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Atemnot statt Hochdruck

Es war die stark geschwollene Zunge, die eine 81-Jährige auf die Notfallstation brachte. Als vermeintlicher Auslöser stand der Ambroxolhydrochlorid-Sirup im Verdacht, den sie kurz davor wegen ihrer Erkältung genommen hatte. Die Frau berichtete aber auch, dass es in den vergangenen sechs Monaten immer wieder zu Lippenschwellungen gekommen war, fügte Professor Dr. Martin Metz von der Charité – Universitätsmedizin Berlin hinzu.
Bei der Untersuchung bestätigte sich eine massive Zungenschwellung mit sublingualen Bläschen – Quaddeln oder Hautläsionen fehlten. Abseits der Erkältung hatte die Frau Bluthochdruck und eine Hypercholesterinämie, die seit Längerem mit Ramipril, Torasemid und Simvastatin behandelt wurden, sowie eine Reflux-Ösophagitis. Die Ärzte auf der Notfallstation verabreichten Prednisolon und Antihistaminika. Beides zeigte keinen Effekt.
Die Zunge schwoll auch nach der wiederholten Medikamentengabe weiter an, man bereitete sich darauf vor, die Frau zu intubieren. Erst der Bradykininrezeptorantagonist Icatibant – auf den Vorschlag eines Kollegen hin gegeben – zeigte Wirkung. Über Nacht ging die Schwellung vollständig zurück.
Klinisches Bild hilft in Akutsituation kaum weiter
Das klinische Bild hilft bei einem solitären Angioödem in der Akutsituation kaum weiter. Wenn man allerdings die Angioödem-Klassifizierung grob im Kopf hat, kommt man dem Auslöser schneller auf die Spur, erläuterte Prof. Metz. Man unterscheidet:
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Mastzellmediator-induzierte Angioödeme (i.d.R. mit Quaddeln)
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Bradykinin-induzierte Angioödeme
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Angioödeme mit unbekanntem Auslöser
Medikamente können Mastzellen aktivieren und damit über das freigesetzte Histamin ein Angioödem auslösen. Eine Anaphylaxie wäre als Mechanismus möglich, aber bei einem solitärem Angioödem gleichzeitig unwahrscheinlich. Auch bei einer pseudoallergischen Reaktion, wie sie z.B. bei Vancomycin, Morphin oder Ciprofloxacin auftritt, würde die massive systemische Histaminfreisetzung mehr als ein einzelnes Angioödem auslösen, so Prof. Metz. Und das NSAR-induzierte Angioödem tritt in der Regel als Exazerbation einer Urtikaria auf.
Bei einer so starken und schwer zu kontrollierenden Reaktion handelt es sich Prof. Metz zufolge viel eher um ein Bradykinin-induziertes Angioödem. Die zentrale Rolle spielt dabei in der Regel ein ACE-Hemmer. ACE spaltet normalerweise das Bradykinin in inaktive Fragmente und verhindert die Angioödem-Bildung.
Zwei Drittel der ACE-Hemmer-induzierten (kleinen) Angioödeme treten innerhalb der ersten drei Monate auf. Es kann aber auch Monate und Jahre später zu Reaktionen kommen. «Und diese Patienten haben keine Ahnung, dass das irgendwas mit ihrer Medikation zu tun hat», so Prof. Metz. Sie landen dann auf der Notfallstation oder beim Dermatologen. Immerhin ein Drittel der Angioödeme auf der Notfallstation sind Bradykinin-induziert – jeder zehnte Betroffene muss intubiert werden.
Therapieren lässt sich ein solcher Patient nur, indem die ACE-Hemmer-Therapie gestoppt wird. Selbst dann besteht noch für Wochen bis Monate das Risiko eines erneuten Angioödems, warnte der Referent, vor allem wenn die Reaktion erst sehr spät im Therapieverlauf aufgetreten ist. Der im Fallbeispiel eingesetzte Bradykininrezeptorantagonist ist zwar bei Bradykinin-induziertem Angioödem effektiv, aber nur für das hereditäre Angioödem zugelassen und damit ohne den entsprechenden Verdacht off label. Ramipril wurde bei der 81-Jährigen durch einen Kalziumkanablocker ersetzt.
Quelle: 31. EADV-Kongress
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