Im falschen Körper geboren: Geschlechtsangleichung klappt nur im Team

Dr. Elke Ruchalla

Nicht für jeden fühlt sich der eigene Körper richtig an. Nicht für jeden fühlt sich der eigene Körper richtig an. © iStock/ADragan

Viele Hausärzte fühlen sich im Umgang mit transgeschlechtlichen Personen verunsichert. Kein Wunder, denn in der medizinischen Ausbildung kommt die Transgender-Medizin kaum vor. Allein müssen sie sich des Themas aber nicht annehmen. Sollen sie auch nicht.

Schätzungen zufolge fühlen sich etwa 0,5–0,6 % der Menchen „im falschen Körper gefangen“. Hierzulande wären dies rund 498 000 Personen. Eine konkretere Prävalenz lässt sich allerdings kaum angeben, vor allem aufgrund uneinheitlicher Definitionen und Untersuchugsmethoden der „Transsexualität“. Und auch wenn es angesichts dieser Zahl gar nicht so unwahrscheinlich ist, im Laufe eines Praxislebens einem Transgender gegenüber zu sitzen, müssen und sollten Hausärzte sich den Anliegen der Patienten nicht allein stellen.

Manche leiden so sehr, dass sie sich illegal Hormone besorgen

So erfolgt z.B. die Diagnose durch einen mit der Thematik erfahrenen Psychiater oder Psychologen. Allen voran deshalb, weil dieser sich in der Regel besser mit wichtigen Differenzialdiagnosen wie einer Borderline-Persönlichkeitsstörung­, Transvestitismus oder psychotischen Erkrankungen auskennt. Besteht der Wunsch nach einer Gechlechtsangleichung, kommen neben Allgemeinmedizinern und Psychiatern (für die therapeutische Begleitung) Ärzte aus weiteren Disziplinen ins Team, schreibt das Autorentrio um Dr. Anastasia Athanasoulia-Kaspar­ von der Münchner Medi­cover Neuroendokrinologie Prof. Stella. Dazu gehören

  • Endokrinologen (für die hormonelle Behandlung),
  • Chirurgen (für die operative Geschlechtsangleichung),
  • Hals-Nasen-Ohren-Ärzte und Logopäden (evtl. Eingriffe am Kehlkopf, Stimmveränderung) sowie
  • Dermatologen (bei der unter Hormongabe auftretenden Akne, ggf. Vorgehen bei Hirsutismus).

Die Behandlung beginnt mit einer ausführlichen Anamnese, inkl. derer der Familie. Dabei sollte unbedingt nach Lebererkrankungen und Alkoholkonsum, kardiovaskulären sowie Thromboserisikofaktoren (Rauchen?) gefragt werden. Zudem sind manifeste Krankheiten und hormon­abhängige Malignome wie Mamma-/Prostatakarzinom abzuklären. Besonderes Fingerspitzengefühl ist bei der Frage nach einer möglichen Selbstbehandlung gefragt, mahnen die Autoren. Man dürfe nicht vergessen, dass die Patienten oftmals eine längere Leidensgeschichte hinter sich haben und sich mit ggf. illegal erworbenen Hormonpräparaten eigenständig helfen wollten.

Nach der körperlichen Untersuchung geht es ins Labor. Wichtig sind Blutbild, Leber- und Nierenwerte, Blutzucker und -fette sowie der Hormonstatus (LH, FSH, Estradiol, Prolaktin, Progesteron in der zweiten Zyklushälfte, Testosteron und sexualhormonbindendes Globulin). Weiterhin sollten mögliche Thrombophilien abgeklärt werden (Faktor-V-Leiden- oder Prothrombin-Mutation). Hinzu kommt eine Chromosomenanalyse mit Bestimmung des Karyotyps, die die Krankenkassen für die Kostenübernahme fordern.

Das war es dann mit der Fruchtbarkeit

Vor Start der Hormontherapie müssen die Patienten wissen, dass sie keine Kinder mehr zeugen bzw. empfangen können. Sie sollten also ggf. auf eine Kryokonservierung von Spermien/Eizellen hingewiesen werden. Aber Achtung: In Deutschland ist nach der aktuellen Rechtsprechung eine Eizellspende nicht erlaubt.

