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Sechs Anaphylaxie-Szenarien

Die ersten Maßnahmen bei einem Patienten mit potenziell lebensbedrohlicher anaphylaktischer Reaktion sind, wenn möglich die Allergenexposition zu stoppen, Hilfe anzufordern und die Vitalzeichen nach dem ABCDE-Schema zu prüfen. Sodann gilt es, die Bedrohlichkeit der Symptome einzuschätzen bzw. eine Schweregradeinschätzung (Grad I-IV) vorzunehmen. Sie erfolgt nach den schwersten aufgetretenen Symptomen. Doch Vorsicht, auch bei einer Reaktion vom Schweregrad I lässt sich die weitere Entwicklung und Dynamik der Reaktion nicht vorhersagen. Innerhalb von Minuten kann es zu einer Verstärkung der Symptome bis hin zu Schock und Tod kommen, heißt es in der Leitlinie.
Hierarische Therapie je nach Symptom-Gefährlichkeit
Das führende Symptom bestimmt die Lagerung des Betroffenen und das weitere Vorgehen. Generell empfiehlt es sich, den Patienten flach zu lagern, dabei aber abrupte Positionsveränderungen und körperliche Anstrengung zu vermeiden. Bei eingeschränktem Bewusstsein und intaktem Kreislauf heißt es: stabile Seitenlage und Atemfunktion überwachen. Die hämodynamische Situation lässt sich dagegen in der Trendelenburg-Lagerung verbessern. Dominiert Atemnot, empfehlen die Leitlinienautoren eine (halb-)sitzende Position.
Anaphylaxie mit Herz-Kreislauf-Versagen (Grad IV)
Haben Herz und Kreislauf die Arbeit eingestellt, steht die kardiopulmonale Reanimation außer Frage. Bei Erwachsenen wechseln Thoraxkompressionen und Beatmung im Verhältnis 30:2, Kinder erhalten fünf initiale Beatmungen, gefolgt von 15 Kompressionen und jeweils zwei Beatmungen. Defibrilliert wird nur bei Kammerflimmern.
Bis der Spontankreislauf wiederhergestellt ist, erhält der Patient alle 3–5 Minuten Adrenalin (1 mg bei Erwachsenen bzw. 0,01 mg/kgKG) intravenös oder intraossär. Um die Sauerstoffversorgung zu sichern, reicht in der Regel zunächst eine Beutel-Maskenbeatmung mit Reservoir und reinem Sauerstoff aus. Komplikationen können die Verwendung einer Larynxmaske, eines Larynxtubus oder bei Kleinkindern einen Rachentubus erforderlich machen. Zudem sollte der durch Vasodilatation und Kapillarleck entstandene Volumenmangel mittels forcierter Volumensubstitution ausgeglichen werden.
Vorboten einer Anaphylaxie
- Juckreiz oder Brennen an Handinnenflächen, Fußsohlen oder im Genitalbereich
- metallischer Geschmack
- Angstgefühle
- Kopfschmerzen
- Desorientierung
- bei Kleinkindern: Unruhe oder Rückzugsverhalten
Anaphylaxie mit führender Herz-Kreislauf-Reaktion (Grad II/III)
Nicht-reanimationspflichtige Patienten erhalten bei einer überwiegenden Herz-Kreislaufreaktion mit Hypotonie, Schock oder Bewusstseinsverlust direkt Adrenalin in die Außenseite des Oberschenkelmuskels. Eine subkutane Gabe wird aufgrund der geringeren Resorption und der verzögerten Wirkung in der Leitlinie nicht mehr empfohlen und intravenöses Adrenalin birgt ein höheres Risiko für kardiale Nebenwirkungen. Das gilt insbesondere für Patienten mit KHK, bei denen aufgrund der potenziell arrhythmogenen Wirkung die Indikation der Adrenalingabe (v.a. intravenös) enger gestellt werden sollte. Befindet sich der Patient in akuter Lebensgefahr, ist Adrenalin aber nie absolut kontraindiziert, heißt es in der Leitlinie. Bleibt das Ansprechen aus, kann die Injektion alle fünf bis zehn Minuten wiederholt werden.Sauerstoffgabe und Kontrolle der Atemwege
Neben Adrenalin sollte der Patient zusätzlich Sauerstoff erhalten. Das Ziel besteht in einer Anreicherung des inspiratorischen Sauerstoffanteils auf > 0,5, am besten via Atemmaske. Bewusstseinsstörungen machen zusätzlich die ständige Kontrolle der Atemwege erforderlich. Eine einsatzbereite Absaugeinheit hilft, z.B. Erbrochenes direkt zu entfernen. Im nächsten Schritt wird ein großlumiger intravenöser (ggf. intraossärer) Zugang gelegt und eine forcierte Volumensubstitution mit einer kristalloiden Infusionslösung als Volumenbolus eingeleitet. Erwachsene erhalten 500–1.000 ml, Kinder 20 ml/kgKG. Im Falle eines persistierenden oder bedrohlichen Schockzustandes ist die fraktionierte Gabe von Adrenalin bzw. eine Infusion indiziert. Haben sich die Vitalfunktionen stabilisiert, können hochdosierte Antihistaminika oder Glukokortikoide intramuskulär verabreicht werden. Blutdruck und Puls darf man bei diesen Patienten aber vorerst nicht aus den Augen lassen. Die Gabe von zusätzlichen sympathomimetischen Wirkstoffen, empfehlen die Autoren der Leitlinie nur im Falle, dass eine notfallmedizinische Ausbildung vorhanden ist.ABCDE-Schema
- Airway (Atemwege): Sind Schwellungen und Veränderungen der Stimme/Sprache vorhanden?
