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Potenziell mit HIV infiziert

Kommt medizinisches Personal versehentlich in direkten Kontakt mit HIV-kontaminiertem Material, stehen Sofortmaßnahmen wie Waschen und Spülen an erster Stelle (s. Kasten). Im nächsten Schritt ist über den Beginn einer Postexpositionsprophylaxe (PEP) zu entscheiden. Da es schnell gehen muss, darf die primäre Versorgung prinzipiell durch jeden Arzt erfolgen (und abgerechnet werden), es braucht kein Betriebs- oder D-Arzt zu sein. Bewährt hat sich jedoch die Beratung durch einen in der HIV-Therapie erfahrenen Kollegen – idealerweise noch vor dem Start der PEP oder kurz danach, heißt es in der aktuellen Leitlinie unter Federführung der Deutschen AIDS-Gesellschaft.
Ausdrücklich empfohlen wird die HIV-PEP bei erhöhtem Infektionsrisiko (s. Tabelle). Dieses besteht beispielsweise nach perkutanen Stich- und Schnittverletzungen mit Hohlraumnadeln, die zum Transfer von potenziell stark HIV-kontaminierten Körperflüssigkeiten benutzt wurden. Darüber hinaus plädieren die Verfasser für eine HIV-PEP, falls Mukosa oder nicht-intakte Haut (frische Wunde, Ekzem etc.) in Kontakt mit stark belasteten Flüssigkeiten gekommen ist, ebenso bei sichtbaren Verletzungen beispielsweise durch blutig-tingierte chirurgische Nadeln.
Wie stark erhöht ist das Infektionsrisiko? | |
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tiefe Stich- oder Schnittverletzung | 16-fach* |
Indexperson mit hoher Viruslast (d.h. akute HIV-Infektion, AIDS ohne ART) | 6-fach* |
sichtbare frische Blutspuren auf dem Instrument, mit dem die Verletzung erfolgte | 5-fach* |
verletzende Kanüle oder Nadel lag vorher in Vene oder Arterie | 5-fach* |
* Erhöhung des Risikos im Vergleich zur durchschnittlichen Gefährdung nach perkutaner Exposition
Gegen eine PEP nach arbeitsbedingter Exposition sprechen sich die Experten aus, wenn HIV-RNA bei dem potenziellen Überträger nicht nachweisbar ist (< 50 Kopien HIV-RNA/ml Plasma) und das Übertragungsrisiko nicht erhöht war. Selbiges gilt auch für den Kontakt von lädierter Haut mit risikofreien Körperflüssigkeiten (z.B. Urin, Kot, Erbrochenes, Tränen oder Speichel).
Indikation bei Sex mit HIV-Positiven je nach Viruslast
Eine Indikation für eine Postexpositionsprophylaxe – eher auf Patientenseite – besteht nach ungeschütztem sexuellem Kontakt. Definitionsgemäß handelt es sich dabei um Anal- oder Vaginalverkehr ohne Kondom bzw. Präexpositionsprophylaxe. Die Indikation richtet sich nach dem Ausmaß der Virusbelastung des infizierten Partners: Explizit angeraten wird die HIV-PEP, wenn die Konzentration 1.000 Kopien HIV-RNA/ml Plasma übersteigt. Im Bereich zwischen 50 und 1.000 Kopien/ml sollte die HIV-PEP angeboten werden. Keine Indikation besteht bei Werten unter 50 Kopien/ml und nach Oralverkehr (aktiv, passiv, spermaaufnehmend).
Bei unklarem HIV-Status ist eine PEP nach riskantem Sex zu empfehlen, d.h. wenn eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für eine nicht bekannte oder unbehandelte Infektion besteht. Das gilt zum einen für Männer mit gleichgeschlechtlichen Kontakten, zum anderen für Heterosexuelle, deren Partner intravenös Drogen konsumiert, aus einer Region mit hoher HIV-Prävalenz stammt (z.B. Subsahara-Afrika) oder bisexuell lebt.
