Druckfrische Leitlinie zum Rückenschmerz

Dr. Anja Braunwarth

Stimmt die Körperhaltung nicht, beschwert sich der Rücken. Stimmt die Körperhaltung nicht, beschwert sich der Rücken. © thinkstock

"Ich habe Rücken" gehört sicher zu den allerhäufigsten Klagen in der Praxis. Bevor man bei den Betroffenen aber mit Kanonen auf Spatzen schießt, hat erst mal der Hausarzt das Sagen.

Seit Jahren rangiert der unspezifische Kreuzschmerz in den Statistiken zu Arbeitsunfähigkeit und Rehabilitation ganz vorne. Das spiegelt sich auch in den Kosten wider, denn 85 % der jährlich dafür aufgewendeten 3,6 Milliarden Euro (Stand 2008) entfallen auf diesen Bereich und nur 15 % auf die medizinische Behandlung.

Zunächst spezifische Ursachen ausschließen

Der Hausarzt erfüllt bei Rückenschmerzen zunächst eine Filterfunktion. An ers­ter Stelle steht der Ausschluss spezifischer Ursachen, erklärte Dr. Katrin Fitzler, Allgemeinärztin aus Langenselbold. Das heißt, nach "red flags" als Hinweisen für Frakturen, Infektionen, Neuro-/Radikulopathien oder Tumoren (z.B. neurologische Ausfälle, pathologische Laborwerte, B-Symptome) fahnden sowie auf Bandscheibenvorfälle oder degenerative Wirbelsäulenveränderungen untersuchen. Standardisierte Fragebogen können dabei nützlich sein. Klare Ursachen finden sich aber nur bei 15–45 % der Patienten.

Außerdem empfiehlt die Kollegin, schon früh auf Indizien für eine drohende Chronifizierung zu achten. "Yellow flags" kennzeichnen psychische Risikofaktoren wie
  • Angst- und Vermeidungsverhalten
  • Depressivität, Hoffnungslosigkeit
  • Neigung zur Dramatisierung/Somatisierung
  • Schon- und Vermeidungsverhalten
  • Distress
Daneben gibt es noch "blue flags", die mögliche negative Einflüsse aus dem Berufsleben beschreiben:
  • Schwerstarbeit
  • monotone Körperhaltung
  • geringe berufliche Qualifikation
  • Mobbing/Kränkungen
  • Unzufriedenheit am Arbeitsplatz
Bei der weiteren Versorgung hilft die soeben aktualisierte Nationale Versorgungsleitlinie "Nicht-spezifischer Kreuzschmerz" nur bedingt weiter. Neu darin: Die Empfehlung, psychosoziale Faktoren von Anfang an zu beachten, als Analgetika bevorzugt NSAR einzusetzen und den Schmerz möglichst früh multidisziplinär anzugehen.

Ansonsten gibt es eigentlich nur für Bewegungstherapie, Reha-Sport und Entspannungstechniken (bei drohender Chronifizierung) echte Evidenz. Damit rät die Leitlinie praktisch von allem anderen wie Akupunktur, Wärmeanwendung, Kinesiotaping, Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) etc. mehr oder weniger ab.

Mythos und Wahrheit

Dr. Katrin Filzer stellte abschließend noch einige Aussagen zum Rückenschmerz vor und teilte sie in die Kategorien "Mythos" und "Wahrheit" ein. Dabei fielen praktisch alle in die erste:
  • ein Hohlkreuz ist die Ursache für Rückenschmerzen
  • degenerative Veränderungen gehen grundsätzlich mit Schmerzen einher
  • die Betroffenen müssen immer Bettruhe einhalten
  • es muss sofort eine Bildgebung erfolgen
Der einzige Satz, der sich nicht leugnen lässt, lautete:
  • degenerative Veränderungen sind im Alter so normal wie graue Haare
Das geht aber eindeutig an der Praxis vorbei, betonte Dr. Oliver Emrich, Allgemeinarzt und Anästhesist vom Schmerzzentrum Ludwigshafen. "Für 90 % der Fälle, die wir behandeln, gibt es keine randomisierten kontrollierten Studien", mahnte der Kollege. Deshalb müsse man von Akupunktur bis Wärme alles probieren und schauen, was dem Patienten guttut.

Vier Wochen Persistenz? Ab zum Spezialisten!

Grundsätzlich rät Dr. Emrich dazu, nach vierwöchiger Beschwerdepersistenz trotz aller angewandten Optionen die Betroffenen zum Spezialisten (z.B. Neurologen, Orthopäden, Schmerztherapeuten) zu überweisen. Er präsentierte den Fall eines Mittdreißigers, der zunächst nach einem Sturz starke Rückenschmerzen hatte, die sich durch Physiotherapie lindern ließen.

Etwa einen Monat später erlitt er nachts im Bett einen "Hexenschuss" und war praktisch bewegungsunfähig. Nach zwei Monaten erfolgloser Behandlung kam der Patient in das Schmerzzentrum. Die körperliche Untersuchung ergab den Verdacht auf einen Bandscheibenvorfall L4/5 mit Wurzelbeteiligung sowie eine myofaszielle Kettenschmerzsymptomatik.

Der Bandscheibenvorfall bestätigte sich dann im MRT, aber heißt das jetzt, gleich ab in den OP? Nein, sagte der Experte. Schon vor Jahren zeigte sich in der SPORT*-Studie die Operation der konservativen Therapie auf lange Sicht kaum überlegen. Selbst Neurochirurgen schreiben in ihrer aktuellen Leitlinie: "Bis zu 90 % der symptomatischen Prolapse lassen sich durch eine konservative Therapie beherrschen" und sprechen beiden Strategien auf lange Sicht den gleichen Erfolg zu.

Fast alle Prolapse lassen sich konservativ beherrschen

Abgesehen davon sollte man nie direkt nach der Bildgebung eine invasive Intervention einleiten, erklärte der Referent. Im vorgestellten Fall gelang es, mit weitererer Physiotherapie die Beschwerden innerhalb von acht Wochen zu lindern und dann dominierte – wie bei einer Vielzahl der Patienten mit unspezifischem Rückenschmerz – die myofaszielle Komponente. Pathophysiologisch steckt eine Dysfunktion der Endplatte mit (neurogener) Entzündungsreaktion dahinter.

Die Durchblutung sinkt und das Milieu übersäuert. Neben einer ausreichenden Analgesie bilden diese Mechanismen die Ansatzpunkte der Therapie – "und da ist dann eben jedes Mittel recht, das in der Praxis hilft", so Dr. Emrich.

Quelle: Schmerz- und Palliativtag
*Spine Patient Outcomes Research Trial

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