Damit Chemotherapeutika keine Neuropathie feiern

Dr. Judith Lorenz

Chemotherapeutika können eine periphere Neuropathie auslösen. Chemotherapeutika können eine periphere Neuropathie auslösen. © Pixabay

Die Frau mit Brustkrebs, der Mann mit kolorektalem Karzinom und der Lymphompatient – sie alle erhalten Chemotherapeutika, die eine periphere Neuropathie auslösen können. Effektive Optionen zur Behandlung der Komplikation fehlen bislang, präventiv scheinen in bestimmten Fällen Gehtraining und Kälteanwendungen zu wirken.

Längerfristig für Patienten bedeutsamer als klassische Chemotherapiekomplikationen wie Übelkeit und Haarausfall ist eine behandlungsinduzierte periphere Neuropathie (CIPN). Drei Familien klassischer Zytostatika lösen diese typischerweise aus: Vincaalkaloide, platinhaltige Substanzen und Taxane. Aber auch jüngere antineo­plastische Medikamente (Proteasom­inhibitoren und Imide) können die Störung hervorrufen, schreiben Privatdozent Dr. Ulrich Schuler und Dr. Susanne Heller vom PalliativCentrum des Universitätsklinikums Dresden.

Im Vordergrund der Symptomatik stehen sensorische Beeinträchtigungen. Hyp-, Par- und Hyperästhesien beginnen i.d.R. distal und zeigen ein handschuh- oder strumpfförmiges Muster. Auch Störungen des Lagesinns, der Tiefensensibilität und des Vibrationsempfindens können auftreten. Neuropathische Schmerzen im engeren Sinn sind hingegen selten, ebenso motorische Störungen, die sich in Form von Paresen und Krämpfen manifestieren.

Die Intensität der Beschwerden variiert individuell. Allerdings schränken auch weniger gravierende sensomotorische Defizite die Patienten in ihren Alltagsaktivitäten stark ein (z.B. Zuknöpfen von Hemden, Unterschreiben). Meist tritt die CIPN chronisch auf. Je nach Chemotherapeutikum können die Beschwerden und funktionellen Ausfälle im Zeitverlauf abnehmen (s. Tabelle), objektivierbare Einschränkungen sind mitunter jedoch noch mehrere Jahre nach Therapieende nachweisbar. Die Diagnose der chemotherapieinduzierten Neuropathie basiert im Wesentlichen auf der sorgfältigen Anamnese und klinischen Untersuchung.

Wann es sich besser anfühlt
Substanz
Erholung
Vincaalkaloidemeist Besserung nach einigen Monaten, bei Vincristin manchmal persistierend
Platinhaltige Substanzen
  • Cisplatin: möglich, nach Absetzen kann es zunächst zu einer Verschlechterung kommen
  • Carboplatin: möglich
  • Oxaliplatin (akut): Besserung meist nach einer Woche
  • Oxaliplatin (chronisch): meist Besserung nach drei Monaten, gelegentlich persistierend
TaxaneBesserung, aber persistierende Symptome bei 50 % der Patienten auch nach einem Jahr
Proteasominhibitorenmeist Besserung, aber Persistenz residualer Beschwerden
Imidepartiell reversibel, kann mehr als ein Jahr anhalten

Achillessehnenreflex liefert wichtigen klinischen Hinweis

Die Autoren empfehlen, die Schmerz­intensität zu Beginn und nach jedem Therapiezyklus auf einer numerischen oder visuellen Analogskala zu erfassen sowie nach Taubheitsgefühlen und Kribbeln zu fragen. Ein wichtiger klinischer Hinweis ist die Abschwächung oder der Verlust des Achillessehnenreflexes. Das Vibrationsempfinden wird mithilfe einer Stimmgabel überprüft. Für verschiedene apparative Diagnostikverfahren sowie die Hautbiopsie besteht außerhalb klinischer Studien keine Empfehlung. Differenzialdiagnostisch müssen neben den nicht-neoplastischen Ursachen einer Neuropathie vor allem tumorbedingte Nervenschädigungen – beispielsweise durch ein lokal infiltratives Wachstum oder paraneoplastisch – bedacht werden. Auch operative und strahlentherapeutische Maßnahmen können zu entsprechenden Schäden führen. Trotz großer Forschungsanstrengungen lässt sich die CIPN bislang nicht effektiv verhindern. In kurativer Absicht eingesetzte Risiko-Zytostatika können nicht einfach ausgetauscht oder weggelassen werden, ohne dadurch die Heilungschancen des Tumors zu verringern. Auch in der Palliativsituation muss im Einzelfall der Nutzen der Therapie gegen die Beeinträchtigungen durch eine Neuropathie abgewogen werden. Präventive Ansätze umfassen u.a. die Vermeidung pharmakodynamischer Interaktionen sowie die Begleitmedikation zur Verringerung der Neurotoxizität. Ein prophylaktischer Nutzen konnte in Studien bislang für zwei Interventionen belegt werden: Mammakarzinompatientinnen profitieren hinsichtlich der CIPN-Ausprägung von einem moderaten Gehtraining. Und Kühlhandschuhe bzw. -strümpfe beugen der taxanassoziierten Neuropathie vor.

Einsatz von Duloxetin und Venlafaxin nur off label

Die manifeste CIPN spricht auf die ansonsten bei neuropathischen Schmerzen wirksamen Adjuvanzien Amitriptylin, Nortriptylin und Gabapentin nicht in gleichem Maße an. Randomisierte Studien deuten auf eine Wirksamkeit des kombinierten Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmers Duloxetin sowie des selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmers Venlafaxin hin. Die Anwendung dieser Präparate bei zytostatikabedingten Neuropathien ist in Deutschland jedoch nur off label möglich. Retrospektive Auswertungen lassen zudem auf einen Effekt von Opioiden, insbesondere von Oxycodon, hoffen. Aufgrund der Datenlage halten sich die Autoren mit einer Empfehlung aber zurück. Zunehmend bedeutsamer sind inzwischen physiotherapeutische Verfahren und körperliche Aktivität in Prävention und Rehabilitation. Diese sollen ein sichereres Gehen ermöglichen sowie allgemeine Beweglich und manuelle Geschicklichkeit erhalten.

Quelle: Schuler U, Heller S. DNP 2017; 18: 44-49

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Chemotherapeutika können eine periphere Neuropathie auslösen. Chemotherapeutika können eine periphere Neuropathie auslösen. © Pixabay