Nach der umfangreichen Diagnostik beginnt die Hormontherapie (s. Tabelle). Internistisch und endokrinologisch wird deren Verlauf im ersten Jahr mindestens alle drei Monate, danach ein- bis zweimal im Jahr überwacht, inkl. Bestimmung von Hormonen und Leberwerten, Blutfetten, Hämatokrit (Polyglobulie!) und Blutzucker.
Endokrinologische Behandlung von Transgender
Gruppe
Hormon
Dosis
Therapiekontrolle
Transfrauen (bei der Geburt männliches Geschlecht zugewiesen, Selbstverständnis als Frau)
  • Estradiol, optimalerweise als Pflaster: Thromboserisiko ↓, First-Pass-Effekt in der Leber ↓
  • Cyproteronacetat als Antiandrogen (nicht bei aktuellen oder früheren Meningeomen)
  • Progesteron? In Kombi mit Estradiol in derzeitigen Leitlinien nicht empfohlen; Studien weisen auf positive Effekte u.a. auf Knochengesundheit und kardiovaskuläres Risiko hin
  • nach Hormonzielwerten für ­Estradiol:Wert gesunder ­Frauen vor der Menopause, max. 200 pg/ml
  • für Antiandrogen*: Testosteron < 0,5 ng/ml
  • Estradiol, LH, FSH, Testosteron, Prolaktin
  • Mammographie-Screening ab 50
  • auf Prostatakarzinom: Organ bleibt bei der OP erhalten
Transmänner (bei der Geburt weibliches Geschlecht zugewiesen, Selbstverständnis als Mann)
  • Testosteron als Gel oder Depotinjektion Vorteil Gel: Therapie besser steuerbar, allg. empfohlen; Vorteil Spritze: seltenere Gabe
  • bei über drei Monate anhaltender Periodenblutung: GnRH-Analogon oder ­Gestagen
  • Testosteronzielbereich: 3–10 ng/dl
  • Gel: 25–100 mg/d
  • Depot:
    • T.-Enanthat 250 mg alle 2–3 Wochen
    • T.-Undecanoat 1000 mg; Gaben 1 und 2 im Abstand von sechs Wochen, dann alle zwölf Wochen
    • Leuprorelinacetat: 11,25 mg alle drei ­Monate s.c. oder i.m.
    • Medroxyprogesteronacetat 150 mg i.m. alle drei Monate
  • Testosteron
* Für Cyproteronacetat empfehlen die Experten deutlich geringere Dosen als üblich: Beginn mit etwa 20 mg/d, Verminderung auf 5 mg, sobald ­Testosteron-Zielwert erreicht
Die geschlechtsangleichenden Operationen kommen nach der Hormongabe. Doch auch das war es noch nicht ganz. Zwar erreichen Medikamente bei Transmännern oft eine ausreichend tiefe Stimmlage. Im umgekehrten Fall braucht es aber oft den Kollegen aus der HNO für einen ergänzenden phonochirurgischen Eingriff. Logopäden unterstützen die Patienten, die für sie passende Stimmlage zu finden. Dermatologen schließlich kommen zum Zuge, wenn eine androgenetische Alopezie oder eine Testosteronakne auftritt. Bei Transfrauen empfehlen die Autoren außerdem eine Epilation.

Quelle: Athanasoulia-Kaspar A et al. Dtsch Med Wochenschr 2020; 145: 1118-1122; DOI: 10.1055/a-0958-0098

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Vagina (oben) und Penis (unten) nach geschlechtsangleichender Operation. Vagina (oben) und Penis (unten) nach geschlechtsangleichender Operation. © Wikimedia Sverige/Genusfotografen (Tommas Gunnarsson) (CC BY-SA 4.0)
Nicht für jeden fühlt sich der eigene Körper richtig an. Nicht für jeden fühlt sich der eigene Körper richtig an. © iStock/ADragan