Hereditäres Angioödem: Vorbeugen statt abschwellen

Dr. Andrea Wülker

Häufig treten die Schwellungen im Mundraum und an den Schleimhäuten auf, weswegen viele Betroffene Angst vor dem Ersticken haben. Häufig treten die Schwellungen im Mundraum und an den Schleimhäuten auf, weswegen viele Betroffene Angst vor dem Ersticken haben. © velimir – stock.adobe.com

Von der akuten supportiven Intervention bei Attacken hin zur Prävention: Die Behandlung des hereditären Angioödems hat im letzten Jahrzehnt rasante Fortschritte gemacht und erleichtert den Betroffenen das Leben erheblich.

Ursache des hereditären Angioödems (HAE) Typ I und Typ II ist ein mutationsbedingter Mangel an funktionsfähigem C1-Inhibitor. Dieser Inhibitor reguliert verschiedene Proteasen u.a. im Komplement- und im Kallikrein- Kinin-System, schreiben Dr. Paula J. Busse von der Division of Clinical Immunology and Allergy der Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York, und Dr. Sandra C. Christiansen vom Department of Medicine der University of California, San Diego. Die Aktivierung des Kallikrein-Kinin-Systems durch C1-Inhibitor-Mangel fördert die Bradykinin-Bildung, was eine Vasodilatation und erhöhte Gefäßpermeabilität nach sich zieht. Die seltenen Erbkrankheiten gehen mit rezidivierenden Ödem-Attacken in verschiedenen Körperregionen einher (s. Kasten).

Häufig nicht erkannt

  • Beim hereditären Angioödem handelt es sich um eine seltene, autosomal-dominante Erbkrankheit (Prävalenz ca. 1:50 000).
  • Klinik: episodische Attacken von kutanen und submukösen Schwellungen (asymmetrisch, entstellend, nicht-juckend, ohne Urtikaria) z.B. im Gesicht oder an den Extremitäten; schmerzhafte abdominale Attacken. Larynxödeme können tödlich enden.
  • Zu den Triggerfaktoren zählen Stress, Traumata, medizinische Interventionen, Infektionen u.a.
  • Die Erkrankung manifestiert sich oft im Kindesalter und verschlechtert sich in der Pubertät.
  • Sie wird häufig nicht erkannt oder als histaminvermitteltes Angioödem fehlgedeutet.
  • Glukokortikoide, Antihistaminika und Noradrenalin sind beim HAE durch C1-Inhibitor-Mangel wirkungslos!

Seit 2000 ist eine weitere Form des HAE mit normalen C1-Inhibitor-Spiegeln bekannt. Diese Form wird ebenfalls autosomal-dominant vererbt, allerdings mit unvollständiger Penetranz. Die klinische Manifestation ähnelt derjenigen beim HAE durch C1-Inhibitor-Mangel, allerdings halten die Ödeme länger an. Die zugrunde liegenden Pathomechanismen ließen sich bisher nicht vollständig klären. Nachdem man früher keine zielgerichtete Therapie gegen die Attacken zur Verfügung hatte, wurden in den letzten zehn Jahren verschiedene Bedarfstherapien zugelassen, die eingesetzt werden können, sobald sich eine Schwellung anbahnt (On-demand-Therapie, Akutbehandlung). Sie zielen darauf ab, die durch Bradykinin vermittelte Gefäßdurchlässigkeit zu vermindern. Infrage kommen:
  • ein aus humanem Plasma hergestellter C1-Inhibitor (Applikation: i.v.)
  • ein rekombinanter C1-Inhibitor (Applikation: i.v.)
  • ein B2-Bradykinin-Rezeptor-Antagonist (Applikation: s.c.)
  • ein Kallikrein-Inhibitor (Applikation: s.c., in Europa nicht zugelassen)
Randomisierte, kontrollierte Studien belegen die Sicherheit und Effektivität dieser Substanzen in der Behandlung des hereditären Angioödems mit C1-Inhibitor-Mangel. Es gibt allerdings keine derartigen Studien zu Bedarfstherapien bei Patienten mit HAE und normalen C1-Inhibitor-Konzentrationen. Doch zeigen zahlreiche Open-Label-Untersuchungen auch dort ein erfolgreiches Ansprechen auf alle genannten Bedarfstherapien. Eine Kurzzeit-Prophylaxe kann bei HAE-Patienten mit C1-Inhibitor-Mangel vor bestimmten medizinischen Interventionen, Operationen oder zahnärztlichen Eingriffen indiziert sein, die als Trigger für die Schwellungen gelten. Dazu wird bevorzugt ein C1-Inhibitor ein bis zwölf Stunden (ideal binnen zwei Stunden) vor der geplanten Intervention verabreicht. Falls kein C1-Inhibitor zur Verfügung steht, eignet sich alternativ entweder gefrorenes Frischplasma (zwei Einheiten ein bis zwölf Stunden vor der Intervention) oder Danazol (400-600 mg täglich, beginnend fünf bis sieben Tage vor der Prozedur). Zur Kurzzeit-Prophylaxe bei HAE mit normalen C1-Inhibitor-Spiegeln gibt es kaum Daten. Man kann die oben erwähnten Optionen versuchen, sollte aber für den Notfall eine Bedarfsmedikation zur Hand haben.

Nach wie vor Ängste und Einschränkungen im Alltag

Die Verfügbarkeit von On-demand-Therapien bei akuten Attacken stellt für die betroffenen Patienten eine Erleichterung dar, dennoch gibt es nach wie vor Einschränkungen im Alltagsleben und psychische Belastungen wie die Angst vor dem Ersticken. Soll eine Langzeitprophylaxe erfolgen, eignen sich folgende Behandlungsoptionen:
  • intravenöse C1-Inhibitor-Gabe
  • subkutane C1-Inhibitor-Gabe
  • Lanadelumab (monoklonaler Antikörper-Inhibitor von Plasma-Kallikrein)
  • Hormonbehandlung z.B. mit attenuierten Androgenen
  • Tranexamsäure (Antifibrinolytikum)
Da sich diese vorbeugenden Möglichkeiten inzwischen als hochwirksam und sicher erwiesen haben, glauben die Autoren, dass sich das Management des HAE allmählich weg von der Therapie hin zur Prophylaxe verschieben wird.

Quelle: Busse PJ, Christiansen SC. N Engl J Med 2020; 382: 1136-1148; DOI: 10.1056/NEJMra1808012

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Häufig treten die Schwellungen im Mundraum und an den Schleimhäuten auf, weswegen viele Betroffene Angst vor dem Ersticken haben. Häufig treten die Schwellungen im Mundraum und an den Schleimhäuten auf, weswegen viele Betroffene Angst vor dem Ersticken haben. © velimir – stock.adobe.com