Übergebrauchskopfschmerzen: Primär auf Beratung und Schulung setzen

Dr. Anja Braunwarth

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Die erste Kopfschmerztablette hat schon wieder nicht geholfen, also schnell noch eine nachschieben. Viele Patienten mit häufigen Attacken wissen nicht, dass sie damit ihr Problem verschärfen. Was bei Übergebrauchskopfschmerz zu tun ist, erklärt die neue S1-Leitlinie.

Deutschlandweit nimmt rund die Hälfte aller chronischen Kopfschmerzpatienten mehr als die empfohlenen Medikamentendosen ein. 0,7–1 % der Bevölkerung weisen einen Medication Overuse Headache (MOH) auf. Für den Neurologen Professor Dr. Hans-Christoph Diener, Essen, und weitere Experten Grund genug, Ärzten eine Behandlungsleitlinie an die Seite zu stellen.

Summation verschiedener Substanzen problematisch

Mit chronischen Kopfschmerzen durch Übergebrauch von Schmerz- und Migränemitteln haben es Kollegen immer dann zu tun, wenn:

  • die Schmerzen an mindestens 15 Tagen im Monat bestehen und
  • der Übergebrauch länger als drei Monate andauert. Patienten nehmen dabei entweder
  • einfache Analgetika an ≥ 15 Tagen pro Monat oder
  • Kombipräparate bzw. spezifische Mittel wie Triptane, Mutterkorn­alkaloide oder Opioide an ≥ 10 Tagen pro Monat ein.

Die Kriterien sind auch dann erfüllt, wenn sich verschiedene Substanzen in normaler Dosierung zu einem Übergebrauch summieren. Cave: Weil der MOH als sekundärer Kopfschmerz definiert wird, muss neben der MOH-Diagnose immer die Diagnose eines primären bzw. sekundären Kopfschmerzleidens gestellt werden.

Ob der ständige Brummschädel tatsächlich vom Substanzgebrauch herrührt, erkennt man laut den Autoren daran, dass die Beschwerden nachlassen, sobald die Medikamente reduziert werden. Andere Ursachen kommen in Betracht, wenn kein episodischer Kopfschmerz vorausging, chronische Kopfschmerzen bei über 60-Jährigen neu entstehen oder fokal-neurologische bzw. neuropsychologische Auffälligkeiten vorliegen. Bei Frauen mit Übergewicht oder Beschwerdepersistenz trotz Medikamentenpause könnte eine idiopathische intrakranielle Hypertension dahinterstecken. Sie lässt sich durch MRT plus Liquorpunktion und Messung des Liquordrucks aufdecken.

Fördernde Faktoren

  • primäre Kopfschmerzen (Migräne, Spannungskopfschmerzen)
  • weibliches Geschlecht
  • > 10 Kopfschmerztage pro Monat
  • niedriger sozialer Status n andere chronische Schmerzerkrankungen
  • Stress
  • körperliche Inaktivität
  • Übergewicht
  • Rauchen
  • abhängiges Verhalten
  • andere psychiatrische Erkrankungen wie Depression oder Angsterkrankungen

Schmerzcharakteristik wie beim primären Kopfschmerz

Unter Triptanen, Kombinations­analgetika und Opioiden entwickelt sich der Übergebrauchskopfschmerz besonders schnell, wobei die größte Gefahr bei Einnahme von Opio­iden besteht. Die Charakteristik der Schmerzen hängt vom primären Kopfschmerz ab. Zum Beispiel klagen Migränepatienten, die zu oft Triptane schlucken, symptomähnliche tägliche Kopfschmerzen. Mehrere Studien haben gezeigt, dass bei einem Teil der Patienten Beratung und Schulung ausreichen, um den Tablettenkonsum wieder einzudämmen. Das gilt besonders dann, wenn sie nur einfache Analgetika oder Triptane einnehmen und keine schweren psychiatrischen Begleiterkrankungen aufweisen. Wer zu viele Opioide nutzt oder nach erfolgreicher Therapie rückfällig wurde, sollte in einem spezialsierten Zentrum behandelt werden. Unter Umständen wird eine stationäre multimodale Therapie notwendig.

Triptane und Analgetika kann man abrupt absetzen

Das allgemeine Vorgehen in der Therapie von Übergebrauchskopfschmerzen folgt in der Regel drei Schritten. Kommen Ärzte mit Beratung und Schulung nicht weiter, raten die Autoren zu einer medikamentösen Prophylaxe. Für Topiramat, Amitriptylin und Onabotulinumtoxin A liegen in dieser Indikation Wirksamkeitsnachweise vor. Liegt dem MOH ein Spannungskopfschmerz zugrunde, erfolgt die Prophylaxe mit Amitriptylin. Nicht-medikamentöse Maßnahmen wie Entspannungsverfahren, Ausdauersport, kognitive Verhaltenstherapie oder Biofeedback ergänzen die Behandlung im besten Falle. Führt all das nicht zum erwünschten Erfolg, kann man in einem dritten Schritt versuchen, die Medikamente zu pausieren. Triptane oder Analgetika darf man abrupt absetzen. Opioide, Barbiturate sowie Tranquilizer sollten ausgeschlichen werden, was in der Regel einen stationären Aufenthalt erforderlich macht, insbesondere bei psychisch Komorbiden. Mögliche Entzugserscheinungen wie Verschlechterung der Beschwerden, Angst- oder Schlafstörungen lassen sich mit Flüssigkeitsersatz, Antiemetika und intermittierender zurückhaltender Analgesie (Acetylsalicylsäure i.v.) eindämmen (Expertenkonsens). Die Entzugssymptome dauern etwa 2–7 Tage an, am kürzesten nach Übergebrauch von Triptanen, am längsten nach „Abusus“ von Mutterkornalkaloiden und Opioiden.

Mindestens jeder Vierte wird rückfällig

Die Rückfallraten nach erfolgreicher Therapie schwanken in den meisten Studien zwischen 25 und 35 %, meistens passiert das im ersten Jahr. Chronische Spannnungskopfschmerzen prädestinieren eher dazu als Migräne. Außerdem erhöhen der Übergebrauch von Triptanen, psych­iatrische Begleiterkrankungen und niedriger sozioökonomischer Status die Gefahr. Um den Rückfall zu verhindern, scheinen sich intensive Beratung und Motivation besonders auszuzahlen. Patienten mit hohem Risiko sollten besonders intensiv nachbetreut werden. 

Quelle: Leitlinie Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln [Medication Overuse Headache = MOH], AWMF-Registernummer: 030/131, www.awmf.org

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