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Neue Endokarditis-Studie erregt Besorgnis – Müssen die Empfehlungen zur Antibiotikaprophylaxe erneut geändert werden?

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Die Endokarditisgefahr lauert sehr häufig beim Zahnarzt: In bis zu 45 % der Fälle der Herzinnenhautentzündung lässt sich Streptococcus viridans aus der Mundhöhle verantwortlich machen. Als Standard-Präventivmaßnahme galt über 50 Jahre lang die prophylaktische Gabe von Antibiotika vor invasiven – v.a. auch zahnärztlichen – Eingriffen. Doch diese Maßnahme war nur schlecht mit Daten belegt, sodass internationale Expertenkomitees vor wenigen Jahren entschieden, sparsamer mit den Antibiotika umzugehen.
Britische Guidelines wählten den radikalsten Kurs
Die britischen NICE-Leitlinien fahren seit 2008 einen strikteren Kurs gegen die Gabe von Keimkillern vor zahnärztlichen Eingriffen als etwa die Leitlinie der europäischen Herzgesellschaft (ESC) oder der American Heart Association (AHA). Während man sich im Vereinten Königreich für die komplette Abkehr von der Endokarditis-Prophylaxe entschied, einigte man sich in den USA und dem übrigen Europa darauf, sie bei Hochrisiko-Patienten (s. Kasten) beizubehalten.
Forscher der britischen Universität Sheffield stellten nun eine Studie vor, die Zweifel an der Richtigkeit zumindest der Strategie des britischen Gesundheitswesens aufkommen lässt. In einer retrospektiven Analyse verglichen sie die Raten der Antibiotikaverschreibungen und die Endokarditis-Inzidenzen in den Jahren vor und nach der Leitlinien-Änderung. Gezählt wurden die üblicherweise vor Dentaleingriffen verordneten Keimkiller (3 g Amoxicillin bzw. 600 mg Clindamycin oral). In den fünf Jahren vor der Leitlinienänderung kam man auf 10 900 pro Monat, die Rezepte waren meist von Zahnärzten ausgestellt. Im Fünfjahreszeitraum danach fiel diese Zahl auf 2236 pro Monat. Dabei ging die Verordnungsrate exponentiell zurück, um im März 2013 mit 1235 einen Tiefstand zu erreichen.
Parallel mit diesem über 90%igen Absturz der Verschreibungszahlen kletterten die Endokarditis-Inzidenzen: 35 zusätzliche Fälle pro Monat zum Zeitpunkt März 2013 – und das bei einer Erkrankung, die zwar insgesamt selten ist, aber mit einer hohen Morbidität und Mortalität einhergeht, betonte Professor Dr. Martin N. Thornhill von der University of Sheffield School of Clinical Dentistry. Zudem stieg die endokarditisassoziierte Mortalität (18 zusätzliche Todesfälle pro Jahr) und die Hospitalisierungsrate (420 zusätzliche Fälle pro Jahr). Natürlich kann man aus diesen Beobachtungsdaten keine Direktiven für die tägliche Praxis ableiten, räumten die Kollegen in ihrem Kommentar zu Studie1 ein. Sie raten, den Anstieg des Endokarditisrisikos ggf. durch weitere Untersuchungen zu verifizieren.
Bleibt in Deutschland?alles wie gehabt?
In den USA hat man im Anschluss an die Leitlinienänderung von 2007 keinen Anstieg der Endokarditisraten verzeichnet. Allerdings waren die Studien klein und umspannten einen wesentlich kürzeren Beobachtungszeitraum. Auch in Großbritannien hatte man die signifikanten Veränderungen nicht nach zwei sondern erst nach fünf Jahren verzeichnen können. Ob der fehlende „Endokarditis-Boom“ in den USA und Europa sich damit erklären lässt, dass dort High-Risk-Patienten nach wie vor ihr Antibiotikum erhalten oder man einfach noch nicht lang genug gezählt hat, lasse sich also derzeit nicht entscheiden.
Bleibt in Deutschland alles wie gehabt?
In den USA hat man im Anschluss an die Leitlinienänderung von 2007 keinen Anstieg der Endokarditisraten verzeichnet. Allerdings waren die Studien klein und umspannten einen wesentlich kürzeren Beobachtungszeitraum. Auch in Großbritannien hatte man die signifikanten Veränderungen nicht nach zwei sondern erst nach fünf Jahren verzeichnen können. Ob der fehlende „Endokarditis-Boom“ in den USA und Europa sich damit erklären lässt, dass dort High-Risk-Patienten nach wie vor ihr Antibiotikum erhalten oder man einfach noch nicht lang genug gezählt hat, lasse sich also derzeit nicht entscheiden.
Da die Daten für neue Leitlinienempfehlungen aktuell nicht genügen, empfahl Prof. Thornhill, das Hauptgewicht auf Endokarditis-Schutz durch Prophylaxe zu legen. Das Zauberwort heißt intensive Mundhygiene: Diese reduziert die Besiedelung des Mundraums mit schädlichen Bakterien und sie senkt zudem den Bedarf an invasiven zahnärztlichen Eingriffen.
Marc J. Dayer et al., Lancet 2014; online first.
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