Hodenhochstand – Die Behandlung im ersten Lebensjahr abschließen

Ulrike Viegener

Liegt der Hoden über längere Zeit in der warmen Leiste, tut das den Keimzellen gar nicht gut. Deshalb schnell zum Spezialisten! Liegt der Hoden über längere Zeit in der warmen Leiste, tut das den Keimzellen gar nicht gut. Deshalb schnell zum Spezialisten! © Wikimedia/ Internet Archive Book Images

Die Therapie des angeborenen Hodenhochstands sollte möglichst bis zum 12. und spätestens bis zum 18. Lebensmonat abgeschlossen sein. Nach dem ersten Lebensjahr muss mit einer Schädigung der Keimzellen gerechnet werden.

Bis zu 4 % aller termingerecht geborenen Jungen weisen Deszensusstörungen der Hoden auf, bei Frühgeborenen liegt die Rate mit bis zu 45 % zehnmal so hoch. Dabei kann der Hodenhochstand als isolierte Fehlbildung oder im Rahmen komplexer Fehlbildungssyndrome auftreten. Während in der Mehrzahl der Fälle nur ein Hoden – und zwar meistens der rechte – betroffen ist, wird in rund 30 % der Fälle ein bilateraler Hodenhochstand diagnostiziert.

Spontanabstieg nach 6 Monaten unwahrscheinlich

In 60 bis 70 % der Fälle finden die Hoden im Verlauf der ersten sechs Lebensmonate von allein in ihre richtige Position. Danach jedoch ist ein spontaner Deszensus äußerst unwahrscheinlich, schreiben Dr. Patrick Rein, Urologe im österreichischen Dornbirn, und sein Kollege.

Schneidersitz und warme Hände

Folgende Deszensusstörungen werden unterschieden:

  • Der Leistenhoden liegt im Leis-tenkanal und ist nicht mobilisierbar.
  • Der ebenfalls in der Leistenregion lokalisierte Gleithoden lässt sich ins Skrotum mobilisieren, schnellt aber anschließend sofort nach inguinal zurück.
  • Bei der Ektopie liegt der Hoden außerhalb der physiologischen Deszensusbahn, und zwar meist epifaszial im Pouch von Denis-Brown. 
  • Der Pendelhoden ist primär richtig lokalisiert, durch einen starken Kremasterreflex verlässt er aber seine Position, um anschließend wieder spontan zu deszendieren.
  • Beim Kryptorchismus ist der Hoden nicht tastbar, wobei ein Hodenhochstand oder aber eine Hodenatrophie vorliegen kann.
  • Bei Anorchie, die bei rund 3 % aller kryptorchen Jungen gefunden wird, ist bei sonst normalem männlichem Phänotyp kein Hodengewebe nachweisbar. Als Ursache wird eine intrauterine Hodentor­sion vermutet.

Die Diagnose des Hodenhochstands stützt sich auf die Palpation. Oft sind viel Geduld und Ablenkung erforderlich, um zu einer sicheren Diagnose zu gelangen. Manche Kinder lassen sich besser im Schneidersitz untersuchen, und es empfiehlt sich, dass sowohl die Hände des Arztes als auch die Umgebung angenehm temperiert sind.

Sekundärer Aufstieg

Abgesehen vom angeborenen Hodenhochstand gibt es das Phänomen, dass ein zunächst im Skrotum liegender Hoden später reaszendiert. Dieses „Ascending Testis Syndrom“ tritt bei 1–2 % aller Jungen auf. Beim – per se nicht behandlungsbedürftigen – Pendelhoden ist die Inzidenz deutlich erhöht. Deshalb sollten betroffene Kinder einmal im Jahr kontrolliert werden. Der Altersgipfel für eine sekundäre Aszension liegt zwischen dem fünften und achten Lebensjahr, wobei laut zunehmenden Hinweisen offenbar eine weitere „sensible Phase“ um das zweite Lebensjahr besteht. Der sekundäre Hodenhochstand scheint ebenso wie der primäre mit dem Risiko einer Keimzellschädigung verbunden zu sein, weshalb auch in diesen Fällen eine zügige operative Korrektur indiziert ist.

Im Hinblick auf das Risiko einer Infertilität ist es wichtig, dass Diagnose und Therapie sehr zügig erfolgen. Die früher vertretene Meinung, bei angeborenem Hodenhochstand sei eine operative Korrektur irgendwann vor der Pubertät „okay“, ist überholt. Man weiß inzwischen, dass die Schwelle für – möglicherweise temperaturbedingte – Keimzellschäden bei etwa einem Jahr anzusetzen ist. Deshalb sollte die Behandlung möglichst im ersten Lebensjahr abgeschlossen sein. Länger als sechs Monate sollte man mit Blick auf einen möglichen spontanen Deszensus auf keinen Fall warten, bevor an einen Spezialisten überwiesen wird. Primäres Therapieziel ist die Verlegung des Hodens in seine richtige Position. Langfristig geht es jedoch um mehr, nämlich die Fertilität zu erhalten und das Risiko eines späteren Keimzelltumors zu minimieren. Bei behandeltem unilateralem Hodenhochstand sind Paternitätsraten von 80–90 % realistisch, für Männer mit bilateralem Befund wird die Chance auf eine erfolgreiche Vaterschaft in der Literatur auf 48–65 % beziffert. Allerdings wurden dabei auch Fälle mit aus heutiger Sicht zu später Intervention berücksichtigt, sodass die Zahlen wahrscheinlich nach oben korrigiert werden können.

Zusätzliche Hormontherapie bei bilateraler Retention

Beim tastbaren Hoden ist die Orchidopexie nach Shoemaker mit einer kleinen Leisteninzision in der Bauchfalte und einer kleinen Inzision am Skrotum der Goldstandard. Eine alleinige Hormontherapie ist nicht zielführend. Allerdings ist die neoadjuvante GNRH-Therapie (Gonadotropin Releasing Hormon) eine Option zur Optimierung des Fertilitätspotenzials. Dies gilt vor allem bei bilateralem oder hohem unilateralem Hodenhochstand. Allerdings sollte die Hormontherapie auf keinen Fall den Zeitpunkt des operativen Eingriffs verzögern. Die Gabe von HCG (humanes Choriongonadotropin) ist dagegen obsolet, weil sie eine verstärkte Apoptosis der Keimzellen provozieren kann.

Pubertierende motivieren, sich selbst zu untersuchen

Das Risiko eines Keimzelltumors ist nachweislich umso geringer, je früher der Hodenhochstand korrigiert wird. Bei spätem Operationstermin ist von einem über fünffach erhöhten Risiko auszugehen. Damit Keimzelltumoren frühzeitig erkannt werden, sollten Jungen mit ehemaligem Hodenhochstand angeleitet und motiviert werden, sich ab der Pubertät regelmäßig selbst zu untersuchen.

Rein P, Haid B. Urologie 2017; 1-2: 14-16

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