Unkritische Messung von Borrelienantikörpern führt zu Über- und Fehldiagnosen

Dr. Anna-Lena Krause / Dr. Anja Braunwarth

Ob das ein Erythema migrans ist? Die Serologie wird Ihnen die Frage in diesem Stadium nicht beantworten. Ob das ein Erythema migrans ist? Die Serologie wird Ihnen die Frage in diesem Stadium nicht beantworten. © iStock.com/HeikeKampe

Beim geringsten Verdacht auf eine Borreliose gleich mal Blut abnehmen: leider ein weit verbreitetes Vorgehen. Dabei kann man sich die Serologie in 60–70 % der Fälle sparen.

Überall macht die Borreliose aktuell ihre Schlagzeilen. Als Mediziner sollte man sich aber zunächst mal an die Basis der ärztlichen Kunst halten, erinnerte Prof. Dr. Frank Erbguth­, Universitätsklinik für Neurologie, Klinikum Nürnberg, Paracelsus Medizinische Privatuniversität. Im Klartext: Man startet mit Anamnese und Klinik und entscheidet dann, ob eine Serologie nötig ist.

Bei typischen, objektivierbaren Symptomen wie Paresen oder der Mon- bzw. Oligoarthritis kann sie tatsächlich helfen, die Ursache zu finden. „Im Falle von schwer fassbaren, meist subjektiven Symptomen wie Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, chronischer Fatigue oder diffusen Schmerzen dagegen sollten Sie nicht in die Serologiefalle tappen“, mahnte der Neurologe und Psychologe. Denn die Antikörpermessung bietet nur eine geringe Spezifität. Bei jedem fünften Patienten müssen Sie mit einem positiven Ergebnis rechnen, das jedoch keine Borreliose beweist. „Bleiben Sie standhaft, nehmen Sie kein Blut ab, auch wenn das manchmal psychologisch schwierig ist,“ so Prof. Erbguth.

Auch beim Erythema migrans hat das Labor nichts verloren. Hier hapert es erheblich an der Sensitivität und ein negativer Befund schließt die Borrelien nicht aus. „In diesem frühen Stadium lässt Sie die Serologie in 50 % der Fälle im Stich!“ Zur Erfolgskontrolle einer Antibiotikatherapie eignet sich die Antikörpermessung ebenfalls nicht, da die Titer während der Therapie zum Teil noch ansteigen.

Sinn und Ergebnis der Sero-Diagnostik
KlinikSerologieSensitivitätInzidenz
(pro 100 000)
Zeckenstichunsinnig
Erythema migrans nicht empfohlenca. 50 %10–100
Neuroborreliose Liquor + Antikörperspezifitätsindex ca. 75 % < 6 Wochen
ca. 99 % < 6 Wochen
< 6 Monate < 10
> 6 Monate < 1
LymphozytomSerum-IgG + IgM > 80 %< 1
Lyme-Arthritis Serum-IgGca. 95 % < 1
Lyme-Karditis Serum-IgG + IgM> 80 % < 1
Akrodermatitis chronica atrophicans Serum-IgG
Obwohl eine Infektion vorliegt, fällt der Antikörpernachweis bei jedem Zweiten mit Wanderröte negativ aus.


Die unkritische Verwendung serologischer Methoden führt dazu, dass die vermeintliche Erkrankung über- oder fehldiagnostiziert wird. Umgekehrt bleibt die reale Borreliose zu oft unerkannt. Der Referent verdeutlichte dieses Problem anhand von drei Fallbeispielen:

Fall 1:

Eine 45-jährige Biologin mit rezidivierenden Sehstörungen und zunehmend spastisch-ataktischem Gang sowie positivem IgG-ELISA erhält von ihrem Hausarzt und selbsternannten „Borreliosespezialisten“ unter der Diagnose Neuroborreliose 10 Jahre lang Antibiotika. Sie stellt einen Antrag auf Berufserkrankung und kommt zur Begutachtung in Prof. Erbguths Klinik. Dort stellt sich heraus: Sie leidet an Multipler Sklerose. Hinweis des echten Experten: „Während die MS meist schubförmig verläuft, ist dies bei der Borreliose-Meningoenzephalitis sicher nicht der Fall“.