Erste Hilfe nach der Exposition am Arbeitsplatz | |
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Stich-/Schnittverletzung, Kontamination von geschädigter Haut | Kontamination von Auge oder Mundhöhlen |
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Opfern einer Vergewaltigung oder sexualisierter Gewalt ist eine HIV-PEP anzubieten, wenn ein ungeschützter Anal- oder Vaginalverkehr erfolgte. Die Expositionswahrscheinlichkeit ist zwar statistisch betrachtet niedrig (≤ 1:10.000), aber der Täter könnte ein erhöhtes Risiko aufweisen. Bei erzwungenem Sex unter Männern wird deshalb eine HIV-PEP generell empfohlen. Nicht erforderlich ist diese Maßnahme mangels Risiko nach Oralverkehr.
Sinnvoll kann eine PEP auch für Menschen sein, die intravenös Drogen konsumieren. Ausdrücklich angeraten wird sie nach gemeinsamer Nutzung von definitiv kontaminiertem Injektionsbesteck. Angeboten werden sollte sie bereits, wenn der HIV-Status anderer Nutzer unbekannt ist. Nicht benötigt wird die PEP bei Stichverletzungen Unbeteiligter durch herumliegendes Injektionsbesteck (z.B. Kinder im Sandkasten). Das Infektionsrisiko ist gering, denn an den Kanülen haftet nur wenig und zumeist getrocknetes Blut. Eine HIV-Transmission auf diesem Weg wurde bisher nicht nachgewiesen.
Mögliche Regime für die PEP | |
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Empfohlene Kombinationen | |
TDF/FTC + RAL | Tenofovir-Disoproxil/Emtricitabin + Raltegravir |
TDF/FTC + DTG | Tenofovir-Disoproxil/Emtricitabin + Dolutegravir |
TAF/FTC/BIC** | Tenofovir-Alafenamid/Emtricitabin/Bictegravir |
Alternativen, falls obige nicht verfügbar | |
TDF/FTC + DRV/r | Tenofovir-Disoproxil/Emtricitabin + Darunavir + Ritonavir |
TAF/FTC/EVG/c** | Tenofovir-Alafenamid/Emtricitabin/Elvitegravir/Cobicistat |
* andere Substanzen bzw. Kombinationen nur im seltenen Fall von Resistenzen
** nicht in der Schwangerschaft anzuwenden
Eine PEP sollte so bald wie möglich beginnen, da ihre Wirksamkeit abnimmt, je mehr Zeit nach der Exposition verstreicht. Die Expositionsprophylaxe sollte sofort nach der Indikationsstellung beginnen, das heißt innerhalb von 24 h (maximal 72 h). Optimal ist ein Start in den ersten zwei Stunden. Deshalb, und zur eigenen Sicherheit, sollten bei Vorstellung einer potenziell exponierten Person Umstände und Zeitpunkt genau erfasst und dokumentiert werden. Zusätzlich ist eine Bestimmung von Blutbild, Leber- und Nierenwerten als Ausgangsbefund sinnvoll. Allerdings darf man dabei nicht auf das Laborergebnis warten.
Behandlung erfolgt über 28 bis 30 Tage
Für die PEP selbst werden drei Kombinationen mit Integrase-Inhibitoren empfohlen. Die Verträglichkeit ist für sie in dieser Indikation durch klinische Studiendaten belegt (s. Tabelle oben). Unerwünschte Nebenwirkungen oder Interaktionen mit anderen Medikamenten sind den Autoren zufolge kaum zu befürchten, weshalb im Rahmen der Leitlinienaktualisierung Umfang und Frequenz der geforderten Kontrolluntersuchungen deutlich reduziert werden konnten. Die PEP sollte über einen Zeitraum von 28 bis 30 Tagen erfolgen.
Quelle: Deutsch-Österreichische Leitlinie zur medikamentösen Postexpositionsprophylaxe (PEP) nach HIV-Exposition, AWMF-Register-Nr. 055/004, www.awmf.org
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