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Hinter aquagenem Pruritus kann eine myeloproliferative Neoplasie stecken

Als sich ein 74-jähriger Patient in der Ambulanz der Klinik und Poliklinik für Dermatologie der Universitätsmedizin Rostock vorstellt, leidet er bereits seit eineinhalb Jahren unter Juckreiz an Rücken, Hinterkopf und Armen nach dem Duschen. Zwar lässt das Jucken nach 30 bis 45 Minuten wieder nach, im Laufe der Zeit waren jedoch weitere Trigger wie Schwitzen oder ein schneller Wechsel zwischen Kälte und Wärme wie beim „schnellen Zu-Bett-Gehen“ hinzugekommen.
Unabhängig davon treten gelegentliche Parästhesien auf, Hautveränderungen jedoch nie. Eine B-Symptomatik liegt nicht vor. Die Ärzte diagnostizieren einen aquagenen Pruritus und veranlassen eine weiterführende Diagnostik. Aufgrund der Befunde von Labor und Blutbild (unreife Zellen der myeloischen Reihe) folgen Knochenmarkbiopsie und molekulargenetische Untersuchungen. Schließlich steht die Diagnose einer präfibrotischen primären Myelofibrose. Eine Aderlass-Therapie und topisches Polidocanol können den Juckreiz lindern.
Die Haut brennt, sticht und kribbelt
Aquagener Pruritus (AP) tritt typischerweise innerhalb weniger Minuten nach Wasserkontakt auf und klingt nach einigen Minuten bis zwei Stunden von alleine wieder ab. Die Betroffenen spüren ein Brennen, Stechen oder Kribbeln, ohne dass Hautveränderungen erkennbar sind, schreiben Dr. Paulina Troitzsch und ihre Kollegen. Man unterscheidet zwischen primärem (idiopathisch) und sekundärem AP (zum Beispiel im Rahmen von Polycythaemia vera, Tumorleiden oder iatrogen durch Medikamente). Als mögliche Auslöser werden unter anderem reaktive Prozesse unter Beteiligung von Mastzellen, Granulozyten, T-Zellen inkl. vermittelnder Zytokine diskutiert sowie insbesondere beim idiopathischen aquagenen Pruritus eine Small-Fiber-Neuropathie.
Während der idiopathische AP meist in jüngerem Alter bevorzugt bei Frauen auftritt (familiäre Häufung), kommt der sekundäre AP im Rahmen verschiedener Systemerkrankungen vor, insbesondere bei myeloproliferativen Neoplasien. Allerdings kann er diesen auch um Jahre vorausgehen, weswegen es wichtig ist, AP-Patienten regelmäßig zu kontrollieren. Am häufigsten wird der sekundäre AP bei Polycythaemia vera (PV) beobachtet – etwa die Hälfte aller PV-Patienten leidet unter der Symptomatik, wobei Männer häufiger betroffen sind.
Bei PV-Patienten lindert oft bereits die Therapie der Grunderkrankung (z.B. mit Interferon-a, JAK-Inhibitoren) die Symptomatik. Zur Behandlung des idiopathischen AP eignen sich Natrium-Bicarbonat als Badezusatz, topisches Scopolamin sowie Betablocker (Atenolol, Propranolol). Einzelnen Patienten schien auch Omalizumab zu helfen.
Antihistaminika wirken, aber nicht bei jedem
Lichttherapien (UVA/UVB, Schmalspektrum-UVB, PUVA) sind häufig bei beiden AP-Formen wirksam, wobei in vielen Fällen eine längerfristige Erhaltungstherapie nötig ist (Cave: Hautkrebsrisiko!). Eine weitere Option für alle AP-Betroffenen ist die Gabe von Opioid-Antagonisten, selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern sowie Antikonvulsiva. Antihistaminika wie Cyproheptadin oder Cimetidin wirken oft nur bei einem Teil der Betroffenen.
Quelle: Troitzsch P et al. Akt Dermatol 2020; 46: 389-393; DOI: 10.1055/a-1150-0796
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