Patienten mit Clusterkopfschmerz sind oft zwanghaft oder histrionisch

Elisa Sophia Breuer

Im PET wird sichtbar, welche Hirnareale während einer Cluster-Attacke aktiv sind: die sog. Schmerzmatrix und ein Teil des Hypothalamus. Im PET wird sichtbar, welche Hirnareale während einer Cluster-Attacke aktiv sind: die sog. Schmerzmatrix und ein Teil des Hypothalamus. © wikimedia/ Dr. Arne May

Patienten mit Clusterkopfschmerz kann man offenbar schon an ihrem Verhalten erkennen. Und für refraktäre Beschwerden gibt es einige neue Optionen. Eine Neurologin fasst die aktuelle Datenlage zum Bing-Horton-Syndrom zusammen.

Ob der Patient einen Clusterkopfschmerz hat, sehe ich häufig schon, wenn er die Praxis betritt“, berichtete Privatdozentin Dr. Dagny­ Holle-­Lee­, Westdeutsches Kopfschmerzzentrum, Universitätsklinikum Essen. Und zwar an seinem Verhalten. Diese Einschätzung bestätigt nun eine Studie mit einem „sehr ausgewählten Kollektiv“ von 26 stationär behandelten vorwiegend chronischen Clusterpatienten. Alle hatten einen auffälligen Charakter, sie zeigten sich häufig zwanghaft (33 %) oder mit einer narzisstischen (13 %) bzw. histrionisch auffälligen Persönlichkeit (29 %). Offen bleibt jedoch, ob Betroffene vorher schon solche Verhaltenseigenschaften hatten oder sie erst durch die Erkrankung entwickelt haben. Eine schwedische Arbeitsgruppe hat kürzlich eine „Cluster Headache Severity Scale“ entwickelt. Der Score reicht von 3–12 Punkten und basiert auf drei Aspekten (s. Tabelle). „Je chronischer der Patient, desto höher der Wert“, erklärte die Leiterin des Schwindel-Zentrums Essen. Laut der Definiton der Stockholmer Kollegen besteht ab 9 Punkten ein sehr schwerer Clusterkopfschmerz.

So ermitteln Sie den Schweregrad
ItemPunkte
Attacken pro Tag

< 1

1-2

3-5

≥ 6

1

2

3

4

Attackendauer (Minuten)

15-30

31-120

121-180

> 180

1

2

3

4

Dauer der symptomatischen Episode (Monate)

0-2

2-4

4-7

> 7

1

2

3

4

 

Naratriptan zur Prophylaxe bei langen Episoden geeignet

Die Referentin erachtet den Score als gutes, simples und schnell durchführbares Messinstrument. Er ermöglicht, den Krankheitsverlauf zu beurteilen und Patienten miteinander zu vergleichen.

„Bisher hat man sich nicht viele Gedanken zu potenziellen Prodromalsymptomen gemacht“, gab Dr. Holle-Lee zu. „Wir dachten, die Attacken kommen halt, wie sie kommen.“ In einer aktuellen dänischen Untersuchung mit 80 Cluster-Kranken zeigt sich nun: 83 % nehmen Prodromi wahr, im Mittel etwa vier verschiedene. Oft treten 60 Minuten vor der Attacke Stimmungsschwankungen auf, eine halbe Stunde vorher Übelkeit sowie Schlafbedürfnis, 20 Minuten davor Migränesymptome und zehn Minuten zuvor trigeminoautonome Beschwerden, insbesondere Schmerzen. Letztere zählt die Essener Neurologin jedoch schon als Zeichen der Attacke selbst. Sie fordert Kollegen auf, Betroffene auf die Prodromi hinzuweisen, damit sie sich auf die Attacke einstellen können.

Karotisdissektion imitiert Cluster

Dr. Holle-Lee fordert ihre Kollegen auf, bei der Differenzialdiagnose auch an eine Karotisdissektion zu denken. Da meist das distale Segment der extrakraniellen Karotis oder der Übergang zu extra- und intrakraniell betroffen ist, kann die Aufspaltung einen Clusterkopfschmerz imitieren. Insbesondere bei Personen über 40 Jahre oder wenn der Schmerz nicht ins Schema passt, sollte man dies im Hinterkopf haben.

Das langsam anflutende Naratriptan ist bereits aus der Migränebehandlung bekannt. In der Zweitlinie kann man es für die Clusterprophylaxe morgens und/oder abends einsetzen. Cave: Die Anzahl der anderen am Tag eingenommenen Triptane muss begrenzt werden.

Mit Ovulationsauslöser bis zu zwei Monate beschwerdefrei

In einer retrospektiven Untersuchung kam es bei 86 % der Personen, die ausschließlich Naratriptan zur Prophylaxe erhielten, zu einer Besserung. „Für Patienten, die man nicht aus der symptomatischen Episode raus bekommt, stellt es eventuell eine gute Option dar,“ so die Neurologin. Ebenfalls neu zur Diskussion für die Zweitlinie steht der in der Kinderwunschbehandlung genutzte Ovulationsauslöser Clomifen. Das Feedback an den Hypothalamus lässt Östrogen und Antiöstrogene im Blut ansteigen. Bei Männern nimmt auch das Testosteron zu, was protektiv wirken soll.

Ketamin als Resetknopf für den Kopf

Der Hintergrund: Bei männlichen Betroffenen kommt es während der symptomatischen Episode zu einem Testosteron­abfall, der sich nicht über eine Substitution beheben lässt. In einer Studie erzielten alle sieben chronischen und alle acht episodischen Patienten Schmerzfreiheit für bis zu 60 Tage. Durchschnittlich dauerte es 15 Tage, bis die Beschwerden verschwanden. Laut der Referentin ist das Dosierschema jedoch kompliziert. „Die ersten drei Tage 300 mg und dann dosiert man sich runter.“ Für austherapierte Patienten zieht sie es dennoch in Erwägung. Grundsätzlich traten nach der Gabe kaum Nebenwirkungen auf. Als weitere Möglichkeit sieht die Expertin Ketamin an. „Es soll ein Reset des Systems bewirken, das danach wieder hochfährt.“ In Essen haben sie es schon eingesetzt, bei sechs von zehn Patienten erzielte das Anästhetikum einen guten und anhaltenden Effekt. So sind zwei von ihnen mittlerweile ein halbes Jahr beschwerdefrei.

* N-Methyl-D-Aspartat

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Im PET wird sichtbar, welche Hirnareale während einer Cluster-Attacke aktiv sind: die sog. Schmerzmatrix und ein Teil des Hypothalamus. Im PET wird sichtbar, welche Hirnareale während einer Cluster-Attacke aktiv sind: die sog. Schmerzmatrix und ein Teil des Hypothalamus. © wikimedia/ Dr. Arne May
© wikimedia/ Dr. Arne May
© wikimedia/ Dr. Arne May
© wikimedia/ Dr. Arne May