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Patienten mit neuropathischen Schmerzen auf langwierige Therapie vorbereiten

Nicht-Opiodanalgetika wie Novaminsulfon und NSAR wirken bei neuropathischen Schmerzen kaum. Antikonvulsiva, Antidepressiva, spezielle Pflaster und in wenigen Fällen Opioide helfen da schon eher. Aber „wir wissen alle, dass die Schmerzen sehr schwer zu behandeln sind“, sagte Anke Richter-Scheer, niedergelassene Internistin aus Bad Oeynhausen. Oft bedarf es einer Kombitherapie und völlig beschwerdefrei werden die wenigsten.
Eine 30–50%ige Analgesie darf man erwarten. Diese Information gilt es, Patienten zu vermitteln. Betroffene, bei denen eine deutlichere Reduktion gelingt, haben häufig mit Nebenwirkungen der Medikamente zu kämpfen, so die Erfahrung der Kollegin. Über etwaige Komplikationen wie Sedierung, Übelkeit oder Konzentrationsschwächen sollten Sie genauso aufklären wie über eine eingeschränkte Fahrtauglichkeit unter der Behandlung.
Begleiterkrankungen wenn möglich topisch behandeln
Komorbiditäten und Komedikation spielen vor allem bei geriatrischen Patienten eine Rolle. Unabhängig davon, ob z.B. eine Postzosterneuralgie oder ein anderer neuropathischer Schmerz vorliegt, limitieren sie Therapieerfolg und Medikamentenwahl. So können sedierende Effekte und orthostatische Beschwerden die Gefahr von Stürzen erhöhen. Topische Arzneien erscheinen aufgrund des geringeren Nebenwirkungsprofils im Alter als attraktive Option.
Um Probleme zu vermeiden, müssen viele Präparate aufdosiert werden (s. Tabelle). Die Wirkung setzt i.d.R. erst nach vier bis acht Wochen ein. „Wir alle brauchen Geduld – Ärzte und Patienten“, mahnte Richter-Scheer. Außerdem handele es sich bei den Titrierungsempfehlungen um offizielle Werte. „Es kann durchaus sein, dass Sie mit niedrigeren Dosen einsteigen und ggf. langsamer auftitrieren sollten als vorgegeben.“ Letztlich benötigt jeder Patient eine individuelle und frühzeitige medikamentöse Behandlung.
Die richtige Dosis bei neuropathischen Schmerzen | |
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Gabapentin | starten mit 3 x 100 mg/d, Dosissteigerung alle 3 Tage um 3 x 100 mg, Tagesdosis 1200–2400 mg (maximal 3600 mg), Dosisanpassung bei eingeschränkter Nierenfunktion |
Pregabalin | starten mit 150 mg/d in zwei oder drei Einzeldosen, alle 3 Tage um 50–75 mg erhöhen, maximale Tagesdosis 600 mg verteilt auf zwei Einzeldosen, Dosisanpassung bei eingeschränkter Nierenfunktion |
Carbamazepin | starten mit 200-400 mg/d, Zieldosis 600–800 mg (maximal 1200 mg) |
Amitriptylin | starten mit 10 mg, 12,5 mg oder 25 mg retardiert zur Nacht (sedierend), alle 3–5 Tage Erhöhung um 10–25 mg/d, maximale Tagesdosis 75 mg |
Duloxetin | starten mit 30 mg morgens, nach 7–14 Tagen auf 60 mg/d erhöhen (Zieldosis), maximale Tagesdosis 120 mg |
Lidoicainpflaster | 1–3 Pflaster (700 mg/Pflaster) für 12 Stunden auf das schmerzhafte Areal (Haut muss reizlos sein), danach 12-stündiges applikationsfreies Intervall |
Capsaicinpflaster (8 %) | bei Erstanwendung Haut mit Lidocaingel vorbehandeln, einmalige Applikation von bis zu vier Pflastern zeitgleich für 30–60 Minuten (an der schmerzhaften Körperstelle, nur auf intakter Haut und nicht im Kopf-/Gesichtsbereich) |
Antikonvulsiva und -depressiva wirken ähnlich gut
Ziel der Therapie ist eine verbesserte Lebensqualität (inklusive Schlafqualität), sodass Betroffene am Alltagsleben teilhaben können und arbeitsfähig bleiben. Die frisch aktualisierte S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie sieht Gabapentin bzw. Pregabalin, tri- und tetrazyklische Antidepressiva sowie den SSNRI* Duloxetin als Mittel der ersten Wahl. Die Referentin erinnerte daran, den Zulassungsstatus der einzelnen Substanzen zu beachten. Duloxetin zum Beispiel darf on label nur bei schmerzhafter diabetischer Neuropathie zum Einsatz kommen.
Antikonvulsiva und Antidepressiva haben im Großen und Ganzen eine vergleichbare Wirksamkeit. Gegenüber trizyklischen Antidepressiva fluten SSNRI schneller an und gehen wohl mit geringeren Nebenwirkungen einher, erklärte Richter-Scheer. Carbamazepin gilt als bevorzugte Substanz bei einer Trigeminusneuralige.
Schrittweise beginnen und auch schrittweise beenden
Die Indikationen für die topischen Optionen unterscheiden sich je nach Pflaster. Lidocainpflaster kommen bei lokalisierten (peripheren) neuropathischen Schmerzen sekundär infrage. Gegen die Postzosterneuralgie dürfen sie auch von Beginn an angewendet werden – ein Vorteil gerade für Ältere mit Schluckstörungen. Topika mit hoher Capsaicindosis (8 %) helfen nach einmaliger Applikation bis zu 90 Tage. Aufkleben kann man sie gegen neuropathische Schmerzen jeglicher Ursache (zweite Wahl) sowie lokalisierte Beschwerden (primärer Einsatz möglich).
Dass die verschiedenen Opioide unterschiedlich gut oder besser als z.B. Antikonvulsiva wirken, dafür gibt es keine Evidenz. Manche Kollegen machen laut der Bad Oeyenhausener Internistin schlechte Erfahrungen mit Oxycodon. Persönlich setzt sie das Präparat aufgrund einer ausbleibenden Analgesie ebenfalls nicht ein. Das niedrigpotente Tramadol wird ihrer Meinung nach meistens gut vertragen.
Die Leitlinie zur Langzeitanwendung bei nicht-tumorbedingten Schmerzen hält einen frühen Einsatz durchaus für gerechtfertigt: Bei diabetischer Neuropathie sollen Opioide, bei Postzosterneuralgie und Radikulopathie können sie für vier bis zwölf Wochen angeboten werden. Antworten Patienten mit einer signifikanten Schmerzreduktion, schließt Richter-Scheer eine Langzeitgabe über mindestens sechs Monate keineswegs aus, wenn:
- wenige Nebenwirkungen auftreten
- Kontraindikationen für trizyklische Antidepressiva und Antikonvulsiva vorliegen
Jedoch mahnte die Referentin, Opioide als dritte und nicht als erste Option anzusehen! Grundsätzlich muss die Behandlung neuropathischer Schmerzen im Verlauf regelmäßig überprüft werden. Und die Pharmakotherapie endet wie sie begonnen hat: schrittweise.
* selektive Sertonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
Quelle: 44. practica Bad Orb
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