Freie Bahn fürs Blut

Dr. Daniela Erhard

Thrombosen sind eine zusätzliche Gefahr für Krebspatienten. Thrombosen sind eine zusätzliche Gefahr für Krebspatienten. © sveta – stock.adobe.com

Krebserkrankte haben ein höheres Thromboserisiko. Brauchen sie deswegen eine Antikoagulation? Antworten gibt die aktuelle Leitlinie der „International Initiative on Thrombosis and Cancer“.

Alle drei Jahre bringt die „International Initiative on Thrombosis and Cancer“ (ITAC) ihre Praxisleitlinien zur Therapie und Prophylaxe von Thrombosen bei Krebspatient:innen auf den neuesten Stand. Für das Update von 2022 hat das Expert:innengremium um Prof. Dr. Dr. Dominique­ ­Farge vom Hôpital Saint-Louis in Paris nun aktuelle Studienergebnisse in ihre Empfehlungen integriert. Grundlegend ändert sich dadurch nichts. Die neuen Daten stützen aber die bisherigen Bewertungen, in einigen Fällen stärken sie sie sogar.

Tipp

Um die Leitlinie in der Praxis einfacher anwenden zu können, hat die ITAC eine passende App entwickelt. Sie ist kostenlos für iOS und Android verfügbar.

Niedermolekulares Heparin nun mit 1A bewertet

So stuften die Forschenden die Empfehlung, tiefe Venenthrombosen bei Krebserkrankten in den ersten 5–10 Tagen mit niedermolekularen Heparinen (LMWH) zu behandeln, von Level 1B auf 1A hoch. Das Gleiche gilt für die direkten oralen Anti­koagulanzien (DOAK). Sie schneiden – solange kein besonderes Risiko für gastrointestinale oder urogenitale Blutungen besteht – nicht schlechter ab als die LMWH. Insofern kann man gemäß der Leitlinie zur Initialtherapie auch Apixaban in einer Dosierung von 10 mg zweimal täglich für die ersten sieben Tage verwenden oder für drei Wochen zweimal täglich 15 mg Rivaroxaban geben. Soll Edoxaban zum Einsatz kommen, ist zunächst eine fünftägige Vorbehandlung mit einem parenteralen Antikoagulans, in der Regel einem LMWH, erforderlich. Danach kann die Therapie mit der Standarddosis von täglich 60 mg Edoxaban starten.

Fondaparinux und unfraktioniertes Heparin halten die Expert:innen aber weiterhin für eine Alternative in der Initial­behandlung, vor allem wenn LMWH und DOAK kontraindiziert sind. Unfraktioniertes Heparin, gefolgt von einem Vitamin-K-Antagonisten, kann beispielsweise eine Option bei schlechter Nierenfunktion mit einer Kreatinin-Clearance < 30 ml/min sein, auch wenn LMWH hier unter genauer Kontrolle ebenfalls zu den empfohlenen Substanzen gehören.

Scheide eine medikamentöse Antikoagulation aus, könne man zudem einen Cavaschirm erwägen, so das Expert:innengremium. Er senkt Studien zufolge das Risiko, nach einer Venenthrombose eine Lungenembolie zu bekommen oder an einer solchen zu sterben. Von einer Thrombolyse raten die Autor:innen dagegen – wie bisher schon – ab. Sie bringe auch neuen Ergebnissen nach keinen Vorteil, erhöhe jedoch das Risiko für Hirnblutungen. Ob eine Thrombolyse zum Einsatz komme, müsse individuell und unter Berücksichtigung der Kontraindikationen, besonders eines Blutungsrisikos, entschieden werden. Außerdem solle man zuvor eine Expert:innenmeinung einholen und die Prozedur, wenn überhaupt nur in Zentren mit entsprechender Expertise durchführen.

Einig sind sich die Forschenden, dass die Antikoagulation im Anschluss an die Initialtherapie mindestens sechs Monate fortgesetzt werden sollte. Dabei gelte: Lieber LMWH als Vitamin-K-Antagonisten nutzen, wenn die Kreatinin-Clearance ≥ 30 mL/min beträgt. Zudem dürften DOAK im Normalfall gleichermaßen geeignet sein. Auch wenn einzelne Studien zu anderen Ergebnissen kommen, verhindern die oralen Mittel im direkten Vergleich mit LMWH das erneute Auftreten von Thromben insgesamt wohl besser, ohne das Risiko für schwere Blutungen zu erhöhen. Ob und wie man nach den sechs Monaten weiter therapiere, müsse man im Einzelfall entscheiden.

Vor OP Prophylaxe mit Antikoagulanzien 

Kommt es zu katheterassoziierten Gerinnseln, empfiehlt die Arbeitsgruppe, mindestens drei Monate zu antikoagulieren – und zwar mit LMWH und so lange, wie der zentrale Venenkatheter liegt. Da direkte Vergleiche mit anderen Gerinnungshemmern fehlen, sprechen die Expert:innen hier keine Empfehlung für andere Substanzen aus.

