauchProphylaxe für Migränepatienten und solchen mit Spannungskopfschmerz, z.B. mit Amitriptlyn
Rückenschmerzenkeine spezifische Empfehlung, trizyklische Antidepressiva wahrscheinlich wirksam
Fibromyalgie-SyndromZeitlich begrenzte Therapie mit Amitriptlin (10-50 mg/d). Besteht eine Unverträglichkeit oder Kontraindikation, dann Duxolexin (offene Empfehlung).
Bei begleitenden depressiven Störungen oder Angststörungen Duloxetin (60 mg/d).
Ggf. sind SSRI (Fluoxetin 20-40 mg/d, Paroxetin 20-40 mg/d) möglich (offene Empfehlung)

Trizyklika

Bei den eingesetzten TZA kann man sich die eher sedierenden (z.B. Amitriptylin) beziehungsweise nicht-sedierenden Eigenschaften (z.B. Nortriptylin) individuell zunutze machen. Vor Gabe von TZA müssen Risikofaktoren und unerwünschte Arzneimittelwirkungen beachtet werden. Bei Engwinkelglaukom, Prostatahyperplasie, Delir, Miktionsstörungen, Darmentleerungsstörungen, kardialen Reizleitungsstörungen oder Herzinsuffizienz kommt eine TZA-Therapie allerdings (eher) nicht infrage. Außerdem können Arrhythmien, Xerostomie, Akkommodationsstörungen, Gewichtszunahme, Obstipation, Schwindel, Miktionsbeschwerden, orthostatische Dysregulation oder eine sexuelle Dysfunktion auftreten. Behandelt man nur den chronischen Schmerz, reicht eine niedrigere Dosis als bei Depression. Empfohlen wird, initial mit 10–25 mg zur Nacht zu beginnen und die Dosis schrittweise alle drei Tage um 10–25 mg auf 150 mg/d zu erhöhen.

Realistische Therapieziele

  • Schmerzen um 30–50 % reduzieren
  • Schlafqualität verbessern
  • Lebensqualität steigern n Soziale Aktivität, soziale Beziehungen sowie die Arbeitsfähigkeit erhalten

SSNRI

SSNRI sind insgesamt besser verträglich als TZA. Duloxetin hilft bei neuropathischen Schmerzen und Fibromyalgie-Syndrom, Venlafaxin bei diabetischer Neuropathie und in der Migräneprophylaxe. Eine Kontraindikation besteht für SSNRI bei Lebererkrankungen, schweren Nierenfunktionsstörungen, unkontrollierter Hypertonie und instabiler KHK, schreibt Dr. Hoffmann. Als typische Nebenwirkungen können vorkommen: Blasenfunktionsstörungen, Hyperhidrosis, Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Hypertonie und sexuelle Dysfunktion. Die Expertin empfiehlt, eine Duloxetin-Therapie mit 30 mg zu starten und auf 120 mg/d zu steigern. Bei Venlafaxin erfolgt der Therapiebeginn mit 37,5 mg, die auf 225 mg/d aufdosiert werden. Antidepressiva können als Koanalgetika die Einnahme der eigentlichen Schmerzmittel deutlich senken. Viele Patienten lehnen eine Behandlung ihrer Schmerzen mit Antidepressiva allerdings zunächst ab. Daher ist eine gute Edukation notwendig. Auf der anderen Seite sollten überzogene Erwartungen an die Therapie relativiert und realistische Therapieziele formuliert werden (siehe Kasten). Wichtig ist auch, die Patienten gut über mögliche und besonders häufige Nebenwirkungen aufzuklären und die Therapie bei auftreten dementsprechend anzupassen:
  • Übelkeit: mit niedriger Dosis beginnen und langsam steigern, Einnahme zu oder nach den Mahlzeiten oder vor dem Schlafengehen.
  • Gewichtszunahme: Patienten motivieren, die Ernährung entsprechend anzupassen (ggf. über eine Ernährungsberatung) und sich mehr zu bewegen. Gewicht, Blutzucker und Blutfette kontrollieren.
  • Sexuelle Dysfunktion: u.U. Dosis reduzieren, auf eine stärker noradrenerg wirkende Substanz wechseln, oder Patient zum Urologen/Gynäkologen überweisen. Einsatz von PDE-5-Hemmern ebenfalls möglich.
  • Schlafstörungen: Maßnahmen zur Schlafhygiene besprechen, je nachdem kann der Wechsel auf TZA, Mirtazapin, Trazodon helfen, bei Tagesmüdigkeit dagegen auf selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer oder selektiven Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer wechseln. Möglicherweise Dosis reduzieren.
Auch Arzneimittelinteraktionen über das Cytochrom-P450-System müssen beachtet werden. Antidepressiva sollten z.B. nicht zusammen mit anderen serotonerg wirksamen (Schmerz-)Mitteln wie Tramadol eingenommen werden. Auch der Tabakkonsum ist relevant: Rauchen erhöht z.B. die Clearance von Duloxetin, was entsprechend angepasst werden sollte.

Quelle: Hoffman S. Klinikarzt 2020; 49: 157-162; DOI: 10.1055/a-1112-6771

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