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Knigge adieu: Demenzkranke dürfen ruhig auch mit den Fingern essen

Geruchs- und Geschmacksstörungen, Aufmerksamkeitsdefizite, Dysphagie – das sind nur einige der Faktoren, die im Laufe einer Demenzerkrankung die Nahrungsaufnahme beeinträchtigen können. Nicht selten kommt es bereits zu Gewichtsverlusten, bevor die Diagnose im Raum steht. Um die ausreichende Versorgung Demenzkranker zu sichern, hat die Europäische Gesellschaft für Klinische Ernährung und Stoffwechsel (ESPEN) unter der Leitung von Professor Dr. Dorothee Volkert, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, aktuell eine Leitlinie veröffentlicht.
Demenzerkrankte vergessen, ob sie bereits gegessen haben, konzentrieren sich nicht auf die Mahlzeit oder beginnen diese erst gar nicht. Die Patienten spielen mit der Nahrung herum und der oft vorhandene Bewegungsdrang führt dazu, dass sie die Mahlzeiten immer wieder unterbrechen. Auch aversives Verhalten gegenüber der Nahrungsaufnahme gehört zum Krankheitsbild.
Andererseits können Apathie, medikamentöse Sedierung oder Schluckstörungen das Essen behindern. Oft folgt eine Mangel-ernährung. Die Symptome sind unabhängig von der Demenz und zeichnen sich meist durch allgemeine Schwäche, erhöhte Sturzgefahr und Infektionsneigung aus. Weiterhin zeigte sich in einer 18-monatigen Studie mit Pflegeheimbewohnern mit fortgeschrittener Demenz, dass Ernährungsprobleme die Mortalität erhöhen.
Kauprobleme und Schmerzen zehren ebenfalls an Patienten
Vor diesem Hintergrund fordert die ESPEN, Betroffene ab der Diagnosestellung regelmäßig auf eine potenzielle Mangelernährung zu überprüfen. Die Kurzform des „Mini Nutritional Assessment“ (MNA) gilt derzeit als Goldstandard für Senioren und ist auch bei Demenz geeignet. Fragebögen wie die Blandford Skala oder "Eating Behavior Scale" können ebenfalls Aufschluss bieten. Bei Demenzkranken mit problematischem Essverhalten empfehlen die Autoren mindestens einmal im Monat, ansonsten alle drei Monate eine Gewichtskontrolle. Stellt das Wiegen eine Belastung für den Patienten dar, sollte es seltener erfolgen.
Zusätzlich zur Demenz können Komorbiditäten, Kauprobleme, Schmerzen oder Nebenwirkungen von Medikamenten die Ernährung beeinflussen. Die Ursachen gilt es zu beheben, solange die Behandlung nicht zu belastend ist. Ansonsten sollte das Nutzen-Risiko-Verhältnis abgewogen werden.
Einkaufshilfe und "Esspaten" ins Haus holen
Lebt der Patient noch zu Hause, sind eine Einkaufs- und Haushaltshilfe sowie ein "Esspate", der die Mahlzeiten betreut, angebracht. Spezielle Ernährungsempfehlungen für Demenzkranke gibt es nicht. Wichtig ist es, auf die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen einzugehen und das Essen attraktiv zu präsentieren.
Die sensorische Ansprechbarkeit auch in späteren Erkrankungsstadien sollten Angehörige und Betreuer gezielt nutzen, um die Aufmerksamkeit der Patienten auf das Essen zu lenken und den Appetit anzuregen. Insbesondere für Erkrankte mit Kau- und Schluckstörungen muss die Nahrung entsprechend aufbereitet werden. Bei Schwierigkeiten mit dem Essbesteck sollte unbedingt das Essen mit den Fingern "erlaubt" sein, wobei die Nahrung möglichst in mundgerechten Happen zu portionieren ist. Dasselbe gilt auch für Patienten, die dazu neigen umherzuwandern.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist laut Prof. Volkert und Kollegen die Atmosphäre bei den Mahlzeiten. So ist durch Studien in Pflegeheimen belegt, dass sich das Essverhalten von Demenzkranken durch eine entspannte Atmosphäre, angenehme Beleuchtung, leise Musik sowie die Vermeidung von Lärm und Ablenkung günstig beeinflussen lässt. Auch ein Aquarium im Speisesaal oder kontrastreiches, farbiges Geschirr können das Essen verbessern.
Suppe mit Eiern, Sahne und Proteinpulver aufpeppen
Lässt sich dennoch eine adäquate Ernährung nicht sicherstellen, sind laut Leitlinie die Speisen mit gehaltvollen Lebensmitteln wie Eiern, Sahne oder Öl anzureichern. Ggf. kommen auch Nährstoffkonzentrate wie Maltodextrin und Proteinpulver infrage. Reicht dies nicht aus, empfehlen die Autoren eine bilanzierte Trinknahrung. Unklar ist bisher, ob Spezialnahrung extra für Demenzkranke sinnvoll ist.
Die Supplementierung einzelner Nährstoffe ist indiziert, wenn ein nachgewiesener Mangel besteht. Ein günstiger Einfluss auf die kognitive Entwicklung konnte in Studien nicht nachgewiesen werden. Appetitstimulanzien lehnt die ESPEN ab, eine künstliche Ernährung sollte nur in Ausnahmen zum Einsatz kommen. Und zwar ausschließlich, wenn der Patientenwille dies erlaubt und sich die Lebensqualität durch die Maßnahme eindeutig verbessern lässt.
Quelle: Volkert D. Internist 2017; 58: 141–148
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