Systemische Mastozytose als Auslöser einer Synkope?

Kathrin Strobel

Die gesundheitsschädliche Anhäufung von Mastzellen zeigt sich anhand vieler verschiedener Symptome. Die gesundheitsschädliche Anhäufung von Mastzellen zeigt sich anhand vieler verschiedener Symptome. © 7activestudio – stock.adobe.com

Synkope, Flush und gastrointestinale Beschwerden – welcher Arzt übernimmt? Manchmal muss der Hämatologe ran, denn hinter diesen Symptomen kann eine übermäßige Vermehrung von Mastzellen stecken.

Ein 30-jähriger Mann wird nicht ansprechbar in seinem Auto gefunden. Der Rettungsdienst geht von einem epileptischen Anfall aus. Die Herzfrequenz ist normal, der Patient hat kein Fieber. Sauerstoffsättigung und Blutzuckerspiegel liegen in der Norm, ins Auge fallen nur nicht wegdrückbare Effloreszenzen an der Haut. Im Krankenhaus klart der Patient auf, MRT und Liquor­diagnostik ergeben nichts Auffälliges. Aufgrund eines irritativen Herdbefunds im EEG stellen die Ärzte aber die Verdachtsdiagnose einer Temporallappenepilepsie und verordnen Antiepileptika.

Monate später stellt sich der Mann erneut vor – dieses Mal beim Hämatologen. Denn seine Mutter vermutet nach einer Internetrecherche, dass ihr Sohn eine Mastozytose hat. Er berichtet, in den vergangenen Jahren wiederholt an Hitzewallungen, Hautrötung und -kribbeln, Unwohlsein, Dyspnoe, Herzrasen, Übelkeit und Bauchschmerzen gelitten zu haben. Seit der Jugend bestünden zudem disseminierte ovaläre rotbraune Hautveränderungen, v.a. am Rücken. Der Kollege macht den Darier-Test. Und tatsächlich: Durch kurzes Reiben der Haut schwillt sie an und rötet sich.

Die Bestimmung der basalen Serum-Tryptase erhärtet den Verdacht des Patienten, sie liegt mit 52 µg/l deutlich über der Norm. Der Ultraschall offenbart eine mäßige Splenomegalie, die Knochendichtemessung eine Osteopenie der LWS. Haut- und Knochenmarksbiopsie sowie Durchflusszytometrie und molekularpathologische Untersuchungen sichern schließlich die Diagnose einer indolenten systemischen Mastozytose.

Mechanische Reizung führt zu urtikarieller Rötung

Die meist durch eine Punktmutation bedingte Erkrankung manifestiert sich mit einer klonalen neoplastischen Proliferation abnormer Mastzellen, die sich in der Haut (kutane Form) oder seltener in anderen Organen (systemische Variante) ansammeln, erklären Dr. Sophie­ Reinhart­ von der Medizinischen Onkologie und Hämatologie am Kantonsspital Winterthur und Kollegen.

Diagnose der systemischen Mastozytose

Eine systemische Mastozytose liegt vor, wenn entweder ein Haupt- und ein Nebenkriterium oder drei der vier Nebenkriterien erfüllt sind: Hauptkriterium:
  • Nachweis von mindestens 15 zusammenliegenden Mastzellen im Knochenmark und/oder anderen extrakutanen Organen.
Nebenkriterien:
  • > 25 % unreife oder atypische Mastzellen im Knochenmarkausstrich oder in anderen extrakutanen Organen
  • KIT-Punktmutation im Codon 816 in Mastzellen aus dem Knochenmark, dem Blut oder anderen extrakutanen Organen
  • Mastzellen aus Knochenmark, Blut oder anderen extrakutanen Organen exprimieren neben den normalen Mastzellmarkern CD25 mit oder ohne CD2
  • Tryptase im Serum persistierend > 20 µg/l

Für die Diagnose müssen mehrere Kriterien erfüllt sein (s. Kasten oben). Wie bei dem Patienten im Beispiel treten zudem typischerweise kleinfleckige makulopapulöse hyperpigmentierte Hautveränderungen auf. Bei mechanischer Reizung kommt es zur urtikariellen Rötung. Allerdings gibt es auch Fälle ohne einen solchen auffälligen Hautbefund, erklären die Autoren. Als mögliche Trigger einer Mastzelldegranulation gelten u.a.:
  • Stiche von Hautflüglern (Bienen, Wespen, Hummeln)
  • plötzliche Temperaturwechsel
  • Infekte
  • emotionaler Stress
  • körperliche Anstrengung
  • Lebensmittel wie Käse, Schokolade, Alkohol
  • Medikamente (z.B. Opiate, NSAR, Kontrastmittel)
Durch die ausgeschütteten Mediatoren kann es u.a. zu Pruritus, Flush, Urtikaria, gastrointestinalen Symptomen, Herzrhythmusstörungen, neurologischen Auffälligkeiten und schweren anaphylaktischen Reaktionen kommen.

Differenzialblutbild und Serum-Tryptase kontrollieren

Eine kurative Therapie der Masto­zytose gibt es bislang nicht. Patienten mit einer indolenten systemischen Variante haben aber eine normale Lebenserwartung. Wichtig ist, bekannte Trigger zu vermeiden. Aufgrund der erhöhten Gefahr einer anaphylaktischen Reaktion – besonders nach Insektensti­chen – sollten Patienten ein Notfallset mit Antihistaminikum, Glukokortikoid und Adrenalin-Autoinjektor mit sich führen. Vor operativen oder zahnärztlichen Eingriffen gilt besondere Vorsicht. Die tägliche Einnahme eines nicht sedierenden H1-Blockers kann vorbeugend wirken, bei Magen-Darm-Beschwerden kommen zusätzlich H2-Blocker infrage. Treten häufg anaphylaktische Reaktionen auf, empfehlen die Autoren Glukokortikoide wie Budesonid. Aggressive Formen der Erkrankung erfordern eine zytoreduktive Therapie. Bei langsam fortschreitendem Verlauf können als Erstlinientherapie Interferon-α oder das Desoxyadenosin-Analogon Cladribin eingesetzt werden, bei schnell progredientem gegebenenfalls Cladribin oder der Tyrosinkinaseinhibitor Midostaurin. Auch Kombinations­chemotherapien mit allogener hämatopoietischer Stammzelltransplantation werden diskutiert. Im Rahmen der regelmäßigen klinischen Kontrollen sollte man die Serum-Tryptase und das Differenzialblutbild bestimmen, empfehlen die Autoren.

Quelle: Reinhart S et al. Swiss Med Forum 2019; 19: 507-511; DOI: https://doi.org/10.4414/smf.2019.08324

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