Breites Indikationsspektrum von Angststörung bis Zoster

Dr. Vera Seifert

Antikonvulsiva können aufgrund ihres breiten Wirkungsspektrums bei einer Reihe von Störungen on oder off label eingesetzt werden. Antikonvulsiva können aufgrund ihres breiten Wirkungsspektrums bei einer Reihe von Störungen on oder off label eingesetzt werden. © hunterpic2013 - stock.adobe.com

Anfallssuppressiva können weit mehr als epileptische Anfälle unterdrücken. Weitere Indikationen sind u.a. neuropathische Schmerzen, Angsterkrankungen und die Migräneprophylaxe. Bei der Therapie sind vor allem Neben- und Wechselwirkungen zu beachten.

Antikonvulsiva können aufgrund ihres breiten Wirkungsspektrums bei einer Reihe von Störungen on oder off label eingesetzt werden. Dadurch ergibt sich bei einem Patienten mit mehreren Erkrankungen mitunter die Option, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen und so Medikamente zu sparen. Außerdem sind die heute auch als Anfallssuppressiva bezeichneten Wirkstoffe bei Patienten mit quälenden Beschwerden und wenig therapeutischen Alternativen oft eine gute Wahl, schreiben Prof. Dr. Martina Hahn und Prof. Dr. Sibylle Roll vom Varisano Klinikum Frankfurt Höchst. Die Palette der Nebenwirkungen kann sich allerdings auch sehen lassen und erfordert ein sorgfältiges Monitoring.

Man unterscheidet Substanzen, die an glutamatergen Synapsen wirken, wie Carbamazepin, Pregabalin, Topiramat und Valproinsäure, von solchen mit Effkten auf GABAerge Synapsen wie Lorazepam und Diazepam. Erstere werden eher in der Schmerztherapie, als Stimmungsstabilisatoren oder zur Migräneprophylaxe eingesetzt, Letztere insbesondere als kurzzeitige Anxiolytika.

Neuropathische Schmerzen

In dieser Indikationen haben Gabapentin und Pregabalin die Nase vorn. Die Modulation von Neurotransmittern führt zu einer verminderten Erregbarkeit der Nerven und lindert so die Schmerzen. Die beiden Substanzen müssen wegen deutlicher Abweichungen in der Bioverfügbarkeit unterschiedlich dosiert werden. Bei Patienten mit Drogenabhängigkeit, insbesondere von Opiaten, ist Vorsicht geboten: Gabapentinoide haben bei ihnen ein erhöhtes Abhängigkeitspotenzial.

Trigenminusneuralgie

Erste Wahl zur Schmerzlinderung ist Carbamazepin (1.200 mg/Tag), ebenso wie Phenytoin. Letzteres setzt man aber wegen seiner engen therapeutischen Breite und seines Nebenwirkungsspektrums seltener ein. Gabapentin und Pregabalin sind Mittel der 2. Wahl, weisen aber ein günstigeres Interaktionspotenzial auf.

Post-zoster-Neuralgie

Wenn Schmerzen nach einer Gürtelrose mehr als drei Monate bestehen bleiben, spricht man von einer Post-zoster-Neuralgie. Sie kommt durch Entzündungen  von Nervenganglien zustande. Pregabalin und Gabapentin können helfen, indem sie die Glutamatausschüttung hemmen und antiinflammatorisch wirken.

Fibromyalgie

Auch bei dieser Erkrankung, deren Ursachen noch weitgehend unbekannt sind, können Pregabalin und Gabapentin die Schmerzen lindern. Die Evidenz für Pregabalin ist dabei deutlich besser.

Prophylaxe von Migräne und Clusterkopfschmerz

Valproinsäure und Topiramat dienen der Migräneprophylaxe. Weil sie erst nach zweimonatiger Einnahme wirken, eignen sich beide nicht zur Akuttherapie von Migräneattacken. Topiramat kann zudem als Medikament der 2. Wahl (nach Verapamil) zur Vorbeugung von Clusterkopfschmerzen eingesetzt werden.

Restless-Legs-Syndrom

Gabapentin wirkt beim RLS in einer Dosierung von 800–1.800 mg/d, aufgeteilt in mehrere Einzeldosen. Pregabalin wird einmal täglich (150–450 mg) eine bis drei Stunden vor dem Schlafengehen eingenommen. Beide Substanzen sind in Deutschland aber nicht zur Behandlung des RLS zugelassen.

Gewichtsreduktion

Topiramat kann das Körpergewicht senken und wird in dieser Indikation insbesondere für Patienten mit Schizophrenie empfohlen. Es wirkt hauptsächlich über eine Appetitminderung bzw. schnelleres Sättigungsgefühl. Außerdem verbessert es die Thermoregulation, wodurch sich der Energieverbrauch erhöht, und reduziert die Fettspeicherung.

Menopausale Beschwerden

Als Alternative zur klassischen Hormontherapie kommt Gabapentin zur Linderung von Hitzewallungen infrage. Die wirksame Dosis liegt bei 900 mg/d. Es eignet sich für Frauen in der Menopause und unter Tamoxifentherapie sowie für Männer unter Hormondeprivation wegen Prostatakarzinom.

Psychiatrische Erkrankungen

Benzodiazepine (Diazepam, Clonazepam) wirken angstlösend, sollten aber wegen ihres Abhängigkeitspotenzials nur in Notfallsituationen eingesetzt werden. Pregabalin wird bei generalisierten Angsterkrankungen empfohlen und scheint besser zu wirken und verträglicher zu sein als SSRI.

Bei bipolaren Erkrankungen können Valproinsäure und Carbamazepin die manischen Phasen günstig beeinflussen. Bei akuter Depression wird davon abgeraten. Lamotrigin ist eine Option zur Phasenprophylaxe.

Patienten mit Impulskontrollstörungen bei Intelligenzminderung profitieren von Valproinsäure und Topiramat. Bei sozialer Phobie kann  Pregabalin helfen.

Zu den häufigen Nebenwirkungen der Anfallssuppressiva gehören zentralnervöse Begleiterscheinungen wie Somnolenz, Sedierung, Schwindel, Schläfrigkeit, Ataxie und Verwirrtheit. Dadurch kann es auch zur Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit kommen. Unter den meisten Wirkstoffen sind regelmäßige Kontrollen von Leberenzymen und Blutbild erforderlich. Bei Gabapentin, Topiramat, Pregabalin und Levetiracetam muss man die Nierenfunktion im Auge behalten, bei Valproinsäure den Ammoniakspiegel.

Bei der Einnahme von Valproinsäure und Topiramat muss eine sichere Kontrazeption gewährleistet sein, weil diese Substanzen teratogen sind. Viele Antikonvulsiva wirken inhibierend oder induzierend auf verschiedene Cytochrom-450-Enzyme. Daher muss man bei Komedikation immer auf mögliche pharmakokinetische Wechselwirkungen achten. Auch pharmakodynamische Interaktionen sind möglich, z.B. eine Hyponatriämie bei Kombination von Carbamazepin oder Valproinsäure mit Diuretika, ACE-Hemmern oder Sartanen.

Quelle: Hahn M et al. PPT 2024; 31: 48-55

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Antikonvulsiva können aufgrund ihres breiten Wirkungsspektrums bei einer Reihe von Störungen on oder off label eingesetzt werden. Antikonvulsiva können aufgrund ihres breiten Wirkungsspektrums bei einer Reihe von Störungen on oder off label eingesetzt werden. © hunterpic2013 - stock.adobe.com