Merkelzellkarzinom teilweise deutlich unterversorgt

Dr. Susanne Gallus

Haben die Tumorzellen (braun) erst einmal richtig die Haut infiltriert, sieht die Langzeitprognose schlecht aus. Haben die Tumorzellen (braun) erst einmal richtig die Haut infiltriert, sieht die Langzeitprognose schlecht aus. © wikicommons/Patrick S. Moore

Das Merkelzellkarzinom ist zwar ein seltener, aber hochaggressiver Tumor, der ein konsequentes Eingreifen und Nachbehandeln erforderlich macht. Doch leider kann die Realität oft nicht mit dem leitliniengerechten Ideal mithalten.

Obwohl sich die Mehrheit der nicht-melanozytischen Hautkrebserkrankungen dem Basalzell- und Plattenepithelkarzinom zuordnen lässt, sollte man seltenere kutante Tumoren nicht vergessen. Zumal einige Vertreter wie das Merkelzellkarzinom (MCC) wesentlich aggressiver sind. „Das Fünf-Jahres-Überleben beim Merkelzellkarzinom liegt im Vergleich zu den anderen Tumoren deutlich niedriger“, so Professor Dr. Claudia Pföhler, Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg. „Und das trifft vor allem die Hochbetagten.“

Aufgemerkelt

  • das MCC findet sich meist im Kopf-Hals-Bereich (50 %) oder an den Extremitäten (30 %)
  • es tritt oft erst im Alter auf (mittleres Alter bei Diagnose: 70 Jahre)
  • Inzidenz ist zunehmend, aber regional sehr variabel, z.B. in Europa erheblich niedriger als in Australien
  • Männer trifft es etwas häufiger
Als wichtige Risikofaktoren für ein MCC gelten eine lebenslange hohe kumulative UV-Exposition bzw. eine Immunsuppression, nicht selten auch in Kombination.

Da die Prognose stark vom Erkrankungsstadium abhängt, macht der Verdacht auf ein MCC zügiges Handeln erforderlich. Die rein klinische Diagnose fällt oft sehr schwer, daher wird sie histologisch und immunohistochemisch gesichert, entweder per Biopsie oder nach erfolgter Exzision. Bestätigt sich der Verdacht, entfernt man den Tumor bzw. reseziert nach (Sicherheitsabstand 1–2 cm). Zudem sollten die Lymphabflusswege genau unter die Lupe genommen werden – am einfachsten per Sonographie. Bei jedem fünften Patienten lassen sich bei Erstdiagnose bereits lokoregionäre Makrometastasen feststellen. „Weitere 30 % haben Mikrometastasen im Wächterlymphknoten und bei 10 % aller Patienten liegt zu diesem Zeitpunkt schon eine Fernmetastasierung vor“, betonte Prof. Pföhler. Daher gehört ein Ganzkörperstaging mittels CT oder PET-CT zum Screening dazu.

