Hypoaktives Delir: Akuter Handlungsbedarf bei Schläfrigkeit und Apathie wird oft verkannt

Dr. Angela Speth

Die Betroffenen leiden unter starken Emotionen wie Furcht, haben Albträume und sind verwirrt. Die Betroffenen leiden unter starken Emotionen wie Furcht, haben Albträume und sind verwirrt. © fotolia/StockPhotoPro

Irresein – recht plakativ beschreibt das lateinische Wort Delirium den Zustand der Patienten. Dabei sind Betroffene im hypoaktiven Delir auf den ersten Blick gar nicht so „irre“, was die Diagnose erschwert. Insgesamt kommt die Variante häufiger vor als ihr hyperaktives Pendant. Und hat eine schlechtere Prognose.

Charakteristisch für alle Subtypen des Delirs ist die Störung von Aufmerksamkeit und Bewusstsein, ebenso von Fähigkeiten wie Wahrnehmung, Orientierung und Sprache. Die Dysfunktion beginnt akut binnen Stunden bis Tagen und schwankt über den Tag in ihrer Stärke, schreiben Dr. Chris­tian Hosker vom Becklin Center in Leeds und Dr. David Ward vom Hinchingbrooke Hospital in Huntingdon. Zudem lässt sich der Zustand nicht auf andere neurologische Störungen zurückführen und manifestiert sich entweder als Reaktion auf eine Grunderkrankung, Toxinexposition, Substanzüberdosierung bzw. nach Absetzen oder aufgrund multipler Ursachen.

Rund die Hälfte der Patienten im Delir zeigt die hypoaktive Form. Sie wirken schläfrig, apathisch, sprechen weniger und langsamer. Bei weiteren 30 % tritt eine mit Agitiertheit wechselnde Mischform auf. Die Betroffenen leiden unter starken Emotionen wie Furcht, haben Albträume und sind verwirrt – das Erlebte lässt sich für sie nicht rational erklären und mit der Wirklichkeit in Einklang bringen.

Delir in der Notaufnahme in 75 % der Fälle übersehen

Das hypoaktive Delir geht mit höherer Mortalität und längerer Pflegebedürftigkeit einher als die gemischte oder die hyperaktive Variante. Einen Grund dafür sehen die Autoren in der verspäteten Diagnose. U.a. hat die Apathie zur Folge, dass weder der Betroffene Hilfe holt noch die Angehörigen den akuten Handlungsbedarf bemerken. Auch aus ärztlicher Sicht hapert es: Einer Studie mit 805 konsekutiven Patienten in Notaufnahmen zufolge wird ein Delir in drei Viertel der Fälle schlicht übersehen.

Einige äußere Umstände leisten der Entwicklung des Syndroms Vorschub, darunter Schlafentzug, soziale Isolation, Blasenkatheter, Malnutrition, ≥ 3 Komorbiditäten, Polypharmazie, schwere Grunderkrankung (z.B. Schlaganfall) und niedriges Serumalbumin.

Mit dem hypoaktiven Delir besonders assoziiert sind:

  • Stoffwechselstörungen
  • Organversagen
  • vorbestehende kognitive Defizite
  • hohes Lebensalter
  • Dehydration

Bei jüngeren Patienten liegt mit höherer Wahrscheinlichkeit eine gravierende Ursache zugrunde, etwa Meningitis, Schädel-Hirn-Trauma oder Sepsis. Bei älteren, gebrechlichen Menschen genügt mitunter schon ein geringfügiger Anlass wie Harnwegsinfekt oder Verstopfung.

Basisuntersuchung hängt individuell vom Patienten ab

Zur ersten Abklärung schlagen die Autoren den einfachen, speziell fürs Delirium validierten 4A-Test vor (s. Kasten). Eine zusätzliche Option sind kognitive Tests. Die Anamnese hilft, den Auslöser zu finden und das hypoaktive Delir gegen Demenz oder Depression abzugrenzen, die sich ebenfalls mit einer Lethargie manifestieren können. Die Basisuntersuchungen hängen individuell vom Patienten ab. Infrage kommen u.a. großes Blutbild, Urinanalyse, Bestimmung von Harnstoff, Elektrolyten, Blutglukose, CRP, Knochenprofil, Leber- und Schilddrüsenwerten sowie ein EKG.

Dieser Test ist 4A

Der 4A-Test dauert keine fünf Minuten und erfasst Patienten mit hypoaktivem Delir mit einer Sensitivität von knapp 99 % und einer Spezifität von ca. 84 %. Vier Items werden überprüft: Wachheit, Aufmerksamkeit, Kognition (mit vier Untergruppen) und akute Veränderungen/Fluktuationen. Den Bogen zum Runterladen und Ausfüllen gibt es online unter www.the4at.com.

Erklären Sie die Diagnose, um Ängste abzubauen

Medikamente wie Antipsychotika sollten zur Vorsorge oder Therapie eines hypoaktiven Delirs nicht routinemäßig eingesetzt werden. Einigkeit herrscht laut verschiedenen Leitlinien für folgende Behandlungsempfehlungen: Den Patienten ihre Beschwerden und die Diagnose erklären, um die Ängste abzubauen, reversible Ursachen angehen sowie Folgeschäden wie Dehydratation oder Wundliegen durch entsprechende Pflege verhindern. Ebenfalls sollte man Betroffenen die Reorientierung erleichtern, indem man ihnen regelmäßig Infos zu ihrer Person, Uhrzeit, Datum und Ort gibt. Nach Besserung brauchen sie jemanden, mit dem sie das Erlebte durchsprechen können, um es zu verarbeiten. Auch zur Prävention lässt sich einiges tun. Bei bis zu einem Drittel der Hochrisikopatienten sind Interventionen mit mehreren Komponenten erfolgreich. Günstig wirken Maßnahmen, die Kognition und Orientierung stimulieren, z.B. eine Tafel mit den Namen der Pfleger, einfache Gespräche zur Reorientierung oder die Versorgung mit Hörhilfen, Brillen und Großdruckbüchern. Zudem muss auf einen guten Schlaf-Wach-Rhythmus und eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet werden.

Quelle: Hosker C, Ward D. BMJ 2017; j 2047

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Die Betroffenen leiden unter starken Emotionen wie Furcht, haben Albträume und sind verwirrt. Die Betroffenen leiden unter starken Emotionen wie Furcht, haben Albträume und sind verwirrt. © fotolia/StockPhotoPro