Ambulant erworbene Pneumonien verlaufen gerne kompliziert

Manuela Arand

Der Schweregrad einer ambulant erworbenen Pneumonie lässt sich mit dem CRB-65-Score abschätzen. Der Schweregrad einer ambulant erworbenen Pneumonie lässt sich mit dem CRB-65-Score abschätzen. © Science Photo Library/Zephyr

Ambulant erworbene Pneumonien sind nicht zu unterschätzen. Schwere Verläufe mit substanzieller Mortalität kommen vor. Anhand von Kasuistiken illustrierte Professor Dr. Tobias Welte, Medizinische Hochschule Hannover, wo poten­ziell Fallstricke liegen.

Fall 1: Influenza plus CAP – was nun?

Die 66-jährige Altenpflegerin kommt mit Husten und Fieber in die Notaufnahme. Die Symptome bestehen seit fünf Tagen, vor zwei Tagen sind schwere Atemnot und Erschöpfung dazugekommen, heute früh dann Schüttelfrost. Die Frau zeigt alle Zeichen einer schweren Pneumonie, was Laborwerte und Blutgase bestätigen. Das Röntgenbild erscheint auf den ersten Blick unauffällig, aber das CT zeigt Kavernen und Konsolidierungen in den Unterlappen – „eine nekrotisierende Pneumonie, bei der Sie immer Pneumokokken im Kopf haben müssen“, so Prof. Welte.

Antibiotika plus Oseltamivir geben

Bei dieser Patientin fiel zunächst die Influenza-PCR positiv aus, SARS-CoV-2 konnte zum Glück nicht nachgewiesen werden. Die aktuelle US-Leitlinie von ATS/IDSA** empfiehlt in dieser Situation, d.h. bei dringendem Verdacht auf eine ambulant erworbene Pneumonie und positivem Influenzanachweis, eine Standardtherapie mit Antibiotika und eine antivirale Behandlung mit Oseltamivir für alle stationären und ambulanten Patienten.1 Über letztere Empfehlung kann man sich streiten, befand Prof. Welte. Aber neue europäische Daten zeigen, dass Oseltamivir auch bei ambulanten Patienten die Symptomdauer verkürzt. „Oseltamivir ist besser als nichts“, sagte der Pneumologe.

Eine andere Frage ist, ob Influenzapatienten grundsätzlich auch antibiotisch behandelt werden sollten. Bei schwerem stationärem Verlauf auf jeden Fall, denn dann liegen häufig bakterielle Superinfektionen vor. Aber auch für ambulante Patienten wird die Kombination mit einem strepto- und staphylokokkenwirksamen Antibio­tikum wie Amoxicillin/Clavulansäure empfohlen.

Im Fall der beschriebenen Patientin, bei der nach zwei Tagen ein positiver Sputumbefund auf S. aureus zurückkam, schien diese Strategie auf den ersten Blick nicht drin, weil sie anamnestisch eine Penicillinallergie angab. Aber diesen Aussagen darf man nicht allzu viel Glauben schenken, wie eine Studie vor zwei Jahren ergab. Darin berichteten 65 000 Patienten, gegen Penicillin allergisch zu sein. Normalerweise zeigt etwa ein Drittel der Penicillinallergiker Kreuzallergien gegen Cephalosporine. Demnach hätten die eingesetzten 127 000 Cephalosporintherapien zu etwa 40 000 allergischen und anaphylaktischen Reaktionen führen müssen – tatsächlich waren es gerade mal drei Fälle von Anaphylaxie.

Influenzaviren öffnen die Eintrittspforte

So viele wären rein statistisch auch bei Patienten ohne Allergieanamnese zu erwarten gewesen. Wahrscheinlich lagen den scheinbaren allergischen Reaktionen immunologische Phänomene beim Zusammentreffen von Virusinfektion und antibiotischer Therapie zugrunde, die nichts mit Hypersensitivität zu tun hatten, meinte Prof. Welte.

Wie bei o.g. Patientin gehen Influenzaerkrankungen in etwa einem Drittel der Fälle mit S.-aureus-Pneumonien einher. Dies liegt daran, dass Influenzaviren und Staphylokokken denselben Rezeptor nutzen, um die Zellen zu entern. „Influenzaviren öffnen quasi die Eintrittspforte für S. aureus“, verdeutlichte Prof. Welte. Bei der Patientin waren in der Blutkultur MRSA nachgewiesen worden, was die Antibiotikaauswahl einschränkte. Die Leitlinien empfehlen Vancomycin, das jedoch schlecht ins Gewebe vordringt – Stichwort: Konsolidierungen im Röntgenbild – oder Linezolid, das aber nicht bakterizid wirkt. Da die Patientin Schüttelfrost und somit sehr wahrscheinlich eine Bakteriämie hatte, setzte man auf ein Cephalosporin der 5. Generation wie Ceftarolin.

