Autoimmunbedingten Mangel an Vitamin B12 rechtzeitig erkennen

Dr. Elke Ruchalla

Im Blutausstrich fallen wenige, große Erythrozyten und hypersegmentierte Neutrophile auf. Im Blutausstrich fallen wenige, große Erythrozyten und hypersegmentierte Neutrophile auf. © Science Photo Library/ Alvin Telser

Die perniziöse Anämie schlägt auf den Magen und legt die Nerven blank. Sie zu erkennen, ist wegen der unspezifischen Symptomatik relativ schwer. Bleibt der antikörperbedingte Vitamin-B12-Mangel unbehandelt, drohen irreversible Schäden.

Allgemeine Erschöpfung, Konzentrationsstörungen, Gedächtnisprobleme – solche Patienten hauen Sie vermutlich nicht vom Hocker, denn die Beschwerden sind nicht selten, insbesondere bei Älteren. Gleiches gilt bei Müdigkeit, Haarausfall und Verdauungsstörungen. Da ist es auch nicht sonderlich hilfreich, dass die perniziöse Anämie besonders häufig bei Patienten ab 70 vorkommt, oft in Verbindung mit bereits bestehenden Autoimmunerkrankungen.

Anämiezeichen plus neurologische Beschwerden

Dennoch können diese Symptome das erste Anzeichen einer Vit­amin-B12-Mangel-Anämie darstellen, erklären der Hämatologe Professor Dr. Muhajir Mohamed vom australischen Launceston General Hospital und seine Kollegen. Das Vitamin wird auf vielen Baustellen im Körper gebraucht, was die Verschiedenheit der Symptome erklärt (siehe Kasten).

Am Anfang war der Antikörper

Die perniziöse Anämie nimmt ihren Anfang mit Autoantikörpern, die sich gegen den intrinsic factor (IF) direkt oder gegen die IF produzierenden Parietalzellen des Magens richten und eine atrophische Autoimmungastritis inkl. sekundärer Achlorhydrie verursachen. Ohne IF kann im Darm nicht ausreichend Vitamin B12 resorbiert werden. Der „Vitalstoff“ seinerseits ist nicht nur für die Blutbildung (insb. Erythrozyten) notwendig – bei Mangel drohen Anämie und Makrozytose –, sondern auch für die neuronale Myelinisierung. Durch die demyelinisierten Nervenfasern kommt es zu den neurologischen Befunden.

Skeptischer wird man meist, wenn sich durch die zu geringe Erythrozyten-Zahl ein Sauerstoffmangel in Form von Herz-Kreislauf-Problemen bemerkbar macht, etwa Atemnot und Herzklopfen. Gesellen sich zu solchen Anämiezeichen noch neurologische Beschwerden, sollten Sie alarmiert sein und ein großes Blutbild und einen Blutausstrich anordnen. Zu den neurologischen Red Flags gehören u.a.:
  • Parästhesien und schwer auslösbare Muskelreflexe bei der orientierenden neurologischen Untersuchung aufgrund einer peripheren Neuro­pathie (neurologisches Frühsymptom),
  • Ataxien und Kraftminderung aufgrund einer subakuten kombinierten Rückenmarkbeteiligung (neurologisches Spätsymptom) sowie
  • kognitive Störungen, Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen und/oder Depressionen als neuropsychiatrische Manifestationen.
Im charakteristischen Blutbild bei perniziöser Anämie beziehungsweise Vit­amin-B12-Mangel sind nur wenige, große Erythrozyten zu sehen (erhöhtes mittleres korpuskulares Volumen), im Ausstrich fallen hypersegmentierte neutrophile Granulozyten auf. Damit es aber nicht zu einfach wird, kann die Makrozytose allerdings bei bis zu einem Drittel der Betroffenen fehlen – vor allem wenn durch eine sekundäre Achlorhydrie eine Eisenmangelanämie (mikrozytäre Erythrozyten) besteht. Als alternati­ven Auslöser der Makrozytose gilt es, einen Folsäuremangel auszuschließen, dann folgt die Messung des Cobalamin-Spiegels, der bei perniziöser Anämie typischerweise erniedrigt ist. Allerdings sollten Sie auch in diesem Fall alternative Ursachen des Defizits ausschließen, zum Beispiele eine strikt vegane Ernährung, frühere Magen- oder Darmteilresektionen, die Einnahme oraler Kontrazeptiva oder von Metformin. Falls Sie trotz normaler Vit­amin-B12-Spiegel im Serum weiterhin den klinischen Verdacht haben, dass die Symptome auf einem Mangel basieren, sind Spezialuntersuchungen, beispielsweise ein Holotranscobalamin-Assay, angezeigt. Diese werden am besten von erfahrenem Personal durchgeführt. Sichern lässt sich die Diagnose mit dem Nachweis der Autoantikörper gegen den intrinsischen Faktor, ihr Fehlen schließt die Erkrankung aber nicht aus (antikörper-negative perniziöse Anämie). Insgesamt gibt es den einen und einzigen Test für die perniziöse Anämie nicht, betonen die Wissenschaftler – der Mix (aus Befunden) macht’s.

Supplementierung muss ein Leben lang erfolgen

Steht die Diagnose, müssen Sie Ihre Kranken aber darauf vorbereiten, dass die B12-Supplementierung (siehe Tabelle) bei Autoimmun-Perniziosa ein Leben lang erfolgen muss. Außerdem wird niemand nach der ersten Spritze aufstehen und sich fit fühlen – bis die Symptome der Anämie verschwunden sind, vergehen etwa acht Wochen. Besserungen im Blutbild, das heißt vermehrt auftauchende Retikulozyten sind schon nach einer Woche nachweisbar.
Therapie bei autoimmunbedingtem Vitamin-B12-Mangel
keine neurologischen Symptome vorhandenHydroxocobalamin 1000 μg i. m. in den ersten zwei Wochen dreimal wöchentlich, in der Erhaltungstherapie alle drei Monate
neurologische Symptome vorhandenHydroxocobalamin i.m. jeden zweiten Tag bis zur klinischen Besserung, in der Erhaltungstherapie alle zwei Monate
Eine hoch dosierte tägliche orale Cobalamin-Supplementierung (1000–2000 μg/d) in der Langzeittherapie ist nur bei verlässlichen Patienten möglich (lebenslange Therapie).
Bei gesicherter Diagnose sollte der Patient zum Gastroenterologen, um die atrophische Gastritis zu sichern und eventuelle Malignome des Magens auszuschließen, die bei der perniziösen Anämie gehäuft auftreten.
Die neurologischen Beschwerden aber können anhalten: Grundsätzlich bilden sich frühe Manifestationen wie eine periphere Neuropathie schneller zurück als späte Rückenmarkläsionen, schlimmstenfalls bleiben irreversible Beeinträchtigungen – umso wahrscheinlicher, je länger die Symptome vor Beginn der Therapie bestanden und je stärker sie ausgeprägt waren.

Quelle: Mohamed M et al. BMJ 2020; 369: m1319; DOI: 10.1136/bmj.m1319

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Im Blutausstrich fallen wenige, große Erythrozyten und hypersegmentierte Neutrophile auf. Im Blutausstrich fallen wenige, große Erythrozyten und hypersegmentierte Neutrophile auf. © Science Photo Library/ Alvin Telser
Wenige, große Erythrozyten und hypersegmentierte Neutrophile im Blutausstrich. Wenige, große Erythrozyten und hypersegmentierte Neutrophile im Blutausstrich. © Science Photo Library/ Alvin Telser