Immunsupprimierte in den Leitlinien vernachlässigt

Manuela Arand

Immunsupprimierte scheinen zwar kein erhöhtes Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion zu haben. Doch kommt es zur COVID-19-Pneumonie – in der CT u.a. durch zum Teil ausgedehnte und konfluierende Milchglastrübungen charakterisiert – ist der Verlauf oft schwer. Immunsupprimierte scheinen zwar kein erhöhtes Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion zu haben. Doch kommt es zur COVID-19-Pneumonie – in der CT u.a. durch zum Teil ausgedehnte und konfluierende Milchglastrübungen charakterisiert – ist der Verlauf oft schwer. © Science Photo Library/Steven Needell

Besteht bei einem Patienten mit angeborener bzw. erworbener Immunschwäche der Verdacht, er könnte sich eine Pneumonie zugezogen haben, sollte man ihn rasch ins CT stecken. Der erhobene Befund kann das weitere Management erheblich beeinflussen.

Die Pneumonie-Leitlinien lassen den Arzt mit der Behandlung immundefizienter Patienten allein. Dabei ist die Frage nach der Immunkompetenz die erste, die sich stellt, wenn eine Lungenentzündung diagnostiziert wird. Schließlich geht es darum zu klären, ob mit dem üblichen Erregerspektrum zu rechnen ist, bei dem die bewährten Strategien greifen, erklärte Professor Dr. Martin Kolditz, Universität Dresden. Im vergangenen Jahr wurde immerhin ein konsensuelles Expertenstatement erarbeitet, das die 21 wichtigsten Fragen zum initialen Pneumonie-Management bei Immunkompromitierten beantwortet.1 „Das Dokument hat nicht den Anspruch, Leitlinie zu sein, aber es leistet Hilfestellung bei vielen Aspekten, denen wir uns im klinischen Alltag immer wieder gegenübersehen“, so Prof. Kolditz.

Immundefizienz auch durch Rheumatherapie

Bei jedem fünften Pneumoniepatienten kann das Immunsystem in Mitleidenschaft gezogen sein. Betroffen sind nicht nur zytostatisch behandelte Krebskranke, Transplantatempfänger und immundepletierte HIV-Infizierte, sondern auch Menschen, die aus welchem Grund auch immer länger als 14 Tage mehr als 20 mg/d Prednison bekommen oder mit einem krankheitsmodifizierenden Antirheumatikum wie Methotrexat therapiert werden.

Die Dresdner Ärzte haben Daten von knapp 200 Patienten mit Immunsuppression analysiert, die zwischen 2014 und 2017 wegen einer ambulant erworbener Pneumonie (CAP) hospitalisiert wurden. 53 % der bei ihnen nachgewiesenen Er­reger waren nicht durch Therapieempfehlungen der deutschen Pneumonie-Leitlinie abgedeckt, darunter Pneumocystis jirovecii und Aspergillus. Immerhin lässt sich das wahrscheinliche Erregerspektrum durch den zugrunde liegenden Immundefekt etwas eingrenzen, führte Prof. Kolditz aus.

Erhöhtes Risiko für schwere COVID-Verläufe

So dominieren bei humoraler Immundefizienz neben den Standarderregern Pneumokokkus und Haemophilus die Neisserien, bei T-Zelldepletion treten gehäuft Mykobakterien, Nokardien, Pneumocystis, Kryptokokken und Legionellen auf. Bei Neutropenie finden sich abhängig von deren Dauer neben S. aureus und Pseudomonas auch Pilze, z. B. Aspergillen.

„Es gibt bisher keine Daten, dass immunsupprimierte Patienten ein erhöhtes Risiko für die Infektion mit SARS-CoV-2 haben“, berichtete Prof. Kolditz. Aber das Risiko für schwere Krankheitsverläufe ist besonders hoch. In einer Analyse der Daten von 30 Millionen GKV-Versicherten stehen Patienten, die wegen hämatologischer oder metastasierter onkologischer Erkrankungen behandelt werden, ganz oben auf der Gefährdungsliste. Insbesondere denen mit B-Zelldepletion gelingt es nur verzögert, das Virus zu eliminieren, sodass mit einer prolongierten Ausscheidung zu rechnen ist.

