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Neuer Therapieleitfaden für immunvermittelte Neuropathien

Immunvermittelte Neuropathien gehören zu den wichtigsten Differenzialdiagnosen von Polyneuropathien. Für Betroffene gehen sie mit teils schweren neurologischen Beeinträchtigungen einher. Wie man die einzelnen Störungsbilder am besten angeht, fassen Experten der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) unter Federführung von Professor Dr. Claudia Sommer, Universität Würzburg, in der aktualisierten S2e-Leitlinie zusammen.
Guillain-Barré-Syndrom (GBS)
Patienten mit Guillain-Barré-Syndrom laufen Gefahr, eine respiratorische Insuffizienz oder kardiale Arrhythmien zu entwickeln. Sie sollten daher möglichst in einer Klinik mit Intensivstation behandelt werden, fordern die Leitlinienautoren. Um die potenziell lebensbedrohliche Atemschwäche rechtzeitig zu erkennen, sind Kontrollen der Vitalkapazität und der Muskelkraft alle vier bis acht Stunden erforderlich. Vor allem Patienten mit Paresen auch der oberen Extremtäten oder sich rasch verschlechtender Symptomatik müssen häufig beatmet werden.
IVIG und Plasmapherese als gleichwertige Optionen
Als medikamentöse Strategien bei mäßig schweren bis schweren Verläufen – < 5 m unabhängig gehen, rasche Progression, deutliche respiratorische bzw. bulbäre Symptomatik – stehen intravenöse Immunglobuline (IVIG) und Plasmapherese zur Verfügung. Sie werden von den Leitlinienexperten als gleichwertig angesehen. Für welche Option man sich entscheidet, hängt von Verfügbarkeit, Gesamtsituation des Patienten und zu erwartenden Nebenwirkungen ab.
GBS-Kranke mit nur geringen Symptomen bedürfen nicht zwingend einer Behandlung mittels IVIG oder Plasmapherese.
Glukokortikoide sind beim GBS unwirksam und stehen sogar unter Verdacht, die Erholung zu behindern. Dagegen benötigen Betroffene meist eine adäquate Schmerztherapie, bei eingeschränkter Mobilität eine Thromboseprophylaxe und ggf. eine Ernährung via nasogastraler Sonde oder PEG.
Chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyradikulo-neuropathie (CIDP)
Immunglobuline, Glukokortikosteroide, Plasmapherese: In welcher Reihenfolge bzw. Kombination diese drei immuntherapeutischen Optionen am effektivsten wirken, ist bislang unklar. Die Daten hierzu sind uneinheitlich. Orientierung bieten neben der Gesamtsituation des Patienten die zu erwartenden Nebenwirkungen, die Kosten und die Verfügbarkeit der Therapien.
- Entscheidet man sich für IVIG, wird über zwei bis vier Tage eine loading dose von 2 g/kg KG verabreicht. Anschließend gibt man alle drei Wochen Erhaltungsdosen von 1 g/kg KG über ein bis zwei Tage. Kommt es zur Remission, kann man versuchen, die Dosis zu reduzieren
- Glukokortikosteroide werden entweder täglich oral (1 mg/kg KG Prednisolon-Äquivalent) oder als Puls gegeben. Dieser erfolgt mit 500–1000 mg /d Methylprednisolon an drei bis fünf Tagen. Anschließend wird sukzessive reduziert, um nach spätestens vier Monaten unterhalb der Cushingschwelle zu landen. Alternativ kann die Pulstherapie an ein bis drei Tagen alle vier Wochen erfolgen.
- Die Plasmapherese bietet sich an, wenn CIDP-Patienten ungenügend auf die Standardmedikamente ansprechen oder sich die Symptomatik akut verschlechtert hat.
Lücken weist die Datenlage zu anderen Immunsuppressiva wie Cyclophosphamid, Ciclosporin A und Rituximab auf. Laut Expertenkonsens kann aber ein Versuch bei therapierefraktärer CIDP indiziert sein, vorausgesetzt Kontraindikationen, Begleitmedikation und Nebenwirkungen würden beachtet.
