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IgG, Kortikosteroide, Rituximab

Guillain-Barré-Syndrom (GBS)
Das Guillain-Barré-Syndrom gehört zu den Notfällen in der Neurologie. Es kommt in der Regel zu einer akut einsetzenden, progredient verlaufenden Tetraparese, die mit passageren sensiblen Reizerscheinungen einhergeht. Viele Patienten klagen initial über Rückenschmerzen und suchen deshalb primär einen Orthopäden auf, berichtete Prof. Sommer. Spätestens nach vier Wochen ist per definitionem das Symptommaximum erreicht. Klinisch fallen eine Hypo- bis Areflexie auf. Auch die Hirnnerven, vor allem der N. facialis, können betroffen sein. Als Auslöser kommen Infektionen, Operationen und Traumata in Betracht, in seltenen Fällen auch Impfungen.
Was die Diagnostik des Krankheitsbildes angeht, finden sich in der 2023 aktualisierten Leitlinie von EAN* und PNS** nur Aussagen auf dem Evidenzniveau von good practice. Nach Einschätzung von Prof. Sommer sind die folgenden sieben die wichtigsten:
- Die Wahrscheinlichkeit, dass bei entsprechenden neurologischen Symptomen ein GBS vorliegt, steigt, wenn der Patient vor Kurzem eine Enteritis oder eine Atemwegsinfektion durchgemacht hat.
- Liquoruntersuchungen sind hilfreich, vor allem wenn die GBS-Diagnose nicht sicher ist.
- Um die Diagnose zu stützen, bieten sich elektrophysiologische Tests an.
- Bei den meisten Patienten mit typischem motorisch-sensorischem GBS hat der Nachweis von anti-Gangliosid-Antikörpern nur einen begrenzten klinischen Wert. Dagegen sollte man die Bestimmung von anti-GQ1b-Ak in Erwägung ziehen, wenn der Verdacht auf ein Miller-Fisher-Syndrom besteht, bei dem auch Ataxie und Hirnnervenstörungen vorliegen.
- Wird eine autoimmune Nodopathie (s.u.) vermutet, erfolgt der Nachweis von nodal-paranodalen Antikörpern.
- MRT oder Sonografie sind in atypischen Fällen indiziert.
Die Leitlinienautoren raten dazu, gehunfähige Patienten innerhalb von zwei Wochen nach Einsetzen der Paresen mit intravenösen Immunglobulinen (IVIg; 0,4 g/kg/d über fünf Tage) zu behandeln. Dafür bestehe eine gute Evidenz. Weniger gesichert ist die Good-Practice-Empfehlung für ein auf 2–4 Wochen verlängertes Intervall zwischen Symptom- und Therapiebeginn. „Meine Erfahrung ist, dass auch ein verschleppter GBS-Patient, der erst nach sechs Wochen kommt, noch profitieren kann“, so Prof. Sommer.
Auch Plasmapheresen sind innerhalb der ersten vier Krankheitswochen möglich, wofür es wiederum Evidenz gibt. Keinen Nutzen haben dagegen ein zweiter IVIg-Zyklus, die Kombination von Plasmapherese und nachfolgender IVIg-Gabe sowie die Therapie mit Kortikosteroiden.
Im vergangenen Jahr erschien eine Studie, die sich mit dem Stellenwert von GM1-IgG- und -IgM-Antikörpern beschäftigte, berichte Prof. Sommer. Solche Antikörper wurden bei 21 % der 377 aufgenommenen GBS-Patienten nachgewiesen. Sie persistierten bei 63 % nach drei und bei 46 % auch noch nach sechs Monaten. Patienten mit hohen Antikörpertitern bei der stationären Aufnahme erholten sich langsamer und weniger vollständig. Zudem gingen hohe initiale IgG-Titer und ein langsamer Titerabfall mit einem schlechten klinischen Outcome einher. In der Therapie helfen diese Beobachtungen noch nicht weiter, räumte die Kollegin ein. Der Autoantikörpernachweis signalisiere jedoch, dass man auf die Betroffenen besonders gut aufpassen müsse, weil sie eine längere Erholungsphase benötigen.
Wichtige Laboruntersuchungen | |
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Verdacht auf: | Untersuchungen: |
Guillan-Barré-Syndrom | • Antikörper gegen Campylobacter jejuni, Zytomegalievirus, |
CIDP | • Liquortests |
Quelle: Handbuch Update Neurologie 2024
Chronisch inflammatorisch demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP)
Für eine CIDP ist eine symmetrische proximale plus distale Muskelschwäche aller Extremitäten typisch, die sich progredient oder rezidivierend entwickelt. Zudem kommt es an mindestens zwei Gliedmaßen zu einer sensiblen Beteiligung. Das Krankheitsbild entwickelt sich über mindestens acht Wochen. Die Muskeleigenreflexe sind abgeschwächt oder fehlen ganz.
