Suizidmeldungen in den Medien beeinflussen Zahl der nachfolgenden Selbsttötungen

Dr. Elke Ruchalla

Unüberlegte Berichterstattungen können mehr anrichten, als man glaubt. Unüberlegte Berichterstattungen können mehr anrichten, als man glaubt. © iStock.com/Ravi_Goel

Geht es in Zeitungen oder Onlineportalen um Suizide, kommt es auf die Art der Berichterstattung an. Während manche Merkmale die Raten von Nachfolgetaten nach oben treiben, machen andere potenzielle Selbsttöter für Hilfsangebote empfänglich.

Die Arbeitsgruppe um Dr. Mark Sinyor von der Abteilung für Psychiatrie der University of Toronto hat für den Zeitraum von 2011 bis 2014 mehrere Tausend Medienberichte über Suizide im Großraum Toronto ausgewertet. Zugleich ermittelte sie die Zahl der Suizide in der Woche, die auf die Veröffentlichungen folgte. Diesen Wert verglich sie dann mit demjenigen aus einem Kontrollzeitraum vor der Publikation (14. bis 8. Tag vor Erscheinen des Medienberichts).

Schließlich fahndete sie nach Merkmalen in den Beiträgen, die mit einer höheren Zahl bzw. einer geringeren Zahl an Suiziden verknüpft waren. Das Team bezog zwölf kanadische Publikationen – Zeitungen, Webauftritte und eine Zeitschrift – sowie eine US-Tageszeitung in seine Beobachtungsstudie ein.

Aus 947 Suiziden wurden über 6000 Medienberichte

Insgesamt kam es in den vier Jahren zu 947 Selbsttötungen, die das Hauptthema von 6367 Medienberichten darstellten. Als besonders gefährlich erwiesen sich Meldungen, die eine scheinbare Unausweichlichkeit des Suizids beschrieben: In der jeweiligen Folgewoche war die Suizidrate nahezu doppelt so hoch wie die der Kontrollwoche – ein Zusammenhang, der in Anlehnung an Goethes tragischen Helden als Werther-Effekt bekannt ist.

Auch Berichte über Selbsttötungen durch Ersticken mit Plastiktüten oder Heliumgas, durch den Sprung von hohen Gebäuden sowie durch Schusswaffen waren mit einer erhöhten Anzahl von Selbsttötungen verbunden. Ähnliches galt für Meldungen über Suizidpakte, den Freitod älterer Menschen oder von Prominenten sowie Berichte, die die Todesart in der Schlagzeile erwähnten. Gewisse Aspekte der Berichterstattung vermochten die Zahl der Suizide aber auch zu verrringern (siehe Kasten).

Papageno rettet Leben

Nach Meldungen, in denen die Toten in einem negativen Licht dargestellt wurden, halbierten sich die Fallzahlen nahezu – ein Umstand, der als Papageno- Effekt bezeichnet wird. Auch die Erwähnung bestimmter Praktiken wirkte offenbar abschreckend, etwa Schienensuizide, Selbstmorde durch Erstechen oder durch Öffnen der Arterien. Durch Berichte über „erweiterte Selbstmorde“, öffentlich zugängliche Hilfsangebote und Suizide junger Menschen senkte sich die Rate ebenfalls.

Zeitungs- und Internetartikel und die Form der Berichterstattung können die Suizidrate also wesentlich beeinflussen. Das sollten sich Journalisten, Redaktionen und Verlage bewusst machen und vor einer Veröffentlichung die Auswirkungen bedenken. Auch Ärzte, so der abschließende Appell der Autoren, müssen sich über solche Zusammenhänge im Klaren sein und bei Gesprächen mit gefährdeten Patienten beachten. Dr. Ian Colman von der School of Epidemiology and Public Health der Universität Ottawa weist in seinem Kommentar auf einen weiteren Aspekt hin: Nicht einmal ein Fünftel aller Berichte ging auf mögliche Alternativen zum Suizid ein und nicht einmal 2 % gaben Hinweise auf Hilfsangbote. Für ihn ist die Frage nach schädlichen Einflüssen von Suizidmeldungen eindeutig mit „Ja“ beantwortet, ebenso die Notwendigkeit entsprechender Richtlinen für Journalisten und Verleger. Zwar hätten Medienmacher die Pflicht zur Information der Öffentlichkeit – sie hätten aber auch die Möglichkeit, positive Veränderungen zu bewirken. Eine verantwortungsbewusste Berichterstattung sollte Suizidgefährdete ermutigen, über ihre Nöte zu sprechen und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Darüber hinaus kann sie eine öffentliche Diskussion über psychische Erkrankungen und das immer noch mit ihnen verbundene Stigma anstoßen.

1. Sinyor M et al. CMAJ 2018; 190: E900-E907
2. Colman I. A.a.O.: E898-E899

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Unüberlegte Berichterstattungen können mehr anrichten, als man glaubt. Unüberlegte Berichterstattungen können mehr anrichten, als man glaubt. © iStock.com/Ravi_Goel