Kopfschmerz trotz oder wegen der Medikamente?

Dr. Susanne Gallus

Vorsicht ist geboten! Eine erneute Migräne kann auch von einem übermäßigen Medikamentengebrauch herrühren. Vorsicht ist geboten! Eine erneute Migräne kann auch von einem übermäßigen Medikamentengebrauch herrühren. © fotolia/Antonioguillem

Migräne oder Übergebrauchskopfschmerz? Das ist bei chronischen Cephal­gien die entscheidende Frage. Bestätigt sich erstere Form, heißt es wie so oft in der Schmerztherapie: multimodal vorgehen.

Migräne entsteht durch eine neurogene Entzündung, basierend auf einer genetischen Prädisposition und vermutlich einer Fehlfunktion des deszendierenden schmerzhemmenden Systems. Gemäß der International Headache Society wird der Zustand chronisch, wenn

  • es in der Vorgeschichte eine episodische Migräne gibt
  • an mindestens 15 Tagen innerhalb der letzten drei Monate Kopfschmerzen auftraten
  • die Beschwerden an mehr als der Hälfte dieser Tage migräne­typisch waren

Dr. Eberhard Lux vom Regionalen Schmerzzentrum der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin Lünen und Kollegin empfehlen, sich bei der Diagnose ergänzend zum Schmerzprotokoll über die Vorgeschichte des Patienten (inkl. Familienanamnese) zu erkundigen. So erhalten Sie Informationen über genetische Veranlagung, psychiatrische Komorbiditäten und Risikofaktoren (Übergewicht, erlittene Schäden des Gehirngewebes, traumatische Erlebnisse), die evtl. schon auf eine Migräne hinweisen.

Die Angst vor der nächsten Attacke belastet die Patienten enorm und darf deswegen nicht unterschätzt werden. Der alltägliche Umgang mit Analgetika birgt das zusätzliche Risiko, Symptome durch übermäßig eingenommene Mittel selbst zu verursachen (Übergebrauchskopfschmerz). Er liegt vor, wenn an mehr als 15 Tagen pro Monat seit einem Vierteljahr trotz Einnahme der Medikamente Schmerzen bestehen oder sich verschlechtert haben.

Eine Entzugsbehandlung bei Übergebrauchskopfschmerz ist nicht obligatorisch, dennoch brauchen die Betroffenen in vielen Fällen, z.B. bei Depressionen, Angst-, Persönlichkeitsstörungen oder positiver Suchtanamese, ein therapeutisches Gesamtkonzept. Dem Patienten gegenüber sollte man aus psychologischen Gründen von einer „Medikamentenpause“ statt eines „Entzugs“ sprechen.

Zur Therapie der akuten Migräne gehört neben Reizabschirmung und körperlicher Schonung die Medikation mit Analgetika oder frei verkäuflichen Triptanen. Eine langfristige Einnahme über 15 (Monoalgetika) bzw. 10 (Triptan) Tage in Folge sollte aber vermieden werden. Von Opioiden raten die Experten aufgrund der fehlenden Wirksamkeit generell ab. Sind die Anfälle sehr stark, lang oder oft und beeinträchtigen sie den Alltag, besteht die Indikation zur Prophylaxe. Hierfür eignen sich u.a. Betablocker, Kalziumantagonisten oder Antiepileptika (siehe Tabelle). In Studien zeigte Topiramat mit einer Zieldosis von 2 x 50mg (oral) die besten Resultate.

Substanzen zur Migräneprophylaxe
WirkstoffDosisNebenwirkungenKontraindikationen
gute Evidenz
Topiramat25–100 mg Müdigkeit, Gewichtszunahme  Niereninsuffizienz, Engwinkelglaukom 
Flunarizin 5–10 mgSchwangerschaft, Stillzeit, Depression
Metoprolol 50–200 mgMüdigkeit, arterielle Hypotonie, Impotenz
AV-Block, Bradykardie, Diabetes
Bisoprolol5–10 mg
Valproinsäure 500–600 mg Müdigkeit, Gewichtszunahme, Schwindel, TremorLeberfunktionsstörungen
schwache Evidenz
Amitriptylin50–150 mgMüdigkeit, Mundtrockenheit, Schwindel, SchwitzenEngwinkelglaukom, Prostataadenom
Venlafaxin (off label) 75–150 mg Müdigkeit, Konzentrationsstörungen  Hypertonie
Gabapentin (off label) bis 2400 mgMüdigkeit, SchwindelLeber-/Nierenfunktionsstörung 
Magnesium 2 x 300 mg Durchfall keine
Vitamin B2 400 mgUrin-Gelbfärbungkeine

 

Onabotulinumtoxin A in 31 definierte Stellen spritzen

Die chronische Migräne geht oft mit psychiatrischen Komorbiditäten einher. Deshalb hat die multimodale Behandlung große Bedeutung. Sie setzt sich aus gründlicher Edukation, medikamentöser Akuttherapie und Prophylaxe, ergänzt durch psycho-/physiotherapeutische Maßnahmen und ggfs. psychiatrische Behandlung, zusammen. Verhaltenstherapie, Entspannungsverfahren und Sport helfen ebenfalls oft weiter. Zur Akupunktur existieren viele Einzeluntersuchungen, für evidenzbasierte Aussagen reichen sie aber nicht aus.

Wenn gängige Prophylaxen den Zustand nicht verbessern konnten oder seitens des Patienten eine Unverträglichkeit besteht, empfehlen die Kollegen auf Onabotulinumtoxin A auszuweichen. Gemäß deutscher Zulassung verteilt sich die Behandlung mit dem Nervengift (155 I.E.) auf 31 definierte Injektionsorte an Stirn, Schläfe, Nacken und Schulter. Der Wirkstoff eignet sich auch in einigen Fällen von Übergebrauchskopfschmerzen.

Die Injektionstherapie zeigte bisher nur geringe Nebenwirkungen, trotzdem sollte man sie nicht leichtfertig verordnen, mahnen die Autoren. Zu den möglichen Nebenwirkungen zählen Nacken- und Muskelschmerzen oder Infektionen und passagere Gesichtslähmungen durch die Injektion.

Antikörper in der Pipeline

In den nächsten Monaten ist mit den neuen prophylaktischen Wirkstoffen Erenumab und Fremanezumab zu rechnen. Beides sind Antikörper, die auf CGRP* als zentralen Punkt in der Entstehung des Migräneschmerzes abzielen. Erste Studien ergaben, dass bei vierteljährlicher Fremanezumab-Injektion die Anzahl der Migränetage gegenüber der Placebobehandlung um 2,5 Tage mehr zurückging und bei episodischer Migräne die Anzahl der Attacken um 41,6 % abnahm. Erenumab schnitt ähnlich erfolgreich ab (Rückgang um 2,4 Tage mehr). Bei 40 % der Patienten ließ sich durch die Behandlung die Häufigkeit der Attacken auf die Hälfte reduzieren. Zwei weitere Wirkstoffe (Eptinezumab, Galcanezumab) befinden sich derzeit in der klinischen Testphase.

* Calcitonin Gene-Related Peptide

Inzwischen übernehmen sogar die gesetzlichen Kassen die Behandlung, jedoch nur, wenn der Patient andere geeignete Migräneprophylaxen nachweislich nicht vertrug oder eine Wirkung ausblieb. Die Therapie sollte abgebrochen werden, wenn nach dreimaliger Injektion im Abstand von zwölf Wochen keine Verbesserung eintritt.

Quelle: Lux EA, Gendolla A. Schmerzmedizin 2018; 34: 22-27

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