Polyneuropathien bei Zuckerkranken müssen nicht diabetesbedingt sein

Kathrin Strobel

Bei Diabetikern spielt häufiger mal das Nervensystem verrückt. Bei Diabetikern spielt häufiger mal das Nervensystem verrückt. © iStock/muzon

Diabetes ist die häufigste, aber bei Weitem nicht die einzige Ursache einer erworbenen Polyneuropathie! Je nach Manifestation sollten auch bei einem Stoffwechselkranken andere Auslöser abgeklärt werden. In diesen Fällen sind die resultierenden Nervenschäden meist behandelbar.

Polyneuropathien (PNP) beschreiben eine heterogene Gruppe von Erkrankungen, die die peripheren Nerven betreffen. Sie äußern sich z.B. durch Kribbeln, Taubheitsgefühl, Schmerzen und motorische Ausfälle – einzeln oder in Kombination. Das anatomische Verteilungsmuster (distal, proximal etc.), die Art der Schädigung (axonal vs. demyelinisierend) inklusive elektrophysiologischer Untersuchung (Neurographien, Elektromyo­gramm) und der Zeitverlauf (akut vs. chronisch) geben wichtige Hinweise für die Diagnosestellung.

Außerdem sollten Sie in Erfahrung bringen, ob die Erkrankung monophasisch, progredient oder rezidivierend verläuft. Um den Auslöser zu eruieren, ist die ausführliche Anamnese (s. Kasten unten) entscheidend. Zusätzlich kommen laborchemische und liquoranalytische Tests zum Einsatz. In Einzelfällen sind auch Tumorsuche und/oder eine Hautbiopsie sinnvoll.

Ätiologie mittels Anamnese eingrenzen

Polyneuropathien können erblich, metabolisch, toxisch, entzündlich, rheumatologisch, hämatologisch oder immunvermittelt/inflammatorisch bedingt sein. Um die Ätiologie eingrenzen zu können, fragen Sie nach:
  • Komorbiditäten
  • Medikation
  • Exposition gegenüber Neurotoxinen
  • familiären Häufungen

Sensible Symptome vs. motorische Ausfälle

Die häufigste Ursache erworbener PNP ist der Diabetes. Die Angaben zur Prävalenz unterscheiden sich in der Literatur stark, schreiben Stefanie­ Glaubitz­ und Kollegen von der Klinik für Neurologie in der Universitätsmedizin Göttingen. Beim Typ 1 wird sie mit 8–54 % angegeben, unter Typ-2-Diabetikern beträgt die Prävalenz 13–46 %. Typischerweise handelt es sich um eine distal symmetrische, sensomotorische Polyneuropathie (DSPN). Diese schreitet nur langsam voran. Sensible Symptome stehen im Vordergrund und die Neurographie zeigt eine herabgesetzte Nervenleitgeschwindigkeit (Demyelinisierung). Neben der DSPN gibt es noch andere diabetesbedingte Neuropathien, die i.d.R. ein asymmetrisches Verteilungsmuster sowie meist axonale Schädigungen aufweisen:
  • proximale diabetische Radikulopathie vom Multiplex-Typ
  • diabetische Radikulopathie
  • kraniale Mononeuropathien (z.B. Okulomotoriusparese)
  • autonome PNP
Behandelt werden diabetische PNP mittels einer strengen Einstellung und Kontrolle des Diabetes. Die zweite wichtige Therapiesäule ist die Fußpflege. Auch ein reduzierter Alkoholkonsum erzielt positive Effekte. Symptomatisch empfiehlt sich eine analgetische Behandlung, z.B. mit Antikonvulsiva wie Gabapentin und Pregabalin oder Antidepressiva wie Duloxetin und Amitriptylin.
Kardinalsymptome von diabetischer PNP und Polyradikuloneuritis (CIDP)
Diabetische Polyneuropathie

CIDP
Zeitverlauf
chronisch, schleichendsubakut, innerhalb acht Wochen, rasche Entwicklung und Progredienz

Verteilungsmuster
meist distal, symmetrisch, sensible Schädigung überwiegt (insbesondere DSPN)meist proximale und distale, symmetrische, sensomotorische Schädigung
Hirnnervenbeteiligung
bei asymmetrischen Formen meist Okulomotoriusparese selten kraniale Beteiligung
Autonome Symptome
häufig (Gastroparese, Ruhetachykardien)selten
Labordiagnostik
Nüchternglukose erhöht, HbA1c erhöhtunauffällig, ggf. nodale und paranodale Antikörper
Elektrophysiologische Untersuchungen
Diagnosekriterien nach EFNS* in der Regel nicht erfüllt, insbesondere auch axonale Schädigung (bei asymmetrischen Formen)Diagnosekriterien nach EFNS* erfüllt
Lumbalpunktion
keine AuffälligkeitenEiweißerhöhung, milde Pleozytose
Ansprechen auf Optimierung der Stoffwechsellage
Besserungweitere Zunahme der Symptomatik
Therapieansprechen auf Immunmodulatorenkeine Besserunggutes Ansprechen auf die Therapie
* Europäische Föderation Neurologischer Gesellschaften
Äußert sich die Polyneuropathie überwiegend durch motorische Ausfälle und schreitet schnell voran, sollte allerdings nach einem diabetesunabhängigen Auslöser gesucht werden. Insbesondere die chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuritis (CIDP), eine immunvermittelte Neuropathie, ist auch bei Zuckerkranken nicht selten. Sie kann in allen Altersgruppen auftreten – bei Männern häufiger als bei Frauen – und ist die weltweit am meisten verbreitete behandelbare chronische Neuropathie. Typischerweise kommt es innerhalb von acht Wochen zu einer progressiven, proximalen, symmetrischen, sensomotorischen Nervenschädigung. Seltener treten rein motorische oder rein sensible Verlaufsformen und/oder asymmetrische Verteilungstypen auf. Diagnostizieren lässt sich die CIDP mithilfe von neurophysiologischen und ggf. additiven Untersuchungen auf Basis der von der Europäischen Föderation Neurologischer Gesellschaften festgelegten Diagnosekriterien. Verhärtet sich der Verdacht auf eine CIDP, empfehlen die Autoren, baldmöglichst mit der immunsuppressiven bzw. -modulatorischen Therapie zu starten. Glukokortikoide sind bei Diabetikern aufgrund der negativen Auswirkungen auf die Stoffwechsellage weniger geeignet. Die verträglichere Alternative ist die Behandlung mit intravenösen Immunglobulinen. Zwar gilt es bei ihnen, das erhöhte Risiko für thromboembolische Ereignisse zu berücksichtigen, das Therapieansprechen ist aber meist gut und unterscheidet sich nicht von Nicht-Diabetikern.

Plasmapherese als letzte Option

Bei unzureichendem Behandlungserfolg kann zusätzlich immunsuppressiv therapiert werden (z.B. mit Azathioprin, Mycophenolat oder Cyclosporin). Führt auch dies nicht zum gewünschten Ansprechen, kommt die Plasmapherese als Option in Betracht. Aufgrund der vielversprechenden Therapiemöglichkeiten, so das Fazit der Göttinger, ist es umso wichtiger, jene Patienten zu identifizieren, bei denen eine solche behandelbare Neuropathie vorliegt.

Quelle: Glaubitz S et al. internistische praxis 2019; 61: 101-111

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