Paraproteinämische Neuropathien
Anders als es der Begriff suggeriert, sind Paraproteinämie und Neuropathie nicht automatisch kausal verknüpft, schreiben die Leitlinienautoren. Man kennt verschiedene Konstellationen, nach denen sich jeweils die Therapie richtet.
Behandlung orientiert sich häufig an CIDP-Therapie
Da ist zum Beispiel die Kombination aus chronischer axonaler Polyneuropathie unklarer Genese und Zufallsbefund einer monoklonalen Gammopathie unklarer Signifikanz (IgG oder IgA). Die zumeist benigne verlaufende Polyneuropathie lässt sich nur symptomatisch behandeln. Die Therapie schwer betroffener Patienten kann sich an der CIDP-Behandlung orientieren.
Da demyelinisierende Neuropathien mit IgG- oder IgA-Paraprotein der CIDP ähneln, werden sie ebenfalls wie dieses Krankheitsbild behandelt.
Und auch die Therapie der demyelinisierenden Neuropathien mit IgM-Paraprotein erfolgt analog zu der bei CIDP. Die Patienten sprechen allerdings oft schlechter darauf an.
Bei einer rasch progredienten axonalen Polyneuropathie mit IgG-Paraprotein ist an ein Myelom und/oder eine Amyloidose zu denken, was eine hämatologische Therapie erfordert.
Ein Fall für den Hämatoonkologen ist auch das POEMS-Syndrom, das durch Polyneuropathie, Organomegalie, Endokrinopathie, M-protein und Hautveränderungen gekennzeichnte ist.
Multifokale motorische Neuropathie (MMN)
Bei Patienten mit mäßigen bis schweren Defiziten raten die Experten zur Therapie mit intravenösen Immunglobulinen (2 g/kg KG über zwei bis fünf Tage). Spricht der Patient darauf an, wird die Behandlung mit einer Dosis von 1 g/kg KG alle zwei bis vier Wochen oder mit 2 g/kg KG alle vier bis acht Wochen wiederholt.
Respondieren Patienten auf einen ersten Zyklus nicht, kann man erwägen einen zweiten zu starten, um erst anschließend über das Ansprechen zu entscheiden.
Vorsicht beim Einsatz von Cyclophosphamid
Bei Therapieversagern wird gepulstes Cyclophosphamid diskutiert. Aber Vorsicht: Zum einen gibt es bis dato nur einige wenige Fallserien, zum anderen wurden massive Nebenwirkungen beobachtet bei lediglich geringer Symptomverbesserung. Kortikosteroide zeigen keinen Nutzen.
Vaskulitische Neuropathien
Die Datenlage zur Behandlung vaskulitischer Neuropathien fällt relativ dünn aus. Auf Basis der wenigen vorhandenen Studie raten die Leitlinienautoren dazu, die nicht systemische vaskulitische Neuropathie (NSVN) mit Glukokortikosteroiden zu behandeln.
Bei rascher Progredienz sollte man ein Immunsuppressivum hinzuzugeben. Auch bei zusätzlichen Organmanifestationen ist die Kombinationstherapie indiziert.
Die Plasmapherese gilt trotz uneinheitlicher Datenlage als mögliche Alternative bei Therapieversagen. Intravenöse Immunglobuline zeigten sich in unkontrollierten Studien bei therapierefrakärer Vaskulitis sowie bei Schwangeren wirksam.
Symptomatische und supportive Therapie
Krankengymnastik und Physiotherapie, Hilfsmittel wie Peronäusschienen, Spezialschuhe und Gehstützen sowie eine adäquate Schmerztherapie sind die Eckpfeiler der symptomatischen Behandlung von Neuritiden.
Quelle: AWMF-S2e-Leitlinie „Therapie akuter und chronischer immunvermittelter Neuropathien und Neuritiden“ AWMF-Registriernummer 030/130, www.awmf.org
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