Aus der Studie in die Leitlinie

DGU 2024 Mascha Pömmerl

Neue Forschungsergebnisse bringen die Uroonkologie voran. Neue Forschungsergebnisse bringen die Uroonkologie voran. © Liubomyr - stock.adobe.com

Nicht immer handelt es bei „Gamechangern“  um bahnbrechende Ergebnisse zu einer neuen Substanz wie beim metastasierten Urothelkarzinom. Beim Prostatakarzinom führte eine Reihe von Studien zum Siegeszug der Kombinationstherapien. Ein Überblick

Heute stehe fest, dass (neo-)adjuvante Therapien das Überleben beim muskelinvasiven Urothelkarzinom (MIUC) verbessern, erklärte Prof. Dr. ­Günther ­Niegisch, Universitätsklinikum Düsseldorf.1 Bisher sei die S3-Leitlinie zu adjuvanten und neoadjuvanten Therapien „recht schwammig“ gewesen, in der Konsultationsfassung der neuen Leitlinie aber hätten perioperative Systemtherapien einen neuen Stellenwert erhalten. Es gibt die klare Empfehlung, eine (neo-)adjuvante Chemotherapie anzubieten, wenn sich Erkrankte für die Behandlung eignen. Neu ist auch die Gewichtung der adjuvanten Immuntherapie (IO): Die adjuvante IO mit Nivolumab soll angeboten werden bei PD-L1-Expression ≥ 1 % und Tumorresiduen nach neoadjuvanter Chemotherapie (NACT). Außerdem sollten Ärzt:innen sie ohne NACT anbieten, wenn die Tumorstadien pT3–pT4 und/oder pN1-3 cM0 vorliegen und die Betroffenen nicht cisplatingeeignet sind oder dies ablehnen. 

Noch während der Konsultationsphase der neuen S3-Leitlinie wurde jedoch mit der NIAGARA-Studie ein Gamechanger veröffentlicht, berichtete der Referent. In der Studie ging es um eine weitere perioperative Systemtherapie beim MIUC: cisplatingeeignete Erkrankte erhielten entweder neoadjuvant Durvalumab plus Gemcitabin/Cisplatin, gefolgt von einer postoperativen Erhaltungstherapie mit Durvalumab oder in der Kontrollgruppe nur die Chemotherapie und keine Adjuvanz. Das ereignisfreie Überleben (EFS) und das Gesamtüberleben fielen im Durvalumab-Arm signifikant länger aus. „Man sieht klar, dass das Ansprechen auf diese Dreifachkombination einer klassischen neoadjuvanten Chemotherapie überlegen ist“, kommentierte Prof. Niegisch. Die Daten müssten zügig in den Leitlinien berücksichtigt werden. 

Bisheriger Standard beim metastasierten Urothelkarzinom (mUC) war eine platinbasierte Chemotherapie. „In diesem Setting gibt es aktuell eine ganze Reihe von Gamechangern“, erklärte der Uroonkologe und verwies zum einen auf die ­CheckMate-901-Studie, die einen OS-Vorteil durch die Hinzunahme von Nivolumab zu Gemcitabin/Cisplatin in der Erstlinie zeigte und zur Zulassung des CPI in dieser Konstellation führte. 

Als zweite praxisverändernde Studie nannte er die EV-302/KEYNOTE-A39-Studie, die den bisherigen Erstlinienstandard Gemcitabin+Cisplatin/Carboplatin mit einer Kombinationstherapie aus Pembrolizumab und dem ADC Enfortumab-Vedotin (EV) verglich. Prof. Niegisch betonte, dass nicht nur mit Cisplatin, sondern auch mit Carboplatin behandelte Patient:innen eingeschlossen wurden, also auch solche mit eingeschränkter Nierenfunktion oder reduziertem Allgemeinzustand. Die Verlängerung des progressionsfreien Überlebens und OS durch die Kombination aus Immuntherapie und ADC bezeichnete der Experte als „umwerfend“ und meinte, solche Kurven sehe man selten. „Mehr als die Hälfte der Patient:innen nach einem Jahr ohne Progress, das sind wir beim Urothelkarzinom nicht gewohnt.“ Auch die Verdoppelung des medianen OS beeindrucke. Es gab keine untersuchte Subgruppe, die nicht von der Therapie profitierte, sodass Pembrolizumab+EV derzeit die erste Wahl in der Erstlinientherapie darstelle.

