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Chronische Schmerzen erfordern eine komplexe Therapie

Akute Schmerzen sind relativ einfach zu erfassen, Ähnliches gilt für deren Behandlung. Chronischer Schmerz steht dagegen auf einem ganz anderen Blatt. Er stellt kein direktes Alarmsymptom des Körpers mehr dar, sondern hat sich verselbstständigt. Diagnostisch wird in diesem Fall eine Reihe weiterer Faktoren relevant. Dazu gehören neben Schmerzanalyse und Patientenbiografie auch Einschränkungen, die der Kranke erlebt, erklärt Privatdozent Dr. Roland Wörz von der Abteilung für Neurologie, Psychiatrie und Schmerzmedizin am Regionalen Schmerzzentrum DGS* Bad Schönborn.
Den Placeboeffekt sollten Sie ausnutzen
Wichtig für Sie ist die Frage, wie Ihr Patient damit umgeht. Will er auf Teufel komm raus durchhalten? Zieht er sich zurück? Mit der Zeit können entwickelte Coping-Mechanismen einen höheren Stellenwert annehmen als die ursprüngliche Schmerzursache. Viele verkennen aber deren Bedeutung, warnt der Experte. Denn man weiß seit Jahren, dass chronisch verlaufende Schmerzen mit Depressivität und Angststörungen verbunden sind. Was zuerst kam und was nur die Folge ist, unterscheidet sich von Patient zu Patient und ist mitunter schwer zu trennen.
Kann der chronische Nozirezeptor- bzw. neuropathische Schmerz klar als Auslöser und die psychischen Störungen als Folge identifiziert werden, steht eine Schmerztherapie im Vordergrund, schreibt der Experte. Im umgekehrten Fall sowie bei entsprechenden Symptomen kommen Antidepressiva als (Begleit-)Medikamente gegen die Schmerzen infrage. Eine direkte analgetische Wirkung zeige sich nicht bei allen – und trete dann im Vergleich zu Analgetika auch nur verzögert ein. Studien belegen allerdings, dass der Placeboeffekt bei chronischem Schmerz die spezifische analgetische Wirkung der Antidepressiva oft übertrifft, und das können und sollten Sie bei Ihren Patienten ausnutzen.
Realistische Aussichten
- die Schmerzen um 30–50 % reduzieren
- die Schlafqualität verbessern
- die soziale Aktivität erhalten
- helfen, die Arbeitsfähigkeit zu erhalten bzw. wiederzuerlangen
MAO-Hemmer helfen kaum bei neuropathischen Schmerzen
Obwohl Monoaminoxidase(MAO)-Hemmer und selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) bei chronischen Schmerzpatienten nicht selten verordnet werden, wirken sie bei Nozizeptor- und neuropathischen Schmerzen kaum besser als ein Placebo und liegen damit analgetisch hinter den trizyklischen Antidepressiva zurück. Monoaminoxidase-Hemmer kämen allerdings infrage, wenn die den Schmerzen zugrunde liegenden Depressionen therapieresistent sind. SSRI haben einen Vorteil bei Panikstörung, generalisierter Angst und sozialen Phobien.Blutungsrisiko unter SSRI plus NSAR beachten
Zwar zeichnen sich die SSRI durch ein geringeres Nebenwirkungsprofil aus (sie sind kaum kardiotoxisch), aber Vorsicht: Nicht selten kommt es zu sexueller Dysfunktion und das freie Serotonin hemmt die Thrombozytenaggregation. Besonders wenn Ihr Schmerzkranker zusätzlich nicht-steroidale Antirheumatika einnimmt, kann es zu gefährlichen Blutungen kommen. Serotonerge und noradrenerge Wiederaufnahmehemmer (SNRI) sind ebenfalls verträglicher und risikoärmer als die TCA – dennoch gehört auch für sie die Plättchenhemmung als Risiko einkalkuliert. Insbesondere Duloxetin und Milnacipran zeigten bei Patienten eine analgetische Wirkung. Ein weiterer Vorteil von Milnacipran (und Tianeptin) ist, dass sie im Gegensatz zu vielen anderen Medikamenten nicht über das Cytochrom-P450-System verstoffwechselt werden und man sie daher bei Leberfunktionsstörungen und Multimorbiden einsetzen kann. Leidet der Patient unter Schlafstörungen, kann ein Medikament mit zusätzlich sedierender Wirkung sinnvoll sein. Dazu gehören u.a. Trimipramin oder Doxepin – optimalerweise für den Abend verordnet. Kommt Ihr Patient dagegen durch eine Antriebsstörung nur schwer in die Gänge, sollten morgens eher TCA wie Imipramin oder Nortriptylin oder die selektiven Wiederaufnahmehemmer Bupropion oder Reboxetin eingesetzt werden. Ist der Patient generell etwas aus dem Takt gerutscht, hilft das melatoninerge Agomelatin laut Dr. Wörz, den zirkadianen Rhythmus zu stabilisieren. Auch ein metabolisches Syndrom ist bei Schmerzkranken keine Seltenheit. Einem solchen Patienten ist am ehesten mit einem Antidepressivum gedient, das keinen negativen Einfluss auf das Körpergewicht hat, z.B. Duloxetin oder Sertralin, bzw. vielleicht sogar zur Gewichtsabnahme führen kann (Bupropion, Milnacipran). Je nach Komorbidität macht es Sinn, Kollegen aus den entsprechenden Fachrichtungen ins Boot zu holen, rät der Psychiater zum Abschluss.* Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin
Quelle: Wörz R. Schmerzmedizin 2019; 35: 18-21
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