Fall 2: Makrolid olé? Makrolid oje!

Eine 54-Jährige, gerade zurück von einer Spanienreise, kommt zum Hausarzt mit Husten ohne Auswurf, leichter Belastungsdyspnoe und Rasselgeräuschen in den unteren Lungenlappen. Sie ist gut orientiert, ihre Atemfrequenz normal. Die Temperatur wird leicht erhöht gemessen, der Puls ist etwas beschleunigt, der Blutdruck eher niedrig. Zusammengenommen ergibt das null Punkte im CRB-65-Score. Also verzichtet der Hausarzt aufs Röntgen und startet die ambulante Therapie mit einem Makrolid.

Der CRB-65-Score
Risikofaktor
Vorhanden?
Punkte
C
Confusion01
R
Respiratory rate01
B
Blood pressure
≤ 60 mmHg diastolisch oder
≤ 90 mmHg systolisch
01
65
Alter ≥ 65 Jahre01
Geschätzte pneumoniebedingte Sterblichkeit:
0 Punkte: < 1 %
1-2 Punkte: ca. 6 %
3-4 Punkte: ca. 23 %

Damit befindet er sich im Einklang mit der US-Leitlinie, die zu Makrolid, Doxycyclin oder Breitbandpenicillin rät, sofern die lokalen Resistenzraten bei Pneumokokken 25 % nicht übersteigen. Doch diese Schwelle wird kontrovers diskutiert, erklärte Prof. Welte. Viele Experten halten sie für zu liberal, weil ein Therapieversagen Leben kosten könnte. Außerdem zählt Spanien zu den Ländern mit hohen Resistenzraten, was vermuten lässt, dass die Entscheidung fürs Makrolid eher ungünstig ist.

Mit kardiovaskulären Komplikationen rechnen

Tatsächlich dauert es nicht lange, bis die Patientin in der Notaufnahme aufschlägt mit Fieber, Atemnot in Ruhe, einem Puls von 116/min und einem Blutdruck von 85/52 mmHg. Das CRP ist hoch, ebenso der Harnstoff. Die Blutgasanalyse zeigt Hypoxie und Hyperkapnie. Das ergibt 3 von 5 möglichen Punkten im CRB-65 und eine dringende Indikation zur stationären Aufnahme.

Eine Betalaktam-Makrolid-Kombination, eigentlich erste Wahl in solchen Fällen, kommt nicht mehr infrage, also erhält die Patientin ein Betalaktam plus Fluorchinolon. Darunter geht es ihr deutlich besser, an Tag 5 kann sie aufstehen. Doch an Tag 6 entwickelt sie eine Tachyarrhythmie mit Atemnot und klinischen Zeichen eines Lungenödems.

Kardiovaskuläre Komplikationen im Rahmen einer Pneumonie sind keine Seltenheit. „Jeder dritte bekommt so etwas, am häufigsten sieht man neu auftretendes Vorhofflimmern“, so Prof. Welte. Er erinnerte daran, dass Makrolide bei kardiovaskulär vorerkrankten Patienten Probleme bereiten können.

Die deutsche CAPNET-Gruppe hat letztes Jahr einen einfachen Algorithmus vorgestellt, der hilft, pro oder kontra Makrolid zu entscheiden. Bei Patienten mit chronischer Lungenerkrankung entscheidet die Leukozytenzahl unterm Mikroskop. Zehn und mehr im Ausschnitt heißt „Makrolid ja“. Lungengesunde Patienten mit kardiovaskulärer Grunderkrankung sollten besser kein Makrolid erhalten. Computeranalysen zeigen, dass sich damit eine relevante Zahl von Todesfällen vermeiden lässt.

Quelle: ERS* International Congress virtual

* European Respiratory Society
** American Thoracic Society/Infectious Diseases Society of America

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Der Schweregrad einer ambulant erworbenen Pneumonie lässt sich mit dem CRB-65-Score abschätzen. Der Schweregrad einer ambulant erworbenen Pneumonie lässt sich mit dem CRB-65-Score abschätzen. © Science Photo Library/Zephyr
Im Mittellappen der rechten Lunge zeigt sich ein Infiltrat als Hinweis auf eine Pneumonie. Im Mittellappen der rechten Lunge zeigt sich ein Infiltrat als Hinweis auf eine Pneumonie. © Science Photo Library/Zephyr