- Breathing (Atmung): Wie sieht es mit der Atmung aus? Optional kann eine Auskultation und/oder Pulsoximetrie erfolgen.
- Circulation (Kreislauf): Verhalten sich Rekapillarisierungszeit, Puls und Blutdruck normal?
- Disability (Behinderung): Ist der Patient bei Bewusstsein? Gibt es Auffälligkeiten beim Blutzucker?
- Exposure (Belastung): Zeigt der Patient eine kutane Reaktion? Inspiziert werden sollten die leicht einsehbaren Hautareale sowie die Schleimhäute. Liegen weitere Beschwerden vor, z.B. Übelkeit, Brechreiz, Kopfschmerzen, thorakales Druckgefühl, Sehstörung, Pruritus?
Anaphylaxie mit führender Obstruktion der oberen Atemwege (Grad II/III)
Auch bei einer Obstruktion der oberen Atemwege besteht der erste Schritt darin, Adrenalin i.m. und Sauerstoff zu geben. Hat der Patient z.B. ein Larynxödem oder einen Bronchospasmus, besteht eine Indikation auch für inhalatives Adrenalin. Bei unzureichendem Ansprechen erfolgt die weitere Behandlung nach dem Algorithmus der S1-Leitlinie zum prähospitalen Atemwegsmanagement u.a. mit Maskenbeatmung, Intubation oder gegebenenfalls einer Koniotomie (nicht bei Kindern!).Anaphylaxie mit führender Obstruktion der unteren Atemwege (Grad II/III)
Bei einer bronchialen Obstruktion kommen neben Adrenalin (i.m.) kurz wirksame inhalative Beta-2-Sympathomimetika (z.B. Salbutamol, Terbutalin) zum Einsatz. Dabei ist es wichtig, Patienten die Anwendung über entsprechende Devices bzw. Geräte (Spacer, elektrische Vernebler) so einfach wie möglich zu machen. Für eine Therapieeskalation eignet sich die repetitive Gabe von Adrenalin (je nach Situation auch i.v.) oder die Injektion von Terbutalin (s. c.) bzw. Reproterol (i. v.). Entwickelt der Patient einen Status asthmaticus mit muskulärer Erschöpfung kommt man eventuell um eine Narkose mit Esketamin und Midazolam plus Beatmung nicht herum.Gefahrenquellen in der Praxis
- Allergenlösungen bei Allergenimmuntherapien (Notfallmedikamente bereithalten, bei Verdacht einen intravenösenZugang legen)
- Naturlatex
- Lokalanästhetika
- ambulant gegebene Medikamente (Antibiotika, Zyklooxygenase-Inhibitoren, Kontrastmittel, Impfstoffe, i.v.-Eisen)
Anaphylaxie mit führender gastrointestinaler Beteiligung (Grad II)
Das Vorgehen entspricht zunächst dem bei einer Anaphylaxie mit dominierender Hautbeteiligung. Bleiben vorhandene gastrointestinale Symptome, meist Übelkeit, Brechreiz, Abdominalkoliken unter einer systemische Therapie bestehen, erhalten sie einen eigenständigen Krankheitswert. Empfohlen werden für solche Fälle Antiemetika (z.B. Metoclopramid), Antihistaminika wie Dimenhydrinat oder Serotonin-(5-HT3)-Antagonisten wie Ondansetron. Abdominalkrämpfen lässt sich über Muskarinrezeptorantagonisten entgegensteuern.Anaphylaxie mit systemisch vermittelter, generalisierter Hautmanifestation und subjektiven Symptomen (Grad I)
Der Patient erhält einen intravenösen Zugang, der mittels Infusion einer kristalloiden Lösung (z.B. balancierte Vollelektrolytlösung) offen gehalten wird. Antiallergika wie Dimetinden sowie Glukokortikoide kommen in den üblichen Dosen zum Einsatz. Patienten mit schwerer Anaphylaxie oder einer Reaktion, die sich nicht eindeutig einordnen lässt, müssen zur Überwachung stationär aufgenommen werden. Wurde die Reaktion erfolgreich behandelt – dabei unbedingt auf die sorgfältige Dokumentation achten –, können die Betroffenen nach einer ausführlichen Aufklärung, mit einem Rezept für ein Notfallset und ggf. dem Termin oder der Überweisung zur Allergiediagnostik nach Hause.Quelle: S2k-Leitlinie zu Akuttherapie und Management der Anaphylaxie – Update 2021; AWMF-Register-Nr.: 061-025, www.awmf.org
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