Hinzu kommt, dass der Impfschutz bei diesen Menschen oft nicht funktioniert. Bei knapp jedem zweiten Organtransplantierten blieb nach zweimaliger Applikation eines mRNA-Impfstoffs die Serokonversion aus. Inzwischen gibt es vergleichbare Daten für Patienten unter onkologischer oder B-zelldepletierender Therapie. Die Dresdner Ärzte haben daraus die Konsequenz gezogen, dass sie im Fall von COVID-19 bei diesen Kranken schon früh zu Off-Label-Therapien wie Rekonvaleszentenserum greifen.

Ein praktisches Problem bei der Betreuung von immunkompromitierten Pneumoniepatienten liegt darin, dass der negative prädiktive Wert gängiger Scores wie CRB-65 und qSOFA zur Prognoseabschätzung lausig ist, wie es Prof. Kolditz formulierte. Selbst jene mit sehr niedrigen Scores liegen nicht außerhalb der Gefahrenzone für Beatmungspflicht oder Tod. Die Warnlampen sollten auf jeden Fall angehen bei Nachweis von Pneumocystis jirovecii und Aspergillus, oder wenn sich bei akutem Atemversagen kein Erreger finden lässt. Daraus folgt auch, dass CAP-Patienten mit schwerer Immunsuppression im Zweifelsfall im Krankenhaus besser aufgehoben sind.

Multiplex-PCR auf Viren großzügig einsetzen

Aufs Röntgenbild ist bei diesen Patienten wenig Verlass, man sollte lieber aufs die CT setzen. „Wir können mit ihr nicht nur sensitiver detektieren, sondern bekommen eine ganze Reihe spezifischer Zusatzinformationen über die mögliche Ätiologie“, betonte Prof. Kolditz. Dadurch lässt sich sogar die mikrobiologische Diagnostik effektiver steuern: Bei Milchglastrübungen lohnt die Suche nach Viren oder Pneumocystis, noduläre Läsionen legen eine Aspergillose oder Mukomykose nahe, um nur zwei Beispiele zu nennen. Der Dresdner Pneumologe plädiert außerdem für den großzügigen Einsatz der Multiplex-PCR auf Viren, die bei CAP normalerweise nicht empfohlen wird.

Möglichst Therapie der Grunderkrankung optimieren

Eine Bronchoskopie ist für die Materialgewinnung nicht zwingend erforderlich, ein Nasenabstrich reicht zumeist. Bronchoskopiert werden sollte nur, wenn therapeutische Konsequenzen erwartet werden.

Geht es um die Behandlungsoptionen ist zunächst zu klären, ob man die Immunsuppression „korrigieren“ kann, etwa durch Anpassen der antiretroviralen Therapie beim HIV-Patienten, durch gezielte Gabe von Immunglobulinen oder Wachstumsfaktoren. Die empirische Therapie folgt den gleichen Prinzipien wie bei unkomplizierter CAP. Man gibt ein Breitspektrum-Betalaktam parenteral oder eventuell als prolongierte Infusion. Je nach Schweregrad der Pneumonie, Art des Immundefekts und Infiltrats in der CT ergänzt man Antibiotika, die opportunistische Erreger abdecken. Kann ein Erreger nachgewiesen werden, leitet dieser Befund natürlich das therapeutische Vorgehen.

CAPNETZ hat im Herbst 2020 eine Kohorte von Patienten mit schwerer Immunsuppression etabliert, die validere Daten zum Management der Pneumonie liefern soll. Stand Juni 2021 waren knapp 60 Teilnehmer rekrutiert, weitere sollen folgen.

1. Ramirez JA et al. Chest 2020; 158: 1896-1911; DOI: 10.1016/j.chest.2020.05.598

Quelle: 61. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin*

* Online-Veranstaltung

Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).


Immunsupprimierte scheinen zwar kein erhöhtes Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion zu haben. Doch kommt es zur COVID-19-Pneumonie – in der CT u.a. durch zum Teil ausgedehnte und konfluierende Milchglastrübungen charakterisiert – ist der Verlauf oft schwer. Immunsupprimierte scheinen zwar kein erhöhtes Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion zu haben. Doch kommt es zur COVID-19-Pneumonie – in der CT u.a. durch zum Teil ausgedehnte und konfluierende Milchglastrübungen charakterisiert – ist der Verlauf oft schwer. © Science Photo Library/Steven Needell