Die Therapie erfolgt über die ersten 2–5 Tage mit IVIg (Gesamtdosis 2 g/kg). Anschließend werden alle drei Wochen insgesamt 1 g/kg verteilt auf 1–3 Tage gegeben. Kortikosteroide haben in der Behandlung der CIDP ebenfalls einen Platz. Sind Kontraindikationen ausgeschlossen, kann man dem Patienten über 3–5 Tage eine Pulstherapie mit 500–100 mg/d Methylprednisolon geben. Danach wird auf ein orales Steroid (1 mg/kg/d Prednisolonäquivalent) umgestellt und sukzessiv auf eine Erhaltungsdosis reduziert. Alternativ kann man alle vier Wochen über drei Tage Methylprednisolon (500-1000 mg) geben. Bei akuter Verschlechterung oder bei Versagen der Therapie ist eine Plasmapherese indiziert.
Die aus den Zulassungsstudien übernommene IVIg-Erhaltungsdosis war in einer neueren Studie nicht signifikant schlechter als eine IVIg-Dosis von 2 g/kg, berichtete Prof. Sommer. Die Ansprechraten, definiert als Verbesserung im INCAT-Score*** um mindestens einen Punkt, lagen bei 80 % (1 g/kg) versus 92 % (2 g/kg). An der Standarddosis müsse man also nichts ändern. In Einzelfällen können aber sowohl höhere als auch niedrigere Erhaltungsdosen sinnvoll sein.
Gemäß den Ergebnissen einer Phase-3-Studie lässt sich die Erhaltungstherapie mit IVIg womöglich auch mit hyaluronidaseunterstütztem subkutanem Immunglobulin G (fSCIg) weiterführen. Von 62 Patienten, die von IVIg auf fSCIg 10 % in gleicher Dosis und im gleichen Intervall umgestellt wurden, erlitten innerhalb von sechs Monaten nur sechs ein Rezidiv, d.h. einen Anstieg im INCAT-Score um mindestens einen Punkt. Unter Placebo waren es dagegen 22 von 70 Patienten.
Kann man die IVIg-Erhaltungstherapie ausschleichen? Auch dazu stellte Prof. Sommer eine Studie vor. In die randomisierte und doppelblind durchgeführte Untersuchung waren 60 erwachsene Patienten mit klinisch stabiler CIDP seit mindestens sechs Monaten eingeschlossen. In der einen Gruppe wurde IVIg sukzessiv entzogen und durch Placebo ersetzt, in der anderen führte man die Therapie unverändert weiter. Nach 24 Wochen fand sich kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen im Hinblick auf die von den Patienten berichteten Symptome. Nach einem Jahr war noch mehr als jeder Vierte ohne IVIg stabil. Abbrecher, die einen Rückfall erlitten konnten schnell wieder stabilisiert werden. Bei klinisch stabilen CIPD-Patienten kann man demnach einen IVIg-Entzug in Betracht ziehen – „also nicht jeden Patienten unkritisch auf Ewigkeit behandeln“, so Prof. Sommer.
Autoimmune Nodopathien
Nodopathien, also Polyneuropathien mit Autoantikörpern gegen Proteine im Bereich des Ranvier’schen Schnürrings, gelten heute als eigenständige Erkrankungen und nicht mehr als Varianten der CIPD. Zwar erinnern die Symptome initial an eine CIPD, doch weisen die Betroffenen häufig spezifische klinische Merkmale auf. Die Krankheit beginnt meist subakut, es kommt zu Paresen, Ataxie und Tremor. Zudem sprechen Nodopathien schlecht auf IVIg und Kortikosteroide an.
Nachweisen lassen sich Antikörper gegen nodal-paranodale Zelladhäsionsmoleküle. Bekannt sind u.a. Contactin-1 (CNTN1), Contactin-assoziiertes Protein 1 (Caspr1), Neurofascin-155 (NF155) sowie Isoformen von NF. Eine Nodopathie mit Antikörpern gegen alle Neurofascin-Isoformen zeigt einen schweren, über längere Zeit intensivpflichtigen Verlauf. Unter einer Therapie mit Rituximab, die zur B-Zell-Depletion führt, können sie sich jedoch nach Monaten noch bessern. Eine Nodopathie mit Caspr1 entspricht einer akuten oder subakuten sensomotorischen Neuropathie mit Ataxie und stark ausgeprägten Schmerzen. Lassen sich NF155 oder CNTN nachweisen, ist der Krankheitsverlauf eher subaktut oder chronisch. Die zumeist jüngeren Patienten fallen durch eine distale Schwäche, Ataxie und Tremor auf.
Die Differenzierung zwischen einer CIPD und autoimmunen Nodopathien ist von großer Bedeutung, da sich die Therapie unterscheidet, betonte Prof. Sommer. In einer Studie mit insgesamt 401 Patienten konnten IVIg zwar bei 80 % der CIDP-Patienten das Krankheitsbild bessern, bei jenen mit autoimmunen Nodopathien (n = 21) war dies nur zu 39 % der Fall. Sie benötigten entsprechend häufiger eine alternative bzw. zusätzliche Behandlung, in der Regel Rituximab. Parallel zur klinischen Besserung sanken darunter auch die Antikörpertiter.
* European Academy of Neurology
** Peripheral Nerve Society
*** Inflammatory Neuropathy Cause and Treatment Disability Score
Quelle: 16. Neurologie-Update-Seminar
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