Dem psychogenen Juckreiz auf der Spur

Stefanie Menzel

Grund für den psychogenen Juckreiz sind oft unverarbeitete Probleme und innerliche Anspannung. Grund für den psychogenen Juckreiz sind oft unverarbeitete Probleme und innerliche Anspannung. © Maria Fuchs – stock.adobe.com

Nicht alles, was juckt, ist eine Hauterkrankung. Wenn nach eingehender dermatologischer Inspektion die Diagnose unklar bleibt, könnten seelische Probleme hinter den Beschwerden stecken.

Die Auswirkungen, die ein Pruritus auf die Lebensqualität der Betroffenen hat, sind enorm. Patienten mit ständigem Juckempfinden z.B. aufgrund von Neurodermitis oder Prurigo leiden häufig an Schlafstörungen, Leistungsabfall, Depressionen und Angst bis hin zu Suizidgedanken, berichtete Prof. Klaus-Michael Taube vom Universitätsklinikum Halle. Natürlich ist nicht bei jedem der Leidensdruck so groß. Gleichzeitig lässt sich nicht immer ein greifbarer Auslöser finden. Neben chronischen Hauterkrankungen kommen auch chemische und physikalische Stimuli als Ursache für den Pruritus infrage. Zudem gibt es histaminunabhängige Juckreizformen, die oft eine psychische Genese haben und meist auf einer Ausschlussdiagnose beruhen.

Prof. Taube empfahl, im Anamnesegespräch statt nach „Juckreiz“ besser nach Beschwerden zu fragen. Auf diese Weise erhalte man häufig wertvolle Details, die bei der Eingrenzung der Ursachen helfen (s. Tabellen). Zudem solle die Frage nach etwaigen psychosozialen Belastungen, psychiatrischen Therapien, Medikamenteneinnahme und Drogenabusus gestellt werden.

Ursachenforschung beim Pruritus

Erscheinungsformen des Pruritus

Art des Reizes

Ursachen (Auswahl)

akut

Insektenstich, Urtikaria

chronisch

atopische Dermatitis, Tinea, Psoriasis, Lichen ruber

quälend

Skabies

kribbelnd

Epizoophobie

stechend

Zytostatika, Vitaminmangel

brennend

M. Duhring

akuter Schmerz

Herpes simplex

chronischer Schmerz

Herpes zoster, Rhagaden

einschießender Schmerz

postherpetische Neuralgie

Hitzegefühl

Erysipel

Lokalisation und zeitliches Auftreten des Pruritus

Besonderheit

Ursachen (Auswahl)

an Händen und Füßen

Lebererkrankung

im Genitalbereich

Infektion, Allergie, exzessive „Hautpflege“

Halsfalte, Leiste, Axillen

M. Hodgkin

bei klinisch unauffälliger Haut

Medikamentennebenwirkung (z.B. Captopril, Codein, Miconazol, Tramadol)

v.a. nachts

Skabies, Neurodermitis und andere Dermatosen

im höheren Lebensalter

mangelnde Flüssigkeitszufuhr

chronisch

Angst, Depression

Quelle: K.-M. Taube

Sofern das Jucken nicht durch eine Dermatose zu erklären ist, gilt es neben neurologischen Ursachen eine Reihe internistischer Erkrankungen abzuklären. Dazu gehören unter anderem:

  • Niereninsuffizienz
  • Lebererkrankung
  • onkologische Erkrankung (z.B. M. Hodgkin)
  • hämatologische Erkrankung (z.B. Polycythaemia vera)
  • Eisenmangel
  • Diabetes mellitus
  • Schilddrüsenfunktionsstörungen
  • neurologische Erkrankungen
  • Helicobacter pylori

Bleibt die Ursachensuche weiterhin erfolglos, liegt der Verdacht auf einen psychogenen Pruritus nahe. „Typischerweise tritt diese Form des Juckreizes auf bei innerer Anspannung und dem Unvermögen, diese zu äußern“, berichtete Prof. Taube. Häufig kommt es kurz vor dem Einschlafen zu Juckattacken, wenn nach einem anstrengenden Tag Ruhe einkehrt. Auch bei Langeweile, Ärger, mentaler Anspannung und in Wartesituationen leiden Betroffene unter „Spannungskratzen“.

Der chronische Juckreiz sine materia, also ohne erkennbare Ursache, beginnt bei vielen bereits im Kindesalter. Er beruht möglicherweise auf der (Fehl-)Verarbeitung von ungelösten (psychischen) Problemen, erläuterte Prof. Taube. Diese würden dann auf der Haut ausgetragen – vornehmlich im Bereich von Kopf, Gesicht, Gelenkbeugen und Gesäß. Dahinter stecke oft einerseits ein Mangel an Nähe, Zuwendung und Geborgenheit und andererseits die Angst davor, diese Gefühle zuzulassen.

Therapeutisch empfiehlt Prof. Taube eine Basispflege inklusive Harnstoff und ggf. Antiseptika. Sowohl bei generalisiertem als auch bei partiellem Juckreiz habe zudem eine UVA-Ganzkörperbestrahlung Effekte gezeigt. Gleichzeitig sollte man den Patienten über die für ihn nachteiligen Effekte aufklären, die mit häufigem Baden und Waschen, Saunabesuchen, alkoholischen Umschlägen sowie Kaffee, Alkohol und scharf gewürzten Speisen einhergehen.

Besonders bewährt bei psychogenem Pruritus haben sich Prof. Taube zufolge Verfahren wie autogenes Training, progressive Muskelentspannung und Yoga. Des Weiteren kommen Tiefenpsychologie, Psychoanalyse und kognitive Verhaltenstherapie infrage. Bei ausgeprägter Symptomatik kann eine komplexe stationäre Psychotherapie sinnvoll sein (inklusive sportlicher Aktivitäten, physikalischer Maßnahmen, Kreativtherapie).

Falls nötig, können u.a. topische Kortikoide (z.B. Mometason, Betamethason, Clobetasol) oder Lokalanästhetika (Lidocain) zum Einsatz kommen. Systemisch zeigen eventuell Antihistaminika einen Effekt. Die Indikationsstellung für Gabapentin bei Schmerzen sowie Antidepressiva (z.B. Pregabalin, Doxepin, Paroxetin) gehört nach Meinung von Prof. Taube nur in die Hände darin erfahrener Kollegen.

Quellen:
1. Silverberg JI et al. J Am Acad Dermatol 2020; 83: 1349-1359; DOI: 10.1016/j.jaad.2020.05.041
2. Hawro T et al. J Am Acad Dermatol 2021; 84: 691-700; DOI: 10.1016/j.jaad.2020.08.035

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