Auch die THOR-Studie mit dem FGFR-Inhibitor Erdafitinib erwies sich in Prof. Niegischs Augen als Gamechanger, allerdings nicht in der Erstlinie, sondern bei mit ein oder zwei Therapielinien vorbehandelten, CPI-exponierten Patient:innen mit mUC und FGFR-Alteration. Gegenüber einer Chemotherapie mit Docetaxel oder Vinflunin verbesserte Erdafitinib das mediane OS signifikant. Das Tumoransprechen lag bei den in Zweit- oder Drittlinie behandelten Erkrankten bei 45,6 %

Die FGFR-Testung für eine potenzielle Erdafitinib-Therapie nach der Erstlinie sollte laut dem Kollegen bereits in der Erstlinienbehandlung des mUC erfolgen. Während FGFR-positive Patient:innen in der Zweitlinie Erdafitinib erhalten sollten, sei die optimale Sequenz nach Pembrolizumab/EV bei FGFR-negativen Betroffenen nicht klar. In der EV-302-Studie wurde nach einem Rezidiv überwiegend eine platinbasierte Chemotherapie gegeben. Nicht zuletzt sei für die Integration des ­FGFR-Inhibitors in den Klinik­alltag ein gutes Nebenwirkungsmanagement essenziell, schloss Prof. ­Niegisch (s. Kasten).

Bei der FGFR-Inhibition beachten

Als zentral erweist sich das Management des Phosphatspiegels, erklärte Prof. Dr. Florian Roghmann, Marien-Hospital Herne.1 Erdafitinib kann auch über das TAR-210-System appliziert werden, was die systemische Toxizität reduziert. Dieses setzt die Substanz über drei Monate hinweg lokal in der Blase frei. Trotz erfolgter Zulassung beim mUC muss Erdafitinib derzeit noch über das Härtefallprogramm beantragt werden, erinnerte wiederum Prof. Dr. Angelika Borkowetz, Universitätsmedizin Rostock.2

1. Roghmann F. 76. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie e. V.; Vortrag „Neue Therapieansätze einfach erklärt – FGFR-Inhibitoren und mehr...“

2. Borkowetz A. 76. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie e. V.; Vortrag „AUO: Update Urothelkarzinom“

Gamechanger in der Systemtherapie des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms seien weniger neue Medikamente, sondern vor allem neue Kombinationen, erklärte Prof. Dr. ­Christian ­Thomas, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden.2 Seit April 2024 kann auch beim hormonsensitiven nicht-metastasierten Prostatakarzinom (HSPC) mit biochemischem Hochrisiko-Rezidiv der Inhibitor des Androgenrezeptorsignalwegs (ARPI) Enzalutamid eingesetzt werden. Dies erfolgt entweder als Monotherapie oder in Kombination mit der Androgendeprivation (ADT). Basis ist die in der EMBARK-Studie gezeigte Überlegenheit hinsichtlich des metastasenfreien Überlebens. 
Beim metastasierten HSPC (­mHSPC) stehen wiederum vier potente Kombinationstherapien zur Verfügung, in deren Mittelpunkt die Blockade des Androgenrezeptors mit einem ARPI und ADT steht, ggf. durch Docetaxel zur Tripletherapie ergänzt. Alle konnten das OS gegenüber Monotherapien verbessern. 

Ab dem metastasierten kastrationsresistenten Stadium (mCRPC) habe die Präzisionsonkologie beim Prostatakarzinom Einzug gehalten, so Prof. Thomas: „Die PARP-Inhibition ist ein Schritt in die personalisierte Medizin.“ Mit Blick auf die neu verfügbaren Kombinationstherapien aus PARP-Inhibitor (PARP-I) und ARPI stelle sich die Frage, ob die BRCA-Testung damit obsolet sei. Diesbezüglich verwies der Experte auf die S3- und die EAU-Leitlinie, die eine starke Empfehlung für die Kombination aus PARP-I und ARPI nur dann aussprechen, wenn eine Mutation von HRR*-Genen vorliegt. Ungeklärt bleibe noch die Frage, ob sich der gezeigte signifikante Vorteil bezüglich des radiologischen PFS gegenüber ARPI in ein verlängertes Überleben übersetzen wird und auch gegenüber einer Monotherapie mit PARP-Inhibitoren besteht.

Die PSMA-gerichtete Radio­ligandentherapie wird seit geraumer Zeit beim mCRPC genutzt. Sie sei der neue Drittlinienstandard, wenn eine ausreichende PSMA-Expression vorliege, bilanzierte Prof. ­Thomas. Prof. Dr. Axel Merseburger, UKSH Campus Lübeck, wies auf eine wichtige Ergänzung der Therapien hin, die Osteoprotektion.3 Deren Bedeutung habe die PEACE-3-Studie, in der Forschende Enzalutamid in Kombination mit der Radioligandentherapie mit Radium-223 untersuchten, erneut unterstrichen: Das Studienprotokoll wurde aufgrund der Rate an Frakturen unter der Kombination nachträglich um eine obligatorische Osteoprotektion ergänzt.

*Homologe Rekombinationsreparatur

Quellen:

1. Niegisch G. 76. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie e. V.; Vortrag „Vom Gamechanger zur Leitlinie in der Uro-Onkologie – Urothelkarzinom“

2. Thomas C. 76. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie e. V.; Vortrag „Vom Gamechanger zur Leitlinie in der Uro-Onkologie – Prostatakarzinom-Therapie“

3.  Merseburger A. 76. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie e. V.; Moderation „Vom Gamechanger zur Leitlinie in der Uro-Onkologie“
 

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