Alle Krebserkrankten prophylaktisch mit Antikoagulanzien zu versorgen, ist trotz des erhöhten Thromboserisikos in dieser Personengruppe nicht notwendig. Klar empfohlen wird die Vorbeugung aber bei Patient:innen, die vor einer Tumor-OP stehen. Etwa 12–2 Stunden vor dem Eingriff sollte die Antikoagulation starten und dann noch 7–10 Tage, im Fall von Bauch- und Beckenoperationen bis vier Wochen, postoperativ andauern. Da bislang keine ausreichenden Belege für den Nutzen anderer Substanzen existieren, bleiben LMWH oder unfraktioniertes Heparin Mittel der Wahl für die Prophylaxe – wobei die Leitlinie den LMWH den Vorzug gibt, da diese seltener heparininduzierte Thrombozytopenien verursachen und nur einmal täglich gespritzt werden müssen.

Als ratsam erachten die Leit­linienautor:innen die Prophylaxe zudem bei systemisch behandelten Personen, die stationär aufgenommen wurden. Sofern die Kreatinin-Clearance ≥ 30 ml/min liege, solle man dann bevorzugt ein LMWH oder auch Fondaparinux wählen. DOAK seien nicht standardmäßig zu empfehlen.

Im ambulanten Setting sollten besonders die Betroffenen mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Bauchspeicheldrüsenkrebs eine Thromboseprophylaxe erhalten. Laut den Studien, die die Autor:innen zitieren, können sowohl LMWH als auch DOAK in dieser Gruppe die Thrombosegefahr um 60–70 % reduzieren, ohne dass das Blutungsrisiko signifikant steigt. Trotzdem raten die Expert:innen nur dann zum Einsatz, wenn das individuelle Blutungsrisiko niedrig ist. Auch andere Personen mit mittlerem bis hohem Thromboserisiko, die eine systemische Krebstherapie erhalten, kommen für präventives DOAK infrage. 

Ebenso empfehlen die Forschenden für Myelom-Erkrankte, die mit Immunmodulatoren in Kombination mit Steroiden oder anderen systemischen Therapien behandelt werden, eine vorbeugende Anti­koagulation mit LMWH, Vitamin-K-Antagonisten, Apixaban oder Aspirin. Bei Lungenkrebs raten sie dagegen von einer Prophylaxe ab: Das Risiko für Blutungen mache den Nutzen zunichte.

Ähnliches gilt für die Prävention von katheterassoziierten Thrombosen, für die die Wissenschaftler:innen keine Routineprophylaxe empfehlen. Wird ein Zentralvenenkatheter benötigt, könne es jedoch schon helfen, einen Port zu implantieren, statt periphere Zugänge zu nutzen. Zudem sollten Katheter rechtsseitig, in der Jugularvene und so platziert werden, dass das distale Ende an der Verbindung von oberer Hohlvene und rechtem Atrium zu liegen komme.

Empfehlungen für Schwangere, Adipöse und Kinder

  • Für schwangere Krebspatientinnen empfehlen die Autor:innen den Einsatz von LMWH zur Behandlung einer bestehenden Venenthrombosen sowie zu deren Prophylaxe. Vitamin-K-Antagonisten und DOAK sollten vermieden werden, da es dazu keine Daten gibt und zudem eine Kontraindikation für diese Substanzen während der Schwangerschaft besteht.
  • Bei adipösen Patient:innen, die sich einer Tumoroperation unterziehen, sollte man höhere LMWH-Dosierungen in Betracht ziehen.
  • Um eine symptomatische katheterassoziierte Thrombose bei Kindern zu behandeln, raten die Expert:innen zu einer Antikoagulation für mindestens drei Monate und so lange, wie der Zentralvenenkatheter liegt. Direkte Vergleichsstudien zwischen unfraktioniertem Heparin, LMWHs, DOAK und Vitamin-K-Antagonisten gibt es nicht.
  • Kinder mit akuter lymphoblastischer Leukämie, die eine Induktionschemotherapie erhalten, sollten zur Thromboseprophylaxe mit LMWH behandelt werden.
  • Die Autor:innen empfehlen, bei Kindern, die einen Zentralvenenkatheter benötigen, implantierte Ports gegenüber peripheren Zugängen zu bevorzugen.

COVID-19 beeinflusst Thromboserisiko nicht 

Aufgrund des ebenfalls erhöhten Thromboserisikos durch eine SARS-CoV-2-Infektion gehen die Autor:innen in ihrem aktuellen Update – außer auf weitere spezielle Personengruppen wie Schwangere, Adipöse oder Kinder (s. Kasten) – auch auf Krebspatient:innen mit COVID-19 ein. Allerdings deutete bisher offenbar nichts darauf hin, dass Thrombosen in dieser Gruppe wirklich häufiger auftreten. Auch gebe es keine spezifischen Daten zur Gerinnselprophylaxe bei Krebs und COVID-19, so die Expert:innen. Sie empfehlen daher, diese Personen genauso zu behandeln wie die Erkrankten ohne eine SARS-CoV-2-Infektion.

Quelle: Farge D et al. Lancet Oncol 2022; 23: e334-e347; DOI: 10.1016/S1470-2045(22)00160-7

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