Männergrippe ist kein Mythos

Dr. Elisabeth Nolde

Männer übertreiben ihre Symptome im Vergleich zu Frauen nicht, sondern sind vielmehr Opfer eines schwächeren Immunsystems. Männer übertreiben ihre Symptome im Vergleich zu Frauen nicht, sondern sind vielmehr Opfer eines schwächeren Immunsystems. © fotolia/baranq

Das vermeintlich „starke Geschlecht“ bekommt im Volksmund ordentlich Fett weg. Konfrontiert mit Erkältungsviren neigten Männer schnell dazu, die Schwere ihrer Symptome zu übertreiben. Das will ein Mediziner nicht auf sich sitzen lassen.

In Großbritannien, Australien und Nordamerika gilt die „Man Flu“, zu Deutsch Männergrippe, als feste Redensart. Selbst im Referenzwerk der Anglisten, dem Oxford Dictionary of English, hat der Ausdruck seinen ausgemachten Platz. Dort wird er als „eine Erkältung oder ein ähnlich minimales Leiden“ definiert, „bei der oder dem die Symptome in ihrer Bedeutung und Ausprägung von einem Mann offensichtlich übertrieben werden.“ Das wollte sich Professor Dr. Kyle Sue vom kanadischen Health Sciences Centre der Universität Neufundland in St. John’s nicht länger gefallen lassen.

„Genervt davon, immer wieder unterstellt zu bekommen, ich würde überreagieren, habe ich in der Fachliteratur nach wissenschaftlichen Belegen für diese Unterstellung gesucht“, erklärt der Allgemeinmediziner. Er ging der Frage nach, ob erkältete Männer tatsächlich heftiger als Frauen leiden. Und ob es evolutio­näre Gründe dafür gibt, warum das „starke Geschlecht“ angesichts harmloser Rhinoviren immer wieder in die Knie geht. Die traditionell satirisch ausgelegte Weihnachtsausgabe des British Medical Journal hat Prof. Sue nun endlich den Platz gegeben, diese wichtigen Fragen zu diskutieren.

Seiner Meinung nach gibt es gute Gründe dafür, warum Männer bei Husten, Schnupfen und Heiserkeit deutlich lauter stöhnen. So hätten Studien an Mäusen gezeigt, dass weibliche Tiere mit einer besseren Immunantwort reagieren als ihre männlichen Artgenossen. Mögliche Erklärung: Zahlreiche Anzeichen sprächen dafür, dass der Spiegel der Geschlechtshormone maßgeblich mit darüber entscheidet, wie es einem grippeinfizierten Menschen geht. Ein höherer Östrogenspiegel ist demnach mit einer stärkeren Reaktion des angeborenen Abwehrsystems verbunden und unterdrückt in der Zellkultur die Virusreplikation, zumindest gilt das für Mäuseweibchen. Im Reagenzglas scheint das Hormon zudem die Reaktion der Abwehrzellen auf Rhinoviren anzufachen.

Bei Grippewellen sterben mehr Männer als Frauen

All dies könnte laut Prof. Sue erklären, weshalb auch bei vielen anderen akuten respiratorischen Krankheiten Männer häufiger mit Komplikationen zu kämpfen haben. Aber selbst in Humanstudien entdeckt der Autor Anzeichen für diese vermeintliche männliche Immunitätslücke. So hätten Untersuchungen aus Hongkong und den USA gezeigt, dass Männer während einer Grippewelle öfters im Krankenhaus landen und häufiger in deren Verlauf sterben. Bleibt die Frage: Was hat sich die Evolution dabei gedacht, das starke Geschlecht derart anfällig zu konstruieren?

Legt man als natürliche männliche Lebensmaxime die Maßgabe „live hard, die young“ (lebe hart, sterbe jung) zugrunde, wie von Wissenschaftlern unterschiedlichster akademischer Fächer postuliert, ergebe diese Achillesferse durchaus Sinn, so Prof. Sue. Demnach inves­tieren Männer derart viel Energie in den herausfordernden sexuellen Wettbewerb, dass ihnen weniger Ressourcen für ihr Immunsystem übrig bleiben. Die „Man Flu“ wäre also ein ererbter Energiesparmodus und reduziere das Risiko, potenziellen Feinden zu begegnen.

Spezielle Krankenzimmer für Herren einrichten?

Der Mediziner resümiert, die Konnotationen des Begriffs Männergrippe müssten damit als ungerecht zurückgewiesen werden. Die Betroffenen übertreiben ihre Symptome im Vergleich zu Frauen nicht, sondern sind vielmehr Opfer eines schwächeren Immunsystems. Vielleicht sei nun die Zeit gekommen, sich auf diese Situation einzustellen. So könnte man über spezielle Männerkrankenzimmer mit riesigen Fernsehschirmen und Liegesitzen nachdenken, in denen die Opfer sicher und komfortabel wieder zu Kräften kommen.

Quelle: Sue K. BMJ 2017; 359: j5560

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