Erst schneiden, dann bestrahlen

Die pathologische Untersuchung des Sentinellymphknotens hat ebenfalls große Bedeutung, insbesondere wenn sich in der Bildgebung kein Hinweis auf Metastasen finden lässt. „Im Kopf-Hals-Bereich kann als Alternative hierzu eine funktionelle, selektive Neck-Dissektion durchgeführt werden“, erläuterte die Expertin. Bei positivem Sentinelbefund kommt u.U. auch eine komplettierende Lymphknotendissektion infrage. Als postoperativer Standard hat sich die Nachbestrahlung des Tumorbetts mit 50 Gy etabliert. „Im Einzelfall muss man diskutieren, ob man die lokoregionäre Lymphknotenstation oder gar die In-transit-Strecke ebenfalls adjuvant bestrahlen soll.“ Eine Systemtherapie kommt in fortgeschrittenen Krankheitsstadien, für inoperable Tumoren oder Fernmetastasen infrage – und zwar bereits frühzeitig. Einzig zugelassene Substanz derzeit: Avelumab. In den ersten beiden Jahren sieht die Nachsorge eine Ganzkörperuntersuchung alle drei Monate inkl. Lymph-Sono vor. Später reichen halbjährliche Check-ups. Staging bzw. Bildgebung sollten bei negativem Sentinelstatus jährlich erfolgen, bei positivem bzw. unklarem Befund ggf. vierteljährlich. Wissenschaftlich gesichert sind die Empfehlungen nicht, man beruft sich allerdings auf die Tatsache, dass die Rezidivrate in den ersten beiden Jahren nach der Erstdiagnose am höchsten liegt. So viel zum empfohlenen Prozedere, aber wie sieht die Realität aus? Eine monozentrische retrospektive Auswertung von Daten des Hauttumorzentrums in Homburg zeigte, dass immerhin über 90 % der Patienten leitliniengerecht operativ versorgt wurden, 80 % auch mit dem gebotenen Sicherheitsabstand. Die geforderte Sentinellymphknotenbiopsie fand dagegen nur bei 30 % statt, 9 % erhielten die modifizierte Neck-Dissektion. Ähnlich sah die Situation hinsichtlich der adjuvanten Bestrahlung aus, die 44 % der Patienten nicht bekamen. Auch wenn dieser Einblick limitiert ist, zeigt sich doch, dass objektiv betrachtet ein Teil der Patienten nicht leitliniengerecht versorgt wird, lautete das Fazit von Prof. Pföhler. Zumal aus anderen Hauttumorzentren ähnliche Daten berichtet wurden. Warum sieht das so aus? „Wir haben ein sehr altes Kollektiv“, erläuterte Prof. Pföhler. Damit gehen oft ein reduzierter Allgemeinzustand, Komorbiditäten und kognitive Einschränkungen bzw. Demenz einher. Daher könne es sein, dass sich ein Abweichen von der Leitlinie medizinisch bgründen lässt. Beispielsweise wäre denkbar, bei Älteren mit unauffälliger Sono auf die Sentinelbiopsie im Kopf-Hals-Bereich zu verzichten und sie nur engmaschig sonographisch zu versorgen. „Grundsätzlich wäre die Biopsie aber aufgrund der Daten zu empfehlen“, betonte die Dermatologin. Häufig lehnen auch Patienten oder deren Betreuer weiterreichende Maßnahmen ab.

Im Gesicht fehlt oft der entscheidende Spielraum

Dass Sicherheitsabstände nicht immer eingehalten werden, liegt mitunter an den oft herausfordernden Lokalisationen. Hier sei zu überlegen, ob nicht ein geringerer Abstand plus Bestrahlung für eine gute Prognose ausreichend sein können, womit sich komplizierte Deckungen der Wundareale vermeiden ließen. Prof. Pföhler vermutet, dass dieses Vorgehen in der zukünftigen Leitlinie zu finden sein wird. Mobilität spielt ebenfalls eine Rolle: Weite Anfahrtswege machen eine leitlinienkonforme Versorgung schwierig bzw. manche Patienten sind darauf angewiesen, dass näher gelegene Ärzte die Versorgung übernehmen. Dabei handelt es sich dann unter Umständen nicht um Onkologen bzw. Dermatoonkologen, und diese haben weniger Erfahrung bzw. Kenntnis über die entsprechenden Leitlinien. Ein wichtiger Ansatzpunkt sei daher, die niedergelassenen Dermatologen, aber auch Hausärzte besser einzubinden, z.B. über Aufklärung, Fortbildungen oder besseres Netzwerken. Dennoch sollten Patienten zumindest ab und zu in den spezialisierten Zentren gesehen werden. Diesbezüglich empfahl Prof. Pföhler, vor allem Angehörige und Vertrauenspersonen „mit ins Boot zu holen“. Helfen könne zudem die Anbindung an einen Psychoonkologen, der sich mit älteren Patienten auskennt.

Quelle: 51. Jahrestagung der DDG (Deutsche Dermatologische Gesellschaft; Online-Veranstaltung)

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