
Wettlauf gegen die Zeit

Etwa eines von 7.000 Kindern hat eine 5q-assoziierte spinale Muskelatrophie (SMA). Die Hälfte von ihnen weist bereits zum Zeitpunkt der Geburt Krankheitszeichen auf oder entwickelt diese innerhalb der ersten drei Lebensmonate. Leitsymptom ist eine generalisierte Muskelhypotonie mit proximal betonter Schwäche vorwiegend an den Beinen. Die Muskeleigenreflexe sind verringert oder fehlen. Diagnostisch wegweisende Zungenzuckungen (Faszikulationen) finden sich nur bei schweren Verläufen. Die Sensibilität bleibt erhalten und die kognitive Entwicklung verläuft normal, schreiben Dr. Burkhard Lawrenz aus Arnsberg und Professor Dr. Georg Hoffmann von der Universität Heidelberg.
Eine Genkopie sorgt für weniger aggressive Verläufe
Die autosomal-rezessiv vererbte Muskelerkrankung wird durch eine Veränderung auf dem langen Arm des Chromosoms 5 verursacht. Betroffen ist ein Gen, das für das Survival-Motoneuron-Protein kodiert (SMN1-Gen). Mehr als 95 % der Patienten weisen eine homozygote Deletion des Exon 7 auf. Anhand des Schweregrades werden fünf Formen der Erkrankung unterschieden.
Verlaufsformen der spinalen Muskelatrophie | |||
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Typ I | akute infantile SMA | Symptome bereits bei der Geburt oder bis zum dritten Lebensmonat, kein freies Sitzen möglich, Tod innerhalb der ersten zwei Lebensjahre (Ateminsuffizienz, Infektionen) | 50 % der Patienten |
Typ II | chronische infantile oder intermediäre SMA | Symptombeginn meist im 1. Lebensjahr, freies Sitzen möglich, Gehen nur mit Hilfe, Lebenserwartung eingeschränkt | 30 % der Patienten |
Typ III | juvenile SMA | leichter Verlauf, eventuell Verlust der Gehfähigkeit im Alter, Lebenserwartung allenfalls gering eingeschränkt | 19 % der Patienten |
Typ IV | adulte SMA | ab dem 4. Lebensjahrzehnt zunehmende Muskelschwäche bei normaler Lebenserwartung | 1 % der Patienten |
Typ 0 | Typ 0 | Ateminsuffizienz bei der Geburt, Überlebenszeit wenige Monate | < 1 % der Patienten |
Ein vollständiges Fehlen des SMN-Proteins führt bereits innerhalb der ersten Lebensmonate zum Tod (Typ 0). Die weniger aggressiven Verläufe sind dadurch zu erklären, dass viele Patienten über Kopien eines weiteren Gens (SMN2) verfügen, das SMN1 sehr ähnlich ist. Die auf diesem Weg synthetisierte Proteinmenge ist zwar nur gering, kann aber den Untergang der Neurone verzögern und so den Verlauf abschwächen.
Für das Neugeborenen-Screening wird auf der Filterkarte eingesandtes Trockenblut genutzt. Bei homozygoten Gesunden und heterozygoten Genträgern lässt sich das Exon 7 des SMN1-Genes mittels Polymerasekettenreaktion amplifizieren. Bei Patienten mit homozygoter Deletion in diesem DNA-Abschnitt gelingt es nicht, ihr Testresultat wird deshalb als SMA-positiv gewertet.
In diesem Fall sollten Eltern und Kinder an ein neuropädiatrisches Zentrum mit Erfahrung in der SMA-Therapie überwiesen werden, wo sie innerhalb weniger Tage einen Beratungstermin erhalten. Dort erfolgen weitere Untersuchungen zur Bestätigung des Gendefekts und zur Einschätzung von Prognose und Therapieindikation.
Zu beachten ist auch, dass knapp 5 % der SMA-Patienten eine Compound-Heterozygotie mit Deletion in einem Exon 7 und Punktmutation des SMN1-Gens im anderen Allel aufweisen. Diese Konstellation wird wegen der erhaltenen Amplifikationsfähigkeit im Neugeborenen-Screening nicht erkannt. Deshalb raten die Autoren bei verdächtigen Symptomen trotz negativen Tests zur genaueren Abklärung.
Auch der Kreatinkinasewert kann in die Irre leiten. Dieser ist bei der spinalen Muskelatrophie, im Gegensatz zu den meisten anderen Muskeldystrophien, überwiegend normal oder nur geringfügig erhöht.
Psychosoziale Unterstützung
Quelle: Lawrenz B, Hoffmann GF. Kinder- und Jugendarzt 2021; 52: 600-604
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