Fall 2:

Eine Frau mittleren Alters klagt über ziehende Schmerzen im Schulterbereich. Der Hausarzt stellt die Diagnose Schulter-Arm-Syndrom. Ihr Neurologe vermutet einen Bandscheibenvorfall, doch im MRT findet er nichts. Erst als eine Fazialisparese auftritt, erfolgt unter dem Verdacht auf ein Bannwarth-Syndrom eine Lumbalpunktion, der Antikörperspezifitätsindex bestätigt den Verdacht.

Nächtliche Rückenschmerzen deuten auf Radikuloneuritis

Das Bannwarth-Syndrom bezeichnet eine symptomatische Manifes­tation des Stadiums II der Lyme-Borreliose. „Auch ich dachte schon oft in solchen Fällen erst an einen Bandscheibenvorfall“, berichtete Prof. Erbguth. „Was Sie immer hellhörig machen muss: Bei der Infek­tionskrankheit treten die Schmerzen vor allem in der Nacht auf“, so sein Rat.

Fall 3:

Aufgrund von müden Beinen, diffusen Schmerzen in Gelenken und Muskeln sowie eines positiven IgG-ELISAs kommt eine 46-Jährige mehrmals ins Krankenhaus. Die Lumbalpunktionen ergeben alle nichts Auffälliges. Dennoch durchläuft die Patientin mehrere Ceftriaxon-“Kuren“, schluckt Amoxicillin und Erythromycin. In Nürnberg erklären ihr die Ärzte, dass es sich zumindest zum Teil um eine somatoforme Störung handelt. Die Frau ist darüber so verärgert, dass sie eine Selbsthilfegruppe für „chronisch Borreliosekranke“ gründet.

Die „chronische Borreliose“ kommt gerne aufs Tapet, wenn unspezifische Symptome – z.B. auch Krampfadern, Hämorrhoidenblutungen und Alkoholunverträglichkeit – auf positive (unbegründeterweise angefertigte!) Serologieparameter treffen. Laut Prof. Erbguth fällt das Ganze eher unter Verarbeitungsprobleme aus dem psychiatrischen Komorbiditätsbereich.

Organbefall nach Stadium und Prävalenz
OrtI (fokal)II (disseminiert)III (multisystemisch)
HautErythema migrans (89 %) Lymphadenitis (2 %)Acrodermatitis chronica atrophicans Herxheimer (1 %)
Nerven (3 %)unspezifisch
  • Polyradikuloneuritis (z.B. Bannwarth-Syndrom)
  • Meningoenzephalitis
  • selten: Myositis
  • chronische Polyneuritis
  • Meningoenzephalomyelitis
Herz - Karditis (< 1 %)
Gelenk fibromyalgieform Arthritis (5 %)
Sonstigeunspezifisch, u.a. Fatigue Vaskulitis, Auge
In mehr als 90 % der Fälle bleibt die Borreliose fokal. Trotzdem können in dieser Situation Symptome wie Muskelschmerzen oder Müdigkeit auftreten.


Positiven ELISA mittels Immunoblot bestätigen

Davon muss man ganz klar die Post-Lyme-Disease abgrenzen. Nach der Behandlung einer definierten Neuroborreliose leidet etwa jeder Zehnte unter Residualbeschwerden. Als Folge einer borrelienbedingten Polyradikuloneuritis beispielsweise kann eine schmerzhafte Neuropathie persistieren. Aber Vorsicht: Ein dauerhaftes Agieren der Erreger liegt dabei nicht vor. Sogar stabil erhöhte Antikörpertiter belegen nicht die Persistenz, sondern sind einfach eine Seronarbe, erklärte der Referent.

Für die Borreliendiagnostik werden laut Prof. Erbguth in Deutschland mehr als 40 Mio. Euro pro Jahr ausgegeben, in 60–70 % der Fälle sei sie jedoch überflüssig. Nur bei einer passenden Ätiologie und wenn es zeitlich Sinn ergibt, rät er zum ELISA-Screening. Fällt das Ergebnis positiv aus, sollte zur Bestätigung der spezifischere Immunoblot durchgeführt werden. Für andere Verfahren wie Lymphozytentransformationstest, der CD57-Test und die Fluoreszenz-Dunkelfeldmikroskopie gibt es keine Evidenz. Das Fazit des Experten: Labordiagnostik als Schrotschuss stellt keine Option dar.

Quelle: 124. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin

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Ob das ein Erythema migrans ist? Die Serologie wird Ihnen die Frage in diesem Stadium nicht beantworten. Ob das ein Erythema migrans ist? Die Serologie wird Ihnen die Frage in diesem Stadium nicht beantworten. © iStock.com/HeikeKampe