Muskeln im Zaum halten

Dr. Angelika Bischoff

Je mehr und je häufiger Botulinumneurotoxin injiziert wird, desto eher bilden sich neutralisierende Antikörper. Je mehr und je häufiger Botulinumneurotoxin injiziert wird, desto eher bilden sich neutralisierende Antikörper. © Science Photo Library/Pasieka, Alfred

Die Dystonie-Therapie erfolgt in den meisten Fällen symptomatisch und orientiert sich an der betroffenen Region oder dem Verteilungsmuster der Erkrankung. Bei fokalen Dystonien setzt man peripher an, sind viele Muskelgruppen betroffen, fällt die Wahl häufig auf die tiefe Hirnstimulation.

Die einzige kausal behandelbare idiopathische Dystonie ist das autosomal-dominant vererbte Segawa-Syndrom. Ihm liegt eine Mutation zugrunde, die den Dopaminstoffwechsel beeinträchtigt. Die betroffenen Patienten werden durch eine lebenslange Therapie mit einem mit L-Dopa plus Dopadecarboxylaseinhibitor bestenfalls sogar symptomfrei und reagieren häufig schon auf kleine Mengen L-Dopa sehr gut.

Auch manche sekundäre Dystonieform spricht auf L-Dopa an, wenngleich schwächer als das Segawa-Syndrom, schreibt das Team um Professor Dr. Chi Wang Ip von der Neurologischen Klinik am Universitätsklinikum Würzburg in der aktuellen Leitlinie. Deshalb sollte bei allen Dystonien, die im Kindesalter beginnen bzw. begonnen haben, durch eine probatorische Gabe das Ansprechen auf L-Dopa geprüft werden. Über einen Zeitraum von acht Wochen wird einschleichend dosiert, die maximale Tagesdosis beträgt dreimal 200 mg bzw. bei Kindern 10 mg/kgKG. Macht sich eine fokale Dystonie erst im Erwachsenenalter bemerkbar und vermutet man ein Parkinson-Dystonie-Syndrom, kann sich die L-Dopa-Behandlung ebenfalls lohnen.

Therapie der Wahl bei fokalen Dystonien ist die selektive periphere Denervierung der betroffenen Muskelgruppen mittels Botulinumneurotoxin (BoNT). Die Wirkung tritt nach spätestens einer Woche ein, bleibt in maximaler Höhe für etwa vier Wochen bestehen und schwächt sich dann langsam ab. Nach 10–12 Wochen muss die nächste Dosis injiziert werden. Aber: Je größer die Menge und je kürzer die Behandlungsintervalle, desto höher das Risiko, dass sich neutralisierende Antikörper bilden.

Schreibkrampf off label behandeln

Der Effekt von BoNT ließ sich in zahlreichen Studien dokumentie­ren. So sprechen etwa 90 % der Patienten mit Blepharospasmus darauf an. Besonders gut wirkt die kombinierte Behandlung orbitaler und prätarsaler Muskelanteile. Als Nebenwirkungen können transiente Ptosis, Diplopie sowie Augen­tränen auftreten.

Viermal BoNT

Botulinumneurotoxin A: In Deutschland sind derzeit drei verschiedene Substanzen für die Therapie der zervikalen Dystonie und des Blepharospasmus zugelassen:
  • Onabotulinumtoxin,
  • Abobotulinumtoxin und
  • Incobotulinumtoxin.
Botulinumneurotoxin B: Rimabotulinumtoxin ist für die Therapie der zervikalen Dystonie zugelassen. Es sollte jedoch nicht in der Erstbehandlung zum Einsatz kommen, da es häufiger Mundtrockenheit und Dysphagie verursacht als BoNT A. Außerdem besteht ein höheres Risiko, dass der Patient neutralisierende Antikörper entwickelt.

Was Patienten mit spas­modischer Dystonie angeht, gibt es bezüglich BoNT vor allem Evidenz für den Adduktortyp (gepresste Stimme). Eine Besserung wird bei 70–95 % der Behandelten beobachtet. Zu den Nebeneffekten gehören leichte Dysarthrie oder Dysphagie. Auch bei Schreib- und Musikerkrämpfen hilft BoNT, obwohl die Effektstärke aufgrund der im Vergleich zu zervikalen Dystonien deutlich komplexeren Handmotorik häufig zu wünschen übrig lässt. Die Injektion kann mittels EMG, lokaler Elektrostimulation oder Sonographie gesteuert werden. Sie hinterlässt nicht selten eine mehrwöchige Schwäche von Finger- oder Handmotorik. Erst im Januar dieses Jahres hat der Gemeinsame Bundesausschuss BoNT A zur Behandlung aufgabenspezifi­scher fokaler Dystonien trotz Off-Label-Status als verordnungsfähig erklärt. Dies betrifft auch den Schreib- oder Musikerkrampf. Wenn Patienten mit primären fokalen Dystonien nicht auf Botulinumtoxin ansprechen, kann man Tetrabenazin versuchen, bei fokalen Symptomen im Rahmen einer schweren tardiven Dystonie Clozapin oder Olanzapin.

Trihexyphenidyl bei generalisierter Dystonie

Sind größere Muskelpartien betroffen oder handelt es sich um eine segmentale bzw. generalisierte Dystonie, kommen systemische medikamentöse Therapien zum Einsatz. Besonders störende Fokalsymptome können zusätzlich mit BoNT behandelt werden. Bei generalisierten Dystonien hat sich vor allem das Anticholinergikum Trihexyphenidyl als wirksam erwiesen, z.B. bei generalisierter Torsionsdystonie. Generell kommen dafür vor allem jüngere Patienten mit primären schweren generalisierten Dystonien in Betracht. Sekundäre Dystonien im Rahmen einer Zerebralparese gelten nicht als Indikation. Kognitive Nebeneffekte, Harnverhalt und Anstieg von Transaminasen sind mögliche Nebeneffekte, daher sollte man regelmäßig die Leberwerte bestimmen. Anticholinergika dürfen niemals abrupt abgesetzt werden, warnen die Experten, sonst droht ein krisenhafter Rebound. Wenn man mit konservativen Therapien scheitert, kommen für fokale Dystonien chirurgische Interventionen in Betracht. Dabei scheint die tiefe Hirnstimulation der peripheren selektiven Denervierung überlegen zu sein. Gesichert ist die Wirkung der tiefen Hirnstimulation bei primären segmentalen und generalisierten Dystonien sowie zervikalen Dystonien, die unzureichend auf Botulinumtoxin angesprochen haben. Neuerdings gibt es auch Langzeitergebnisse zur tiefen Hirnstimulation bei generalisierter bzw. schwerer segmentaler und zervikaler Dystonie. Man erreicht nach zwölf Monaten bei etwa 50 % der Patienten eine Symptomlinderung und diese hält offenbar unvermindert über einige weitere Jahre an. Offene Studien ermittelten inzwischen einen anhaltenden Effekt über 8–16 Jahre. Die tiefe Hirnstimulation sollte frühzeitig erwogen werden, damit orthopädische Folgeschäden das Therapieergebnis möglichst wenig beeinträchtigen. Die Autoren raten dazu, die Indikation für den Eingriff in einem spezialisierten Zentrum zu prüfen.

Quelle: S1-Leitlinie Dystonie, AWMF-Register-Nr. 030/039, www.awmf.org

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Je mehr und je häufiger Botulinumneurotoxin injiziert wird, desto eher bilden sich neutralisierende Antikörper. Je mehr und je häufiger Botulinumneurotoxin injiziert wird, desto eher bilden sich neutralisierende Antikörper. © Science Photo Library/Pasieka, Alfred