
HIV-Exponierte mit Notrezept ausstatten

Über die Möglichkeiten der Prä- und Postexpositionsprophylaxe wissen die meisten Menschen mit einem erhöhten HIV-Infektionsrisiko heutzutage recht gut Bescheid. Doch es bleiben kritische Lücken in der Versorgung, schreiben Dr. Maxime Billick von der Universität Toronto und Kollegen. Viele Betroffene fühlen sich nach wie vor stigmatisiert und scheuen den Gang zum Arzt. Die Wartezeiten in den spezialisierten Praxen und Kliniken sind noch immer lang, in den Notfallambulanzen gibt es Wissenslücken beim Umgang mit HIV-Patienten. Hinzu kommen die hohe Tablettenlast bei Therapie und Prophylaxe, die Nebenwirkungen der antiretroviralen Medikamente und die Behandlungskosten.
Postexpositionsprophylaxe hat einige Hürden
Für eine Präexpositionsprophylaxe muss der Patient täglich – oder als Bedarfsmedikation vor einem möglichen riskanten Kontakt mit einem HIV-seropositiven Menschen – die antiretroviralen Medikamente einnehmen. Für die HIV-Postexpositionsprophylaxe, wie sie derzeit vielfach erfolgt, muss der Betroffene nach einem tatsächlichen oder dem mutmaßlichen Kontakt mit dem HI-Virus so schnell wie möglich eine Notfallambulanz oder den ärztlichen Notdienst aufsuchen, um eine entsprechende Medikamentenverordnung zu bekommen. Außerhalb von Spezialpraxen sind Ärzte jedoch mit der Medikation und der individuellen Situation des Hilfesuchenden oft nicht vertraut und die Patienten scheuen häufig davor zurück, intime Details mit einem Fremden zu besprechen.
Die PIP ist sinnvoll bei eher seltenen riskanten Kontakten
Dr. Billick und Kollegen empfehlen für Menschen mit höchstens gelegentlicher HIV-Exposition – als Maß nennen sie bis zu vier riskante Kontakte pro Jahr – eine weitere Variante: die sogenannte postexposure prophylaxis-in-pocket (PIP). Das meint nichts anderes als ein Rezept für eine Postexpositionsprophylaxe, das der Betroffene im Notfall griffbereit hat und jederzeit einlösen kann, um unmittelbar mit der antiretroviralen Therapie zu starten, erläutern die Autoren. Folgende Verordnungen sind ihnen zufolge für die PIP geeignet:
- bei Frauen im gebärfähigen Alter Dolutegravir zusammen mit der Kombination aus Tenofovirdisoproxilfumarat und Emtricitabin, alternativ die Kombi aus Tenofoviralafenamid und Emtricitabin
- bei Männern die Fixkombination aus Bictegravir, Emtricitabin und Tenofoviralafenamid
Die Medikamente werden einmal täglich über 28 Tage eingenommen. Innerhalb einer Woche nach dem möglichen HIV-Kontakt sollte der Betroffene eine Klinik aufsuchen, um einen HIV-Test und Untersuchungen auf andere Geschlechtskrankheiten durchführen zu lassen.
Erkrankungen des Knochenstoffwechsels sowie Nieren- und Leberfunktionsstörungen sind zwar keine grundsätzliche Kontraindikationen für die PIP, eventuell müssen aber die Dosierungen angepasst werden. Die Einnahme von Phenytoin und Carbamazepin kann die Serumkonzentrationen der PIP-Wirkstoffe senken, Gleiches gilt für Rifamycine. Auch die freiverkäuflichen Johanniskrautpräparate können die Blutspiegel der antiretroviralen Substanzen mindern.
An Laborwerten sollte man ein großes Blutbild anfordern, ebenso die Nieren- und Leberwerte, ggf. ist ein Schwangerschaftstest sinnvoll. Zudem ist ein Screening auf HIV und andere sexuell übertragbare Krankheiten indiziert, etwa auf Syphilis, Chlamydieninfektionen oder Gonorrhö. Auch auf Virushepatitis A, B und C sollte man testen, fehlende Impfungen sind nachzuholen. Die Experten raten zu Folgeuntersuchungen alle fünf bis sechs Monate, bei denen auf neu erworbene Infektionen gescreent wird. Bei diesen Terminen bespricht man auch, ob die PIP weiterhin die geeignete HIV-Prophylaxe darstellt oder ob der Patient auf eine andere Methoden wechseln möchte oder sollte, etwa zur Präexpositionsprophylaxe (PrEP).
Quelle: Billick MJ et al. BMJ 2023; 382: e076016; DOI: 101136/bmj